Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TANNHÄUSER
UND DER
SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG
(Richard Wagner)
Besuch am
14. Mai 2016
(Premiere am 4. April 2010)
Welcher Wagner-Freund, der die Worte der Gäste des Landgrafen beim Einzug in den Festsaal aus dem zweiten Aufzug des Tannhäuser vernimmt, hat sich nicht schon einmal gewünscht, genau diese Musik, diese Atmosphäre an historischem Orte zu erleben: Freudig begrüßen wir die edle Halle, wo Kunst und Frieden nur verweil. Ein Sängerkrieg auf der Wartburg, quasi am Originalschauplatz, ist ein besonderes Schmankerl für Wagnerianer oder solche, die es werden wollen. Der große Festsaal der Wartburg, mit seiner beeindruckenden Holzvertäfelung, bietet hier ein besonderes Ambiente und eine exzellente Akustik für eine halbszenische Darstellung von Wagners romantischem Frühwerk. Und es ist ein durchaus exklusives Erlebnis, denn nur 289 Plätze werden angeboten. Seit fünf Jahren bietet das Meininger Theater die besondere Aufführung des Tannhäuser auf der Wartburg an, und das Angebot wird vor allem von Reisegruppen, auch aus dem Ausland, gerne angenommen.
Natürlich stellt sich vorab die Frage, kann man auf tiefgreifende Regie und opulente Bühnenbilder verzichten, um eine romantische Wagner-Oper mit Leidenschaft und unter die Haut gehender Emotion aufzuführen? Man kann, und vielleicht ist es die reine Konzentration auf die Musik und den Gesang, um sich wieder auf die Ursprünglichkeit des Wagnerschen Schaffens einzulassen. Dann genügt die Interaktion der Sänger, ihr musikalischer und szenischer Ausdruck, um Wagner pur mit all seiner Leidenschaft und Emotion erklingen zu lassen.
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Wagner thematisiert den Konflikt von Liebe und Lust, von hoher Liebe und triebhaftem Begehren, von Religion und Eros, eine Spannung, die bis zum Parsifal für den Menschen wie den Künstler Richard Wagner bestimmend sein sollte. Tannhäuser ist der Künstler, der durch seinen Aufenthalt im Venusberg zum gesellschaftlichen Außenseiter geworden ist und im Sängerwettstreit die Wartburg-Gesellschaft am Hofe des Landgrafen Hermann mit seinen Ansichten über die Liebe als höchstes Lebenselixier offen provoziert. Auf seiner Pilgerschaft nach Rom bestätigen sich seine Vorurteile über die Doppelmoral der Kirche und des Papstes. Einzig Elisabeth versteht sein inneres Dilemma und ist bereit, sich für seine Seele zu opfern. Der Glaube an ihre reine Seele rettet den Verlorenen.
Ansgar Haag führt die Personenregie, die sich aufgrund der Enge des Raumes auf die Mimik, Gestik und Interaktion der Sänger untereinander konzentriert. Da der Zuschauer sehr dicht am Geschehen dran ist, die Auf- und Abgänge der Sänger zwischen den Stuhlreihen erfolgen, hat man hier eine intensivere, auch intimere Annäherung an die Handlung, man ist quasi einer der vielen Gäste des Landgrafen Hermann in seiner Halle. Kerstin Jacobssen hat den Raum dafür geschaffen, ein kleines Podium, ein Laufsteg, ein paar Stühle, hier konzentriert sich die Handlung und fügt sich wunderbar in den Festsaal ein. Die Kostüme von Stephanie Geiger passen sich der Zeit des Geschehens nach historischen Vorlagen gut an und vermitteln dem Zuschauer das Gefühl, an einer Zeitreise ins frühe Mittelalter teilzuhaben. Venus im tiefroten Samtkleid als Göttin der Liebe, Elisabeth zunächst im reinen weißen Kleid, im dritten Aufzug im klassischen Nachtblau, während die Ritter in fantasievolle Gewänder gekleidet sind.
Paul McNamara in der Titelrolle hat an diesem Abend mit einer starken Erkältung zu kämpfen. Sein Duett mit Venus kann er zu Beginn noch kraftvoll gestalten, doch die Stimme wird zunehmend belegter, was zu einer Ansage vor dem zweiten Aufzug führt, in dem er nicht alle Phrasen aussingen kann und auf die meisten dramatischen Höhen verzichten muss. Dadurch spart er aber etwas Kraft, um die fordernde Romerzählung im dritten Aufzug trotz der vernehmbaren Indisposition gut durchzustehen und sie auch noch mit starkem Ausdruck zu gestalten. Sein baritonal gefärbter Tenor ist trotz der Indisposition kraftvoll in der Mittellage und ausdrucksstark in den Höhen. Sein szenisches Spiel zeugt von einem großen Verständnis dieser Partie.
Camila Ribero-Souza als Elisabeth ragt mit ihrem klaren, jugendlich-dramatischen Sopran an diesem Abend aus der Sängerriege heraus. Ihre Höhen sind von heller Leuchtkraft geprägt, intelligent ist ihre Stimmführung. In der Hallenarie im zweiten Aufzug wechselt sie die Register vom zarten Piano in strahlkräftige Höhen, ihr Gebet im dritten Aufzug ist Ausdruck von tiefster Innigkeit und Beseeltheit.
Dae-Hee Shin verkörpert die Rolle des Wolfram von Eschenbach mit lyrischem Bariton und hochkultiviertem Liedgesang und überzeugt durch stimmliche und ausdrucksstarke Präsenz. Im Sängerstreit ist er der Kontrapunkt zu Tannhäusers rauer Dramatik, sein Lied an den Abendstern im dritten Aufzug ist einer der sängerischen Glanzpunkte dieser Aufführung.
Bettine Kampp gibt die Partie der Venusmit warmem Mezzo-Timbre und klug eingesetzten dramatischen Höhen, die im forte allerdings manchmal etwas schrill klingen, und setzt stimmlich und optisch den reizvollen Kontrast zur Darstellung der Elisabeth.
Ernst Garstenauer gibt den Landgrafen Hermann mit markantem Bass und großer Textverständlichkeit. Marián Krejcik ist ein ausdrucksstarker Biterolf, und Monika Reinhard singt die Solostelle des Hirten mit klarem und jugendlichem Sopran. Daniel Szeili als Walther von der Vogelweideüberzeugt mit klarem Tenor, Stan Meus als Heinrich der Schreiber und Mikko Järviluoto als Reinmar von Zweterergänzen stimmharmonisch ein gutes Sängerensemble.
Chor und Extrachor des Meininger Theaters sind von Martin Wettges hervorragend eingestimmt und begeistern ebenfalls durch klaren Ausdruck und voluminöser Intensität, sei es aus dem Seitengang oder oben von der Empore. Die Pilgerchöre, der Einzug der Gäste und vor allem das große Finale, ein stimmgewaltiger Klangkörper. Zum Schluss zieht der Chor in den Festsaal ein, ein besonderes optisches und akustisches Erlebnis für die knapp 300 Zuschauer.
Die Meininger Hofkapelle überzeugt an diesem Abend ebenfalls durch einen harmonischen Klangkörper, aus dem die Bläser sauber hervorragen. Hervorzuheben ist die Solo-Harfe, die mit besonders anrührendem Spiel den Tannhäuser begleitet. Die Ouvertüre in der Konzertfassung ist dramatisch kraftvoll und dynamisch, das Venusberg-Motiv ist stark akzentuiert, während die Melodie der Pilger zurückhaltend und weihevoll klingt. Philippe Bach leitet die Meininger Hofkapelle mit deutlich klarem Gestus und großem Engagement. Er wechselt klug die Tempi und begleitet die Sänger, besonders in den Duetten Tannhäuser mit Venus und Elisabeth, mit großer Sensibilität und beweist Mut zum Forte, ohne die Sänger dabei zu überdeckeln. Insgesamt ist sein Dirigat unprätentiös und dem Werk dienend. Da er im Rücken der Sänger steht und die Einsätze nur über kleine Monitore zu sehen sind, der Chor im Seitengang steht oder auf der Empore versammelt ist, muss er besonders präzise schlagen und dabei die besondere Akustik des Festsaals berücksichtigen, was ihm auch gut gelingt.
Das Publikum, in erster Linie touristische Reisegruppen und im dritten Aufzug etwas unruhig, spendet freundlichen Beifall, honoriert aber insbesondere die Leistungen von Camila Riberto-Souza, Dae-Hee Shin und spendet dem tapferen Paul McNamara trotz der vernehmbaren Indisposition aufmunternden Applaus.
Diese halbszenische, konzertante Aufführung des Tannhäuser ist für einen Wagner-Freund, der dieses Werk in mittelalterlichem Gewande an historischem Orte genießen möchte, eine gute Empfehlung, zumal der Zuschauer in den Pausen auch noch die Museumsräume der Wartburg besichtigen kann.
Andreas H. Hölscher