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ARLECCHINO/GIANNI SCHICCHI
(Ferruccio Busoni/Giacomo Puccini)
Besuch am
5. Februar 2016
(Premiere)
Lachen befreit, darf aber auch irgendwie zersetzend wirken und ein wenig irritieren; bei Busonis Arlecchino und Puccinis Gianni Schicchi trifft alles das zu. Beide Werke sind in schwierigen Zeiten, während des Ersten Weltkriegs, entstanden, beide beziehen sich auf Dante und beide benutzen Gestalten und Stereotype der Commedia dell’arte. Doch während bei Busonis 1916 entstandenem Werk das Ironische, das Surreale, das bizarre, künstlich-literarische Spiel mit bekannten Figuren überwiegt und die Handlung eigentlich reine Illusion, Groteske und Zitieren einer längst überholten Vergangenheit und Tradition ist, hat Puccini seinem 1917 geschriebenen Einakter doch deutlich menschlichere, realistischere Züge gegeben und so dem Zuschauer die Schadenfreude gegönnt, dass hier scheinbar listige Erbschleicher durch ihre eigene Gier hereingelegt werden.
Beide Werke verlangen ein locker unbeschwertes, augenzwinkerndes Herangehen und viel Lebendigkeit in der Verwirklichung. So eignet sich gerade ein junges Ensemble bestens für die vielen Rollen, wobei aber auf das Orchester doch einigermaßen heikle Aufgaben zukommen, vor allem vom Rhythmischen und der offenen Form her. Busoni nennt sein Werk quasi verharmlosend ein „theatralisches Capriccio“. Der Opernschule der Würzburger Hochschule für Musik unter Leitung und Regie von Holger Klembt gelingt das Kunststück, ein höchst amüsantes, sehr bewegtes und manchmal auch völlig durchgedrehtes Stück Musik-Theater auf die Bühne zu bringen, wobei stets im Bewusstsein bleibt, dass das alles nicht ernst gemeint ist, dass es eben Theater über und im Theater ist.
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Die Besucher der völlig ausverkauften Premiere im Theater in der Bibrastraße blicken zuerst beim Arlecchino auf eine Bühne mit bunten Hausfassaden von Manfred und Alexandra Kaderk, die ein bisschen Süden vortäuschen und mit den lustig übersteigerten Kostümen von Anke Drewes gleich auf die Gestalten der Commedia dell’arte verweisen, über die sie sich dann aber auch lustig machen. Ähnlich ist es mit der Handlung: Da wird der Schneider Matteo so ganz offensichtlich von seiner Frau Annunziata betrogen durch den Harlekin, aber er bekommt das alles nicht mit, glaubt an einen Krieg, in den er sich als Soldat von zu Hause weglocken lässt und nimmt neben seltsamen Waffen – einer Art Liktorenbündel – auch sein Buch mit. Denn das Wichtigste im Leben ist für ihn die Literatur, sprich Dantes Göttliche Komödie, 5. Gesang – die Hölle; dieses Buch liest er gerade, und darüber vergisst er die „Realität“ um sich herum.
Elias Wolf singt und spielt den selbstvergessenen Schneider mit viel Naivität und kann mit seinem angenehmen, nicht zu dunklen Bassbariton die Verwirrungen eines zwar verwirrten, aber nicht verunsicherten Ehemanns gut ausdrücken. Arlecchino, Till Merlin Wagner – eine Sprechrolle – macht sich in mehreren Anläufen an die äußerst aufreizende Schneidersgattin, Carla Antonia Trescher, heran, wohingegen er seine Frau, die quirlige, resolute Colombina, vernachlässigt. Boohee Moon agiert in dieser Rolle wunderbar leichtfüßig, selbstbewusst und gestaltet mit ihrer runden, in Höhe wie Tiefen wohlklingenden Stimme die vielen Facetten einer kapriziösen kleinen Person überzeugend. Aber sie wischt ihrem untreuen Gatten auch genüsslich eins aus, wenn sie sich mit dem schmalzigen Musiker Leandro, dem mit viel angespannter stimmlicher Strahlekraft prunkenden Saya Lee, einlässt. Dafür kriegt der dann die Gitarre von Arlecchino über den Schädel gezogen. Das ist halb so schlimm, denn auch Pfarrer und Doktor, zwei groteske, dürre Gestalten, Thomas Trolldenier und Jakob Mack, nehmen, beduselt durch übermäßigen Weingenuss, scheinbare Gefahren nicht wahr. So kann Arlecchino trotz seiner Unverschämtheiten als Sieger in allen absurden Verwicklungen die Szene verlassen, während Matteo nichts mitkriegt über seiner Lektüre.
Auch in Puccinis Gianni Schicchi gibt es einen Sieger, nämlich die Titelfigur; auch er gewinnt durch seine Unverfrorenheit die Oberhand, allerdings über eine korrupte bürgerliche Gesellschaft. Hier gönnt man ihm aus vollem Herzen den Sieg in dieser Erbschleichergeschichte aus Florenz. Die Regie lässt alles in einem spießbürgerlich verstaubten Ambiente der 1960-er Jahre spielen. Der reiche Buoso Donati liegt tot in seinem Bett, und seine zahlreiche, gierige Verwandtschaft wuselt ohne Respekt um ihn herum, um das Testament zu finden. Nach längerer Suche enthüllt sich das Schreckliche: Donati hat alles dem Kloster vermacht. Was tun? Nach hektischen Beratungen und auf Vorschlag von Rinuccio wird der nicht standesgemäße, aber schlaue Gianni Schicchi ins Vertrauen gezogen, obwohl dessen Tochter Lauretta ein nicht geduldetes Verhältnis mit Rinuccio hat. Schicchi erklärt sich bereit zu helfen: Der echte Tote wird wegtransportiert, der falsche, also Schicchi, legt sich hinter einem Vorhang ins Bett, der Notar wird gerufen, damit der angeblich Sterbende seinen letzten Willen diktieren kann. Mit verstellter Stimme erledigt er das dann auch, allerdings schließlich zum Missvergnügen des ganzen Clans, denn das Beste aus dem großen Vermögen, auch das Haus, schanzt er sich selbst zu. Als der Vertreter des Gesetzes draußen ist, bricht das Chaos aus, schnell raffen die betrogenen Betrüger noch alles an sich, was nicht niet- und nagelfest ist, nur Rinuccio und Lauretta sind selig: Sie können heiraten.
Das umfangreiche Personal dieser Komödie zeichnet sich durch lebendiges Spiel aus, drei Figuren aber ragen besonders hervor: Vor allem Georgios Papadimitriou als überragender Gianni Schicchi imponiert mit seinem großen, kraftvollen, runden, nie angestrengten Bassbariton. Und auch Bettina Bauer als seine Tochter Lauretta begeistert mit ihrem hellen Sopran, natürlich in dem berühmten Schmachtfetzen O mio babbino caro. Als ihr Geliebter Rinuccio gefällt Saya Lee vor allem im Schlussduett. Aber auch der Tenor Björn Bayer als Gherardino und seine Frau Nella, Boohee Moon, singen und spielen sehr überzeugend. Eine Paraderolle hat natürlich Tante Zita; Franziska Vonderlind kostet sie als komödiantische Alte voll aus.
Das groß besetzte Sinfonieorchester der Würzburger Hochschule für Musik liefert unter der aufmerksamen Leitung von Ulrich Pakusch eine sehr ansprechende Leistung ab und unterstützt die engagierten jungen Sänger auf der Bühne mit ausgewogenem Klang.
So ist es kein Wunder, dass das amüsierte Publikum alle Akteure mit langem, begeistertem Jubel bedenkt.
Renate Freyeisen