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DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR
(Otto Nicolai)
Besuch am
19. März 2016
(Premiere am 12. März 2016)
Witz, ausufernd heitere Laune, aber auch eine gute Prise lustvoller Anarchie prägen Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai im Mainfranken-Theater in Würzburg. Hier wird nicht vergessen, dass es sich bei dieser komisch-fantastischen Oper aus den Revolutionsjahren 1848/9 nach Shakespeare aus der Feder von Salomon Hermann Mosenthal, einem jüdischen Dichter und Mitglied der Berliner Bürgerwehr, um ein Werk handelt, das unter der charmant lustigen Oberfläche auch subversive gesellschaftspolitische Tendenzen trägt. Denn im Mittelpunkt stehen zwei bürgerliche Paare, bei denen die Ehefrauen äußerst selbstbewusst und ungestraft intrigante Spielchen treiben mit einem heruntergekommenen Adligen, dem Ritter Falstaff.
Außerdem setzt sich hier die Jugend gegen die von ökonomischen Interessen respektive gesellschaftlichem Image geleiteten Eltern durch: Die aufmüpfige Anna heiratet den mittellosen Fenton – aus Liebe. Noch etwas wird hier bei dieser angeblich so deutschen Spieloper mit ihren romantischen Zügen gerne vergessen: Nicolai, 1849 früh verstorben mit 36 Jahren, hat dabei italienisches Brio, Spritzigkeit und Schmelz der Gesangslinien – das schätzte er von seinen Italien-Aufenthalten – kombiniert mit „deutschem“ Formbewusstsein und schwungvoller österreichischer Tanzlaune, ihm bestens bekannt von seiner Tätigkeit in Wien und Berlin. Seine Oper ist eine harmonische Synthese von deutschem und italienischem Stil. „Es müsste nun also versucht werden, das tiefe Auffassen der Worte, das Charaktervolle der Kantilene, die Deklamation und die Reichhaltigkeit der Instrumentierung nicht aufzugeben, und mit deutscher Kunst bei der Form neu zu sein“, sagte Nicolai selbst.
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Die Doppelbödigkeit unterstreicht die Inszenierung von Gregor Horres durchaus. Sein Ausstatter Jan Bammes lässt alles in einem Raum spielen, der mit Liebesbriefen – natürlich von Falstaff – von oben bis unten zutapeziert ist; und auch die Kostüme der beiden Ehepaare deuten an, dass hier bürgerliche Leute agieren, die etwas kleinkariert, aber aufgeplustert geraten sind. Auch das Äußere der beiden Heiratskandidaten Junker Spärlich und Dr. Cajus zeigt, dass sie Figuren wie aus dem Witzkabinett oder aus einer Zaubershow sind; ebenso wirken die übertrieben geschönten, weißen Aufmachungen der bürgerlichen Nachbarn wie Theaterkostümierungen. All das zeigt: Hier handelt es sich keineswegs um Realität, sondern um komödiantisches, fantastisches Spiel.
Lediglich Falstaff mit seinem nachlässigen, schlampigen Äußeren mit Bauchansatz und fettigen, strähnigen Haaren scheint eine Existenz am Rande der wohlgeordneten Welt. Er kampiert im Wald in einem alten Wohnwagen, der von einem zerbeulten Mini-Cooper gezogen wird oder wurde, hat sein Domizil mit dem praktischen Dachaufbau very british mit Fähnchen dekoriert und ist auch sonst eine gesellige, gemütliche Person, der nichts Alkoholisches fremd ist – übrigens den beiden bürgerlichen Damen auch nicht. Nur die Jungen, Anna und Fenton, im Jeans-Look, heben sich ab von der Eltern-Generation.
Schon bildlich ein echter, stets anregender Genuss, steigert sich dieser noch durch das, was man aus dem Orchestergraben vom Philharmonischen Orchester Würzburg unter der inspirierenden, stets aufmerksamen Leitung von Enrico Calesso hört: Er lässt die Musik zuerst fein durchsichtig und idyllisch erklingen, gibt dann geradezu italienisches Feuer, schmissiges Temperament und ein wenig Walzerseligkeit hinzu, deckt aber die Sänger nie zu und betont das muntere Geschehen mit lockerem, ausgewogenem Schwung.
Der lebendig bewegte Chor, bestens einstudiert von Michael Clark, betört besonders mit romantischem Schmelz im Lied an den Mond, ist viel beschäftigt wie auch die übrigen Akteure. Junker Spärlich, Maximilian Argmann, überzeugt nicht nur durch sein tapsiges Auftreten, sondern auch mit wohl timbriertem Tenor, und sein grotesk kostümierter Mitbewerber um Anna, Dr. Cajus, Tayu Uchiyama, ein sicherer, fundierter Bass, wuselt als eine Art Zirkusnummer umher. Dass beide als Aspiranten um die Gunst Annas ausscheiden, ist klar. Anja Gutgesell als dieses flinke, attraktive Girl, ein sehr heller, flexibler, höhensicherer Sopran, wählt natürlich Fenton, einen jungen Mann ohne finanziellen Hintergrund; Joshua Whitener produziert sich vor allem selbst in dem berühmten Ständchen Horch, die Lerche singt im Hain durch brillanten Höhenglanz seines hellen Tenors, dem noch etwas mehr emotionaler Schmelz gut getan hätte. Im Mittelpunkt aber stehen die beiden Ehepaare Fluth und Reich und das dreimalige Hereinlegen des liebestollen Ritters Falstaff. Treibende Kraft dabei ist Frau Fluth; Silke Evers liefert hier ein bravouröses Bild einer listigen, koketten, hübschen und um keine Gemeinheit gegen die Männer verlegenen Bürgersfrau ab. Wie sie vor Schadenfreude in Entzücken gerät, kichert, sich gewandt aller möglichen Tricks und Verstellungen bedient, ist schon einsame Klasse; vor allem aber ihr strahlender, bis in die höchsten Höhen leuchtender Sopran rundet diese Persönlichkeit herrlich ab. Dass auf eine solch selbstbewusste Frau der etwas biedere Ehemann dauernd mit eifersüchtiger Wut aufpasst und dadurch auch ständig den Kürzeren zieht, ist logisch. Daniel Fiolka gibt ihn oft fast ratlos agierend, hektisch, aber eigentlich gutwillig und singt wunderbar klar mit angenehmem Bariton. Zur Stimme von Frau Fluth passt hervorragend der elanvolle Mezzosopran von Polina Artsis in der Rolle ihrer Busenfreundin, der etwas betulichen Frau Reich; ihr Mann ist mehr auf Reputation als auf eine funktionierende Ehe bedacht; Bryan Boyce gibt den Herrn Reich würdevoll mit kräftigem Bassbariton. Überragend, nicht nur von der Statur her, ist Christoph Stegemann als Ritter Falstaff; er wirkt immer sympathisch, auch wenn er verliert oder als verkleidete Alte oder mythischer Jäger verprügelt wird. Mit seinem buffonesk getönten, kräftigen Bass erfüllt er gekonnt die Rolle des Außenseiters, der eigentlich nichts krumm nimmt und dem letztlich niemand ernstlich böse ist. So gelingt am Schluss auch das allgemeine Verzeihen.
Das Publikum bei der zweiten Vorstellung im ausverkauften Haus bejubelt lange, auch mit Bravorufen, alle Akteure dieser turbulenten, bunten Inszenierung.
Renate Freyeisen