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Es ist noch nicht allzu lange her, da sah es für die heurigen Festspiele der Arena di Verona gar nicht gut aus: Eine Überschuldung von weit über 20 Millionen Euro, Streiks der Belegschaft, die sogar in Bürobesetzungen gipfelten, die Einsetzung eines Sonderverwalters aus Rom statt eines Intendanten. Aber jetzt scheint es dem mit drastischen Sparmaßnahmen, Lohnkürzungen, Auflösung des Ballettcorps und beabsichtigten Frühpensionen doch gelungen zu sein, den Opernbetrieb für dieses Jahr zu sichern.
Es wäre aber auch immens schade gewesen, das traditionelle, seit 1913 existierende Festival in der Romeo-und-Julia-Stadt sterben zu lassen. Denn das Publikum kommt immer noch in Scharen, so auch am diesjährigen Eröffnungswochenende, auch wenn es heuer aus budgetären Gründen während der gesamten Saison keine einzige Neuinszenierung, sondern nur Reprisen von Regie-Urgesteinen gibt.
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Echte Pferde, Maultiere, ein buntes, bewegungsreiches Treiben in den Massenszenen mit vielen kleinen Handlungssträngen auf Nebenschauplätzen. Ein fast ständig eingesetztes Ballett, farbenfrohe, traditionelle, folkloristische Kostüme, ein naturalistisches Sevilla mit vielen Häuschen, einem Marktplatz und bunten, riesigen bemalten Prospekten, die die Szene verorten, besonders stimmungsvoll und sehenswert machen sich die Felsenillusionen im dritten Akt: Bereits aus dem Jahr 1995 stammt Franco Zeffirellis Inszenierung und Ausstattung der Carmen von Georges Bizet. Der Grandseigneur der klassischen, konservativen, italienischen Operninszenierungen schrammt dabei schon öfters an der Kitschgrenze entlang, überfrachtet gewollt die Szenerie und vermag mit seiner großen Arena-Erfahrung die riesigen Dimensionen des römischen Amphitheaters virtuos auszunützen. Und er trifft damit genau den Publikumsgeschmack. Natürlich bleiben immer ein konservativer Traditionalismus und unbedingte Werktreue sein wichtigstes Credo, aber genau deshalb reist das Publikum ja hierher in die malerische Stadt am Fluss Etsch. Neu sind auch riesige, mehrsprachige Übertitel auf der Seite, die aber am Gesamtbild eher stimmungszerstörend wirken.
Auch diesmal kann sich das Sängerensemble mit Einschränkungen wieder hören lassen: Luciana d’Intino ist eine altersmäßig schon etwas reife, mit kleinen, hörbaren stimmlichen Verschleißerscheinungen aber immer noch stimmgewaltige, raffiniert und differenziert singende Carmen, der es jedoch an Erotik fehlt. Weniger überzeugen kann da schon Jorge de León trotz aller perfekten Spitzentöne als Don José wegen seines reichen Vibratos. In der finalen Mordszene vermögen jedoch beide auch darstellerisch ungemein zu packen und bescheren dem Publikum großes Opernkino. Ekaterina Bakanova ist eine feinsinnige und innige Micaela mit herrlichem Sopran und wird am meisten umjubelt. Dalibor Jenis wirkt als Escamillo eher blass. Es fehlt ihm auch die für diese Partie nötige Tiefe. Auch die Schmuggler und die vielen weiteren kleineren Rollen wie auch der gut einstudierte Chor weisen kaum Schwachstellen auf. Hierbei stechen besonders Gianfranco Montresor als Dancairo, Paolo Antognetti als Remendado sowie Martina Karbeli als Frasquita und Clarissa Leonardi als Mercedes hervor. Insbesondere das Schmugglerquintett gerät trotz mörderischer Tempi des Dirigenten ganz hervorragend.
Diese Schwachstelle am Pult ist jedoch enorm: Denn Dirigent Xu Zhong leitet das Orchester der Arena di Verona mit riesigen, gleichförmigen Zeichen und teils extrem straffen Tempi, wodurch zahlreiche Feinheiten und Farben wie auch viel an mitreißender Leidenschaft verloren geht. Es gelingt ihm auch wegen der riesigen Dimensionen der Arena nicht immer optimal, den Riesenapparat an Musikern, Chor und Sängern zusammenhalten.
Großer Jubel im vollen Rund von einem begeisterten Publikum, das auch immer wieder reichlich Zwischenapplaus spendet und zu Beginn der Akte traditionell die kleinen Kerzen anzündet, was der Arena zu einer magischen Stimmung verhilft.
Helmut Christian Mayer