Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Pöhn

Aktuelle Aufführungen

Rätselhafte Realitäten und Traumwelten

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
8. Mai 2016
(Premiere am 28. April 2016)

 

 

Wiener Staatsoper

Der Raum ist in magisches Blau gehüllt. Ein Mann steht am Fenster. Es ist Puccini, der mit dem Finale seiner Oper ringt: Es ist ein Anfang, der einem Originalfoto nachgestellt ist. Dann setzt er sich ans Klavier. Er ist rastlos und blättert unruhig in seinen Notenblättern. Dann öffnet er eine asiatische Spieluhr, die das Hauptmotiv aus Turandot spielt. Schnell öffnet er die Partitur, mutiert zu Kalaf und das Spiel beginnt. Denn erst jetzt setzen an der Wiener Staatsoper die ersten wuchtigen Töne von Giacomo Puccinis letzter, unvollendeter Oper, die sein Schüler Franco Alfano beendet hat, so wie sie hier auch gespielt wird, ein.

Diesmal hat es sich Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli leicht gemacht. Denn nicht nur der Anfang, sondern auch sonst erinnern alle anderen Bilder und Räume, ebenso wie diese Konzeption der Neuproduktion an der Wiener Staatsoper frappant an seine Inszenierung der Oper in Graz von 2014 und teils auch an jene bei den Bregenzer Festspielen vom Sommer vergangenen Jahres. Im ästhetisch durchgestylten, nur zu einem kleinen Teil mit asiatisch stilisierten Ornamenten ausgestatteten Einheitsraum verschwimmt immer wieder die Realität zu einer Traumwelt. Die schiefen Wände und der schiefe Boden, beides verschiebbar, deuten darauf hin. Das chinesische Volk ist ein in festliche Abendroben und Anzüge der 1930-er Jahre gestyltes Opernpublikum, das sensationslüstern auf Theaterstühlen die Show beobachtet. Die Kostüme stammen von Dagmar Niefind. Zur Unterhaltung der Gästeschar tragen eckig tanzende Harlekins, aber auch Salti schlagende und Spagat turnende Akrobaten, Schwertkünstler und als Highlight die Hinrichtungen der erfolglosen Verehrer der eisumgürteten Prinzessin bei. Die Minister Ping, Pang und Pong in grellbunten Kostümen und Masken wirken im zweiten Akt wie Pathologen in einem Seziersaal, wo alle abgeschlagenen Köpfe der Verehrer in Formalin-Behältern in Vitrinen ausgestellt sind. Das Finale der Inszenierung endet als Massenhochzeit des gesamten Chores wie auch von Turandot und Calaf, wobei sich letztere wie ein altes Ehepaar zum Schluss vertraut auf ein winziges Tischchen setzen. 

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zweifellos hat Marelli viele Ideen, die Geschichte der grausamen Prinzessin und ihrer diffizilen Rätsel zu erzählen. Die sind klar und verständlich, jedoch nicht unbedingt neu und erzielen trotz ihrer Symbolik nicht jene starke visuelle und ästhetische Wirkung, die man sonst von ihm gewohnt ist.

Foto © Michael Pöhn

Lise Lindstrom schafft die schwere dramatische Partie der Turandot mit wagnerischen Anforderungen an Umfang und Tonsprüngen sowie blitzenden Spitzentönen, die jedoch manchmal schneidend scharf werden, mit ihrem schlanken Sopran mühelos. Mit Innigkeit und großem Volumen berührt Anita Hartig als Liù, nur wurde sie schrecklich unförmig angezogen. Sie ist allerdings dem lyrischen Fach schon fast entwachsen. Dan Paul Dumitrescu ist ein zu idealer Timur. Exzellent als die drei Minister sind Gabriel Bermúdez als Ping, Carlos Osuna als Pang und Norbert Ernst als Pong, die zudem recht komisch inszeniert sind. Yusif Eyvazov, für den erkrankten Johan Botha eingesprungen, ist als Kalaf nicht unbedingt ein großer Schauspieler und nicht zwingend der sensibelste Sänger. Er verfügt aber über einen großen, auch bis in die höchsten Regionen kraftvollen und absolut sicheren Tenor mit einem etwas gewöhnungsbedürftigen Timbre und punktet mit der Paradearie Nessun dorma. Hervorzuheben sind auch noch der unverwüstliche Heinz Zednik mit seinem kostbaren Auftritt als alter Kaiser im Rollstuhl wie auch der durchschlagskräftige Chor, dessen Einstudierung Thomas Lang besorgte und der meist mit dem Graben im Einklang ist.

In diesem wirkt ein Staatsoperndebütant, der auswendig dirigierende Gustavo Dudamel. Er setzt Puccinis Partitur teils mit breiten Tempi, aber immer delikat und feinschillernd mit idealen exotisch-koloristischen Klangwirkungen und meist sängerfreundlich um. Wie wohl der Phonpegel bei den rein orchestralen Stellen manchmal recht gewaltig ist, wird vom Orchester der Wiener Staatsoper alles ungemein effektvoll und spannend wiedergegeben.

Das Publikum zeigt sich von allen Bereichen begeistert. Es jubelt ohne Widerspruch.

Helmut Christian Mayer