Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)
Besuch am
29. November 2015
(Premiere am 19. November 2015)
Gemütlich ist sie schon, diese warme Stube, wo die gesamte liebe Familie zusammensitzt. Mit einer Laterna magicabeginnt der Vater während der Ouvertüre wundersame Bilder an die Wand zu zaubern, die von den Kindern bestaunt werden. Plötzlich machen sich diese selbstständig und ganz überraschend fliegt eine Hexe über die Wand. Und dann – Hokuspokus – weitet sich der Raum immer mehr, und die zwei Kinder finden sich in einer Grimmschen Zauberwelt wieder.
Mit dieser Rahmenhandlung lässt Adrian Noble seine Inszenierung von Hänsel und Gretel an der Wiener Staatsoper beginnen, erstaunlicherweise die erste Produktion dieser populärsten Märchenoper von Engelbert Humperdinck, die meist die erste Begegnung der Kinder mit dem Genre Oper überhaupt darstellt, seit der Wiedereröffnung des Hauses 1955. Und angepasst an die Laterna magica, diesem optischen Wundergerät aus dem 19. Jahrhundert, sieht man immer kreisrunde Bilder, wie durch ein Kaleidoskop betrachtet, in Scherenschnitt-Optik, die von einem schwarzen Wald dominiert werden – die Ausstattung stammt von Anthony Ward. Mit zusätzlichen filmischen Projektionen, wie einem lächelnden, riesigen Mond, der auch mit den Augen blinzeln kann, schwirrenden Schmetterlingen oder einem riesigen, beobachtenden Auge der Hexe entsteht auch eine gewisse Fantasy-Atmosphäre. Während der schwebende Käfig, in dem Hänsel gefangen ist, mit dem riesigen Raben darauf und der große Backofen recht imposant wirken, nimmt sich das putzige, winzige Knusperhäuschen, das von unten aus der Versenkung erscheint, geradezu minimalistisch aus. Der Regisseur zeigt die Geschichte, deren Libretto von Adelheid Wette, der Schwester des Komponisten, stammt, und das absolut dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm folgt, sehr konventionell, ohne Neudeutungsversuche, frei von irgendwelchen tiefenpsychologischen Deutungen, durchaus geeignet für Jung und Alt, ohne Langeweile mit Märchenromantik und einigen faszinierenden Bilder. Nur hätte man sich in so mancher Szene, etwa der Pantomime, etwas mehr Fantasie und Poesie gewünscht.
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Die Stimmen entsprechen nicht unbedingt dem Staatsopernniveau, denn sie sind überwiegend unterdimensioniert, wiewohl beide Titelfiguren einspringen mussten. Denn die ursprünglich für den Hänsel vorgesehene Elisabeth Kulmann, die ja bedauerlicherweise der szenischen Oper den Rücken gekehrt hat, sagte ab, und Chen Reiss, die die Gretel singen sollte, erkrankte kurzfristig. Daniela Sindram singt einen stimmkräftigen und kompakten Hänsel. Ileana Tonca ist eine lebhafte, entzückende, kindliche Gretel mit relativ kleiner Stimme, weswegen sie auch manchmal in den Klangwogen des Orchesters untergeht. Beide singen und spielen mit natürlicher und jugendlicher Naivität. Michaela Schuster als Knusperhexe spielt listig-bösartig, wirkt aber eher humoristisch denn bedrohlich. Annika Gerhards hört man als glasklares, blitzsauberes Sand- und Taumännchen kaum. Stimmlich von der Krankheit noch etwas angeschlagen, singt Adrian Eröd den Vater Peter Besenbinder. Janina Baechle ist eine kaum verständliche Mutter Gertrud. Der Kinderchor der Opernschule, der von Johannes Mertl einstudiert wurde, und die Studierenden der Ballettakademie der Staatsoper, deren Choregraphie Denni Sayers besorgte, faszinieren durch ihre Spielfreude.
Was aber den Abend zum absolut zum Ereignis werden lässt, sind das Orchester der Wiener Staatsoper und Christian Thielemann, der sich die Oper ja gewünscht haben soll: Hier wird der spätromantische, von Richard Wagner unverkennbar und immens beeinflusste Orchestersatz, der mit Elementen der Volksmusik verbunden ist, mit seiner sprechenden Natur- und Waldschilderung wunderbar schillernd und delikat musiziert. Die vielen Feinheiten der Partitur werden in einem wahren Klangzauber weidlich und detailreich ausgekostet. Thielemann mischt wunderbar die Farben und modelliert den Klang, dass es eine Freude ist. Bei der Uraufführung 1893 in Weimar stand übrigens Richard Strauss am Pult des Orchesters.
Denn vielen anwesenden Kindern jedenfalls gefällt es. Sie spenden reichlich Applaus.
Helmut Christian Mayer