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Mit Mozarts Idomeneo kann das Würzburger Mozartfest im Mainfranken-Theater einen glanzvollen Höhepunkt feiern. Doch das Werk hat seine Tücken, wie schon die Entstehungsgeschichte beweist.
Am 29. Januar 1781 bedeutet diese Oper zwar einen Durchbruch für den 25-jährigen Komponisten, doch nicht in jeder Beziehung. Denn Mozart löst sich hier von den starren Regeln der Opera seria, wendet sich in vielem dem Stil der französischen Tragédie lyrique zu, etwa in den Intermezzi; Vorlage ist das Libretto von Antoine Dauchet, nach dem der Salzburger Hofkaplan Giambattista Varesco das Textbuch für die Uraufführung zum Karneval 1781 schrieb; an diesem dilettierenden Dichter hat Mozart allerdings einiges auszusetzen. Ein Trost: In München steht ihm wenigstens das „vortreffliche“, groß besetzte Mannheimer Orchester zur Verfügung, das im französischen Stil versiert ist. So kann er szenische und formale Kontraste einbauen und vielfältige dramaturgische Verbindungen, etwa die Ouvertüre als motivische Verklammerung, und emotional effektvolle Instrumentierungen wagen. Zum französischen Stil gehören auch ausgedehnte Chorszenen. Die Arien und Rezitative der Sänger-Solisten aber orientieren sich noch weitgehend an dem, was man von der italienischen Oper gewohnt ist. Neuartig sind dagegen viele wunderbare Ensembles. Dass der Titelheld Idomeneo, der für seine Rettung aus Seenot durch ein Gelübde an den Meeresgott Neptun den ersten ihm an Land begegnenden Menschen opfern will und deshalb seinen Sohn Idamante töten muss, ist das eigentliche Drama. Das stürzt den Kriegshelden, der eigentlich das Töten gewohnt ist, in einen extremen Konflikt. Die Hauptperson wird meist mit einem älteren Tenor besetzt.
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In der Münchner Uraufführung sang diese Partie Anton Raaff, der mit seinen 67 Jahren bereits am Ende seiner Laufbahn angelangt war; so scheinen ihm die extra für ihn komponierten Koloraturen seiner Bravour-Arie Fuor del mar schon reichlich schwer gefallen zu sein. Auch heute noch ergeben sich da für manchen Sänger Schwierigkeiten. Das für Münchens Hofoper unbedingt erforderliche Ballett wird danach meist gestrichen. Mozart schätzte den Idomeneo, an den er selbst oft den Rotstift angesetzt hatte, besonders hoch. Er hat hier erstmals zu seinem absolut individuellen Stil gefunden, der sich in keine der üblichen Kategorien so richtig einordnen lässt. So kamen im 19. und 20. Jahrhundert einige neue, entstellende Fassungen heraus, und auch Mozart selbst erfuhr mit diesem Werk keinen wirklichen Erfolg. Möglicherweise liegt es an der oft aufwühlenden Musik, welche die Sturm-und-Drang-Zeit ahnen lässt, und am versöhnlichen Schluss mit der zärtlichen Liebesbeziehung zwischen Ilia und Idamante, worin sich Züge der Empfindsamkeit zeigen. Mit dieser Oper von 1781 emanzipiert sich Mozart in gewisser Weise von seinem Vater Leopold, der bisher seinen Schaffensprozess kritisch begleitet hatte und der befürchtete, dass sich sein Sohn mit seiner neuen Oper nur an Kenner, nicht an die so genannten „populare“ wende; die Antwort des jungen Komponisten fällt eindeutig aus: Nur Esel verstünden sein Werk nicht.
Freilich besteht für den heutigen Zuschauer doch eine gewisse Schwierigkeit darin, sich in der griechischen Mythologie auszukennen. Regisseur Stefan Suschke versucht nun mit einer relativ schlichten, auf das Notwendigste beschränkten Inszenierung, die Konflikte deutlich zu machen als eher innere Prozesse; es geht um Gewissensentscheidungen, um den Vorrang der Vaterliebe vor der Erfüllung der Forderungen der Götter, deren Existenz ohnehin fraglich erscheint. Den Frieden aber bringt nur die Liebe, zwischen Ilia und Idamante, Repräsentanten einstmals verfeindeter Völker, und es zeigt sich die Ablösung der älteren Generation durch die junge, wobei die Inhaber der Macht eigentlich nicht wechseln; der Sohn übernimmt vom Vater die Herrschergewalt. Ob sich da aber etwas ändert an der Ausübung der Macht, bleibt fraglich; jedenfalls werden die Ansprüche der Götter nicht mehr berücksichtigt, symbolisiert dadurch, dass der Herrschermantel nun die Opferstelle bedeckt. Die ganz auf die menschlichen Gefühle reduzierte Handlung findet statt in einem hohen, schlichten Raum mit hölzernen Wänden, Türen und schmalen Leuchten; in diesem Holzkasten, konstruiert von Momme Röhrbein, gibt es einen zentralen Aufgang zu einer Art Bühne im Hintergrund, deren Wand sich manchmal öffnet zum Auftritt der Mächtigen oder wütender Naturgewalten. Stühle, mal umgeworfen, mal ordentlich aufgestellt, mal von einem schwarzen Tuch bedeckt weisen auf die Menschen und die jeweilige Situation der handelnden Personen hin. Ein viereckiges Gitter im Boden soll auf die Opferstätte des unversöhnlichen Gottes hindeuten; wobei allein diese Platzierung vielsagend ist. Die Kostüme von Angelika Rieck sind nicht an eine bestimmte Epoche gebunden; fließende Gewänder der Damen deuten je nach Anteil an glitzernden Stoffen ihren Stand an. Das Volk trägt helle, farblich dezent abgestufte Kleider. Idomeneo erscheint zuerst mit blutbeflecktem Gewand; im Verlauf der drei Akte wandelt sich das zu reinem Weiß; die Opferaxt hat er immer dabei. Idamante kommt in Schwarz und Weiß wie ein junger Kavalier, der Ratgeber des Herrschers, Arbace, auch der Oberpriester, ist ein müder, hinkender Greis. Unheil, Sturm und Rasen des Untiers werden durch sich blähende Stoffbahnen, Blitze oder herabfallende, schwarze Fetzen effektvoll illustriert, und atmosphärische Veränderungen unterstützt das Licht von Roger Vanoni. An das antike Drama erinnern die stummen Begleiterinnen der Elettra, gespenstisch dunkle Erinnyen.
Da die Inszenierung ohne große optische Opulenz oder historische Zitate auskommt, wendet sich das Interesse umso stärker der Musik zu. Und da ist vom Philharmonischen Orchester unter der äußerst umsichtigen, Impulse gebenden Leitung von Enrico Calesso Erfreuliches zu hören schon in der Ouvertüre, die recht getragen beginnt, aber bald farbige Akzente aufleuchten lässt, das tragisch Untergründige und fein Galante unter der straffen Führung verbindet; dazu erscheinen auf dem Eisernen Vorhang Videobilder von Drohnenangriffen, dann das aufgewühlte Meer und der Kopf des Idomeneo, dessen eigentliches Schlachtfeld in seiner Brust liegt, und eine Aufschrift, die zur Auflehnung gegen die Forderungen der Götter aufruft. Später dann imponiert das Orchester vor allem durch die guten Bläser und dunklen Streicher, während die Geigen oftmals unsauber intonieren.
Doch die Sänger können sich vom Orchester getragen fühlen. Dass die unglückliche Ilia zuerst vor einer unüberwindlichen Schranke steht, ihr Leid beklagt und in einer berührenden ersten Arie Abschied von Familie und Vaterland nimmt, dabei aber schon die Neigung zum eigentlich feindlichen Prinzen Idamante spüren lässt, scheint ein guter Kunstgriff. Als diese Barriere fällt, der Blick auf die Bühne frei ist, kann sie sich nach der Befreiung ihrer Landsleute Idamante zuwenden, der ihr auch bald seine Liebe gesteht. Silke Evers gestaltet die trojanische Prinzessin äußerst glaubhaft, anmutig, noch mädchenhaft, und ihr schön gerundeter, voller, in der Mittellage mit vielen farbigen Facetten aufwartender Sopran betört mit seinen strahlenden Höhen von Anfang an durch mühelosen Wohlklang. Der Kontrast zu ihr ist Elettra, wütend, leidenschaftlich, auf Ilia eifersüchtig; zu dieser Figur passt bestens der hochdramatische Sopran von Karen Leiber, die auch durch ihr heftiges Spiel das Wahnsinnige, Furiose wunderbar ausdrücken kann. Idamante wird von Barbara Schöller sehr lebendig dargstellt als schlanker Jüngling; ihr eher heller Mezzosopran überzeugt voller Elan und Energie in den Rezitativen und Arien. Imposante Machtfülle strahlt Clay Hilley als Idomeneo nicht nur körperlich, sondern auch durch seinen kräftigen Tenor aus, der die Partie gut beherrscht, nur manchmal bei den Verzierungen nicht immer ganz flexibel scheint. Als sein etwas gebrechlicher Vertrauter fungiert Joshua Whitener, der seinen schön timbrierten Tenor ab und an etwas gewaltsam einsetzt. Besonderen Glanz verleihen aber der Aufführung die herrlich ausbalancierten, von Michael Clark hervorragend einstudierten Chöre, mal strahlend, mal klagend, mal den Frieden preisend, die Götter um Gnade anflehend, mal Entsetzen ausdrückend oder am Schluss die Freude über die erlösende Liebe von Ilia und Idamante; die Chorsoli, etwa von Veronika Brandhofer und Natalia Boldyrieva beim Lob des Meeresgottes überraschen durch Wohlklang. Passend dumpf verstärkt erschallt die Stimme des Orakels von Hyeong-Joon Ha.
Nach dem glücklichen Ende, natürlich ohne Ballett, jubelt das ausverkaufte Haus und feiert Ensemble und Regie mit langem Beifall und Bravorufen.
Renate Freyeisen