Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
Besuch am
28. Februar 2016
(Premiere am 9. Dezember 2012)
Richard Wagners Der fliegende Holländer gehört für viele Opernbühnen zum Standardrepertoire, auch am Opernhaus Zürich. Nichts Neues könnte man meinen und sich fragen, warum noch eine Wiederaufnahme von Andreas Homokis Inszenierung von 2013 für vier Vorstellungen im Februar 2016.
Die Zürcher Wiederaufnahme bezieht ihren besonderen Reiz daraus, dass nach verschiedenen Dirigenten nun Axel Kober am Pult der Philharmonia Zürich steht, und auch die Gesangspartien nach der Premierensaison teilweise neu besetzt wurden. Solisten von Weltruf im Vergleich in einzelnen Rollen zu erleben, ist allein schon Grund genug, sich die Inszenierung wiederholt anzusehen.
Musik | |
Gesang | |
Regie | |
Bühne | |
Publikum | |
Chat-Faktor |
Ein gewichtiger Grund ist aber vor allem die viel gelobte Inszenierung von Homoki selbst. Er widersteht der Versuchung, im Wettstreit mit dem Film sturmgepeitschte Gespensterschiffe mit roten Segeln auf die Bühne zu hieven. Dem, der das sehen möchte, empfahl er schon zur Premiere 2013, lieber ins Kino zu gehen und sich Fluch der Karibik anzusehen. Ihm gehe es vielmehr darum, Wagners romantische Oper als Suche nach Lebenswahrheiten zu dechiffrieren.
Das im Holländer erstmals aufscheinende Wagnersche Ur-Thema von der Sehnsucht nach Heimat, Liebe und Erlösung, das im Parsifal und im Ring seine künstlerische Vollendung findet, theatralisiert Homoki jenseits von jedweder Seefahrerromantik. Er folgt, psychologisch inspiriert, Wagners Idee von einem anderen Musiktheater als der bis dahin gängigen Nummernoper. Was sich Wagner programmatisch auf die Fahne geschrieben hat, nämlich Beethovens Sinfonik auf die Oper zu übertragen, um innere Vorgänge musikalisch darzustellen, dem fühlt sich Homoki mit seiner Inszenierung offenbar besonders verpflichtet.
Im von Wolfgang Gussmann gebauten Bühnenbild, wo ein holzvertäfeltes, turmähnliches Mobile zentrale Projektions- und Reflexionsfläche ist, wird das eigentlich außerhalb eines Handelskontors spielende und in ihm erzählte Geschehen gespiegelt – mit flackernden Lichteffekten, mit Bewegungsstudien des Chores und der Verwandlung des gemalten Meerbildes an der Wand zu einem wellenbewegten Meer durch Video-Überblendungen.
Die unterschiedlichen Ansprüche, wie Leben gelingen könnte oder schon Lebenspraxis ist, werden zwischen den Seefahrern respektive den zufriedenen Angestellten und ihren Frauen sowie Senta frühzeitig deutlich. Alle scheinen mit dem Gang der Dinge, so wie sie scheinbar schon immer verlässlich liefen, zufrieden zu sein. Allein Senta ahnt, dass ihr das nicht genügen könne.
Homokis Sicht, sie verkörpere „die romantische Sehnsucht nach dem Anderen, nach einem Leben jenseits dieser durch und durch materialistischen, auf Profitmaximierung ausgerichteten Welt, die sie umgibt“, prägt die Inszenierung. Manchmal überdehnt sie die allerdings in einer Weise, die mehr einem sich selbstbewusst gebenden Regietheater verpflichtet ist und dabei mitunter übers Ziel hinausschießt.
Michael Volle, nach Bryn Terfel und John Lundgren der dritte Holländer in dieser Inszenierung, ist nichts von seiner gerade erst überstandenen Erkältung anzumerken. Sein kultivierter, dunkel gefärbter Bariton, gepaart mit seiner überwältigenden Bühnenpräsenz, ist ein Holländer ohne Wenn und Aber. Schmerzverzagt ob seiner endlosen Irrfahrten einerseits, ohnmächtig sein Schicksal auf sich nehmend, und andererseits auf die rettende Liebe eines Engels wie Senta hoffend, ist Volle in jeder Situation empathisch authentisch und singt dazu noch wortverständlich klar artikulierend.
Meagan Miller folgt als Senta auf Anja Kampe, die sich in den letzten Jahren zu einer der führenden Sopranistinnen entwickelt hat. Per se keine leichte Vorgabe für Miller, jedoch eine Herausforderung, die sie beherzt und auf überzeugende Weise annimmt. Sie ist eine Vollblut-Sängerin, die der ersten Exzentrikerin der Oper, Senta, ihre omnipräsente Weiblichkeit verleiht, die selbstgewiss davon überzeugt ist, ihren Weg so und nicht anders gehen zu müssen. Ihr strahlender Sopran zeichnet noch in der letzten Todeskonsequenz eine selbstbewusste Frau.
Auf dem Bass von Christof Fischesser – schon in der letztjährigen Wiederaufnahme in der Nachfolge von Matti Salminen als Daland mit hintersinnig gestimmter Linearität überzeugend – lasten noch letzte Reste eines Infekts. Sie scheinen seine musikalische und darstellerische Gestaltungskraft etwas zu zügeln.
Seit der Premiere ist Marco Jentzsch die personifizierte Kontinuität unter den Solisten. Wurde er da noch in der Rolle des Erik als Entdeckung gehandelt, überzeugt er inzwischen auch an diesem Abend durch sichere sängerische Qualität. Ihm gelten neben Volle und Miller bei einem insgesamt zustimmenden Beifall deutlich wahrnehmbare Sympathien des Publikums.
Solisten und Chor der Oper Zürich, von Jürg Hämmerli und Michael Zlabinger auch choreografisch spielfreudig vorbereitet, singen und spielen an diesem frühen Sonntagnachmittag engagiert intensiv. Angesichts der grassierenden Grippewelle, die auch beinahe Volle und Fischesser schachmatt gesetzt hätte, nicht unbedingt selbstverständlich.
Axel Kober, auch in Bayreuth Dirigent der derzeitigen Holländer-Inszenierung, mobilisiert mit seinem temperierten, Pausen kontrastverstärkend betonenden Dirigat die Philharmonia Zürich zu einer klangdifferenzierenden Interpretation. Eindrucksvolles Blech neben farbigen Streichern zusammen mit den fein abgestimmten Holzbläsern sorgt für einen orchestral überzeugenden Klang.
Für diese Spielzeit war es zwar die letzte Aufführung der Wiederaufnahme. Es sollte allerdings nicht ausgeschlossen sein, dass sich weitere Solisten durch diese Inszenierung in Zürich auch zukünftig herausgefordert sehen.
Peter E. Rytz