Kulturmagazin mit Charakter
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Kopf ab mit puritanisch revolutionärem Pathos. Zuerst der von König Charles I. aus dem Geschlecht der Stuarts. Am Ende der des royalistischen Liebesgrenzgängers Lord Arturo Talbo. Dazwischen irrlichternde Täuschungen und troubadurischer Wahnsinn in Andreas Homokis Inszenierung von Vincenzo Bellinis Oper I Puritani am Opernhaus Zürich.
Auf der Bühne dreht sich hochragend ein rußgeschwärzter Holzzylinder. In Anmutung eines Film-Skripts ermöglichen demontierte Segmente immer wieder Blicke ins Innere. Die Bühne von Henrik Ahr schafft dadurch Raum für variable Erzählebenen. Rückblenden, Traumbilder, Halluzinationen verschränken sich mit den Spielebenen zu einem virtuosen Belcanto-Opern-Abenteuer.
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Mit dem Generalmusikdirektor des Opernhauses Zürich, Fabio Luisi, hat Homoki einen der profiliertesten Bellini-Dirigenten zur Seite. Nach La Straniera und I Capuletie e i Montecchi ist I Puritani für Luisi schon das dritte Dirigat einer Bellini-Oper in Zürich. Der von ihm mit der Philharmonia Zürich geprägte Bellini-Klang, der schon in den vorangegangenen Inszenierungen von Christof Loy stark beeindruckte, ist in Homokis Inszenierung noch wertvoller geworden. Luisi dirigiert nicht nur partiturvertraut. Sein Dirigat begleitet er singend mit emphatischer Begeisterung.
Luisis und Homokis Zusammenarbeit hat sich inzwischen zu einer künstlerisch exzellenten Partnerschaft auf Augenhöhe entwickelt. Sie garantiert Aufführungen von musikalischer und dramaturgischer Resonanz, wie sie selten zu erleben sind. I Puritani ist ein vorläufiger Höhepunkt. Homoki nimmt Bellini zeithistorisch ernst, wie er aber gleichzeitig seine Glaubwürdigkeit als Regisseur nicht preisgibt.
Bellini schickt sich 1833 an, Paris, die Weltmetropole der Oper zu erobern. In Italien hat er mit seinem neapolitanischen Sound alles erreicht. Nun gilt es, in Paris die höchste Weihe als Opernkomponist zu gewinnen.
Die Zeit ist günstig. Rossini hat sich als Opernkomponist gerade von der Bühne in einen luxuriösen Ruhestand verabschiedet. Giacomo Meyerbeer sucht wie Bellini, das freie Feld nach Rossini zu besetzen.
Bellini findet in dem damals sehr erfolgreichen Drama Die Rundköpfe und die Kavaliere eine Vorlage, die alles hat, um das Publikum für sich zu gewinnen. Der Glaubenskrieg zwischen den reformierten republikanischen Puritanern unter Oliver Cromwell und den katholischen monarchistischen Stuarts ist eine perfekte Folie für eine großformatige und spektakuläre Komposition. Mit dem Arrangement einer Dreiecksliebesgeschichte über die verfeindeten Lager hinweg trifft Bellini mit I Puritani den Zeitgeschmack.
Frankreich ist nach französischer Revolution und royalistischen Gegenbewegungen in einer relativ befriedeten Situation. Paris ist in Feierlaune. Bellini erfindet in seiner unnachahmlichen Art, dem Prinzip der italienischen Oper scena ed aria folgend, Melodien mit weit ausgreifenden Kantilenen.
Lord Arturo Talbo, royalistischer Anhänger der Stuarts liebt Elvira, die Tochter Lord Gualtiero Waltons, Generalgouverneur der Puritaner. Ihr Vater hat sie allerdings schon Sir Riccardo Forth, Feldherr der Puritaner versprochen. Das Problem scheint gelöst, da sich ihr Onkel, Sir Giorgio für sie einsetzt und von seinem Bruder die Erlaubnis bekommt, der großen Liebe von Elvira und Arturo nicht im Wege zu stehen.
So weit, so gut. Wäre da nicht wieder einmal ein dramaturgisch ungereimtes Libretto. Arturo wird auf dem Weg zur Trauung mit Elvira plötzlich wie aus heiterem Himmel von einer royalistischen Rettungsmission übermannt. Die bereits zum Tode verurteilte Königin muss, nachdem schon der König geköpft wurde, gerettet werden. Als Tarnung, um an den Wachen vorbei zu kommen, dient ausgerechnet Elviras Brautschleier.
Das muss schiefgehen. Indem er seine Loyalität gegenüber den Stuarts über die Liebe zu Elvira stellt, verirrt er sich unauflösbar. Verwirrung und Wahnsinn nehmen mit forza di belcanto ihren Lauf. Am Ende gibt es durch eine Generalamnestie – so will es jedenfalls das Libretto – dann doch noch ein Happy End. „An diese glückliche Fügung glaube ich eben nicht“, sagt Homoki.
In den mörderischen Wirrnissen wird Arturo der Kopf abgeschlagen. Gnadenlos und mitleidslos machen die mörderischen Auseinandersetzungen um die Macht Liebe und Mitmenschlichkeit platt, will Homoki offenbar mit seiner Inszenierung von I Puritani verstanden werden.
Mit Arturos Kopf in den Händen lässt Pretty Yande als Elvira ein letztes Mal ihren atemberaubenden Koloratursopran schillern: Vaneggero nel palpito di tanta vara volutta! Yande ist, seit sie als Donizetti-Einspringerin an der Met vor wenigen Jahren furios ihre Karriere beförderte, nach Luisis Überzeugung die Elvira par excellence. Unverbraucht frisch klingt ihr Koloratursopran auch in den extremen Höhen unangestrengt natürlich. Ihre Stimme fließt wie von selbst. Gleichzeitig ist sie idealerweise eine Sängerschauspielerin, die auf der Bühne ungewöhnlich authentisch präsent ist. Sie behauptet von sich selbst, auch neben der Bühne: I’m a happy girl!
Zusammen mit dem afroamerikanischen Tenor Lawrence Brownlee in der Rolle des Arturo sind sie das erste schwarze Protagonistenpaar in Zürich. Jahrzehnte nach Simon Estes sind die Erwartungen unter dieser besonderen Perspektive schon im Vorfeld hoch spekulativ. Brownlee wird nachgesagt, dass er, wann und wo immer Arturo besetzt wird, gerufen wird. Sein Zürcher Arturo bestätigt diese Lorbeeren nur teilweise. Er beherrscht die Tenorpartie technisch professionell bis ins hohe F. Sein Spiel wirkt in der Premiere aber merkwürdig linkisch, mitunter zu routiniert, zu selbstsicher.
Es mag sein, dass er es im Glanz von Yandes Stimme und Spiel nicht leicht hat. Andererseits liefern der Bariton George Petean als Arturos Rivale Riccardo und der Bassist Michele Pertusi als Giorgio Walton sängerisch und darstellerisch ausdrucksvolle Charakterrollen ab. Dass ihr Duett Suoni la tromba am Ende des zweiten Aktes nach der Uraufführung in Paris zu einem Gassenhauer wurde, überzeugt fulminant auch in Zürich fast zwei Jahrhunderte später.
Brownlee wird von Homoki szenisch teilweise allein gelassen. Wo sich sonst in der Inszenierung der rotierende Zylinder für bildliche Darstellungen und Reflexionen öffnet, bleibt er bei Arturos Raserei und Verzweiflung Ad altro vanno i furenti geschlossen. Brownlee singt vor der schwarzen Wand via Bühnenrampe ins Nichts.
Nichts außer Wahnsinn ist vielleicht auch ein metaphorisches Bild für Homokis Inszenierung. In dem Moment, wo sich Elvira und Arturo endlich finden und sie sich ihre Liebe gestehen, Arturo die Arme ausstreckt – Vieni ... vien fra queste braccia – und Elvira seufzt – Caro, non ho parola – stehen Yande und Brownslee auf der Bühne weit voneinander entfernt. Nichts geht mehr.
Neben dem virtuosen Solisten-Quartett singt und spielt der Chor der Oper Zürich, von Pablo Assante hervorragend disponiert, in Hochform. Die Chorszenen sind, dramaturgisch überragend organisiert, vielleicht die eigentliche Überraschung der Aufführung.
Am Ende gibt es, nach dem Fabio Luisi am Pult immer wieder stürmischem Szenenapplaus Tribut zollt, tosenden Beifall – und einzelne Buhs für Homoki. Pretty Yande wird genauso gefeiert wie Lawrence Brownlee. Der Beifall für Michele Pertusi und insbesondere für George Petean sowie auffällig emotional auch für den Chor ist kaum weniger herzlich.
Peter E. Rytz