Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Foto © Sabina Sabovic

Aktuelle Aufführungen

Ensemblekultur

RÜBEZAHL
UND DER SACKPFEIFER VON NEIßE

(Hans Sommer)

Besuch am
28. März 2016
(Premiere am 18. März 2016)

 

Theater & Philharmonie Thüringen, Gera

Die Bühnen der Stadt Gera sind ein entdeckungsfreudiges Haus. Ihre Spezialität sind vergessene Opern des 20. Jahrhunderts. Raritäten wie Scharlatan von Pavel Haas, Jaromír Weinbergers Wallenstein oder Ulenspiegel von Walter Braunfels wurden gespielt. Praktisch unbekannt ist auch die Novität der laufenden Saison. Es ist die phantastisch-romantische, 1904 in Braunschweig uraufgeführte Oper Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße von Hans Sommer, die nach über 100 Jahren wieder in einem Theater zu hören ist.

Sommer, der von 1837 bis 1922 lebte, war ursprünglich Mathematikprofessor und schuf als bereits anerkannter Wissenschaftler seine erste Komposition. Sein Oeuvre umfasst vorwiegend Lieder, zehn Opern, dazu Orchestrales und Kammermusik. Trotz damaliger Erfolge und der Wertschätzung von Richard Strauss geriet Sommer in Vergessenheit. Erst Anfang der 2000-er Jahre erinnerte sich die Musikwelt wieder an ihn. Anlass war das 100-jährige Jubiläum der GEMA, als deren Mitbegründer er für den Urheberschutz von Künstlern eintrat. Aufnahmen von Klavier- und Orchesterliedern und erst kürzlich eine Einspielung des Klavierquartetts sind das Ergebnis dieses Gedenktages.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Nun also Sommers Rübezahl. Der sagenhafte Berggeist, der den Menschen in verschiedenen Gestalten erscheint und sie mit seinen Launen irritiert, hat im 19. Jahrhundert viele Komponisten inspiriert, darunter auch Carl Maria von Weber und Louis Spohr. In Sommers Oper ist er ein koboldhafter Zauberer, der dem Maler Wido im Kampf gegen Buko, den Tyrannen der Stadt Neiße, hilft. Als es zum Volksaufstand kommt, besänftigt er die Masse, indem er sie zu seiner Pfeife tanzen lässt. Am Ende wird Buko besiegt und Rübezahl kehrt in den Berg zurück.

Foto © Sabina Sabovic

Für Regisseur Kay Kuntze ist der Rübezahl keine reine Märchenoper, sondern auch ein Stück über die Frage, was Kunst in schwierigen Zeiten vermag. Wido, zwischen Bürgerpflicht, Schaffensdrang und der Liebe zu Bukos Pflegetochter Gertrud hin- und hergerissen, wird als Außenseiter mit nacktem, bemaltem Oberkörper inmitten des einheitlich gekleideten Volks charakterisiert. Die abstrakte Kulisse von Duncan Hayler zeigt eine überdimensionale Malerpalette samt Pinsel, die beide in jedem Akt in abgewandelter Form wiederkehren, mal als Bergplateau mit aufragendem Baum, mal als stilisierte Stadtsilhouette mit Turm. Als Symbol für die positive Wirkung von Kunst leuchtet im Finale der Pinsel, jetzt in überdimensionaler Größe, in schönsten Farben und auch der bisher grau-beigefarben gekleidete Chor erscheint in bunter Kleidung. Kuntzes Inszenierung ist vielschichtig und voller Assoziationen, wenn etwa die Aufständischen Instrumente als Waffen tragen, Rübezahls Kopf vor seinem ersten Auftritt als Spot wie in einem Trickfilmvorspann eingeblendet wird oder Buko als gehemmter Machthaber gezeigt wird, der seine Gelüste an einem toten Hirsch befriedigt.

Was die Aufführung in den Rang des Besonderen hebt, ist die überragende Leistung des Ensembles. Die überaus anspruchsvollen Partien sind alle aus dem Haus besetzt und offenbaren ein erstaunliches Solistenpotenzial. Beispielsweise Anne Preuß als Gertrud: Die junge Sängerin beeindruckt mit einem opulenten, in der Höhe aufblühenden, jugendlich-dramatischen Sopran. Oder Hans-Georg Priese als Wido: Ein strahlender Heldentenor, der seine Kräfte so geschickt einteilt, dass er die anstrengende Partie bis zum Schluss ohne stimmliche Einbußen bewältigt. Ebenso Magnus Piontek: Ein agil-gewitzter Rübezahl mit rabenschwarzem, blendend geführtem Bass. Und nicht zuletzt Johannes Beck, der dem bösen Stadtvogt einen Heldenbariton von Format leiht. Dass sich das stimmliche Niveau in den Nebenrollen fortsetzt, beweisen Merja Mäkelä, Jueun Jeon, Alexander Voigt und Kai Wefer.

Das Dirigat von GMD Laurent Wagner holt viel Kolorit und Wucht aus der spätromantischen, von Wagner beeinflussten Partitur mit zahlreichen Leitmotiven, hochdramatischem Gesang und opulentem Orchester heraus. Der kraftvoll tönende Chor und das bestens disponierte Orchester leisten dabei ganze Arbeit.

Anhaltende Zustimmung am Ende der gut besuchten Nachmittagsvorstellung am Ostermontag. Die Aufführung wird im Deutschlandradio gesendet und auf CD veröffentlicht. Auf der Bühne ist die Produktion in der kommenden Saison in Altenburg zu erleben.

Karin Coper