Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
JESUS CHRIST SUPERSTAR
(Andrew Lloyd Webber)
Besuch am
2. Juli 2016
(Premiere)
Zwei Fragen bewegten Andrew Lloyd Webber, als er mit gerade einmal 21 Jahren mit Tim Rice eine – wie er es nannte – Rockoper erschuf, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Was bedeutet der Starkult um Jesus, und was wäre, wenn Jesus heute lebte? Gewiss, er zeigte seine künstlerischen Antworten darauf zum ersten Mal bereits am 12. Oktober 1971 im New Yorker Mark-Hellinger-Theater in der Regie von Tom O’Horgan. Aber die Fragen sind heute vielleicht noch drängender und globaler, als Webber es sich hätte träumen lassen.
Also beauftragt das Theater Trier den Regisseur Martin G. Berger, zum Ende der Spielzeit das Rockmusical Jesus Christ Superstar zu inszenieren, und gibt als Spielort die Versandhalle des ehemaligen Walzwerks im Stadtteil Alt-Kürenz vor. Intendant Karl M. Sibelius möchte daraus gern eine dauerhafte Außenspielstätte seines Theaters und ein Kulturzentrum entwickeln. Bislang reicht es nicht einmal für Hinweisschilder. Aber das freundliche Personal, so man es denn anspricht, hilft gern ungefähr weiter. In der Halle ist im Eingangsbereich Platz für ein improvisiertes Foyer geschaffen. Das Catering präsentiert wenig Auswahl – wenigstens wird man hier nicht mit der Brezel erschlagen; stattdessen gibt es das Frikadellen-Brötchen à la Rocko, das sich in nichts von jedem anderen Frikadellen-Brötchen dieser Welt unterscheidet – ebenso wie die Getränke zu Großstadtpreisen. Sehr imposant. Weniger eindrucksvoll ist die Ausschilderung der Sitzplätze, die für reichlich Verwirrung bei den Besuchern sorgt. Und schließlich darf man auch in einer improvisierten Spielstätte einen pünktlichen Beginn der Veranstaltung erwarten.
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Zumal, wenn es sich um eine so fulminante Inszenierung handelt, wie sie Berger mit seinem Team vorbereitet hat. Sarah-Katharina Karl, Architektin und Bühnenbildnerin, hat eine Doppelbühne, eine Janus-Bühne geschaffen. Die annähernd 650 Zuschauer sind auf zwei Tribünen aufgeteilt. Auf der hinteren Bühne, vom Eingang aus gesehen, ist eine Greenbox eingerichtet. Rechts hinten befindet sich eine Schlafstätte, davor findet die Band Platz. In der Mitte zwei Computer-Arbeitsplätze und links eine Fläche für Show-Acts. Die Rückwand, die im Laufe der Handlung eingerissen wird, trennt die vordere Bühne ab, die als Arbeitsbereich eingerichtet ist. Bei beiden befindet sich mittig oben auf der Rückwand eine Leinwand, auf der eingangs ein Trailer gezeigt wird und später Teile der Handlung sowie Untertitel projiziert werden. Um all das kümmert sich der Regisseur, während Silke Bornkamp sich bemüht, einerseits Kostüme für die Geschäftemacher im Show-Business, die verschiedenen Rollen für die Chöre und andererseits die Show-Kostüme für die Solisten zu besorgen.
Berger verlegt das Stück in die Jetzt-Zeit. Jesus als Star, der in Fernsehauftritten à la MTV, aber auch in Internet-Videokanälen auftritt. Die Klickzahl hat die Quote abgelöst. Also laufen unentwegt filmende Mitarbeiter über die Bühne. Zusätzlich sind zwei Kameras fest installiert. Das Ergebnis von Daniel M. G. Weiß ist auf den Leinwänden zu begutachten. Jesus, der an sich selbst zweifelnde Führer einer Gemeinschaft, deren Gesetze sich verselbstständigen – der Messias steht bei Berger nur noch als Platzhalter für all unsere Führer von heute. Die Masse, die ihrem Führer zujubelt, ehe sie seine Kreuzigung verlangt, ist bekannt und sorgt für jede Menge Trubel auf der Bühne und der Leinwand. Leben findet nicht mehr statt, sondern wird inszeniert. Das ist alles schlüssig. Führt aber in der Regie zu Kompromissen.
Um auf beiden Bühnen gleichermaßen präsent zu sein, muss der Ton zu wesentlichen Teilen über die Lautsprecher laufen. Mit der Folge, dass die Töne häufig nicht zuordenbar sind. Die Kameraführung ist oft unpräzise. Das erzeugt nicht nur abgeschnittene, sondern teils auch unverständliche Bilder auf der Leinwand. Das parallele Gewusel auf der Bühne gibt da auch nicht mehr Aufschluss, sondern sorgt für den visuellen Überfluss.
Die Arbeit mit Projektionen ist nicht neu. Und da dürfte man doch auf eine Weiterentwicklung hoffen. Aber offenbar sind die Grenzen im Theater derzeit erreicht, und damit stellt sich die Frage, ob im Theater ein Kintopp-Ersatz die Unmittelbarkeit ersetzen kann. Berger zeigt, dass das nicht funktioniert. Auch wenn die Sängerdarsteller mitunter in Nahansicht zu erleben sind, bringt das nicht die Authentizität der Bühne.
Trotzdem schlagen sich die Musicaldarsteller wacker und begeistern mit den Evergreens das Publikum. David-Michael Johnson interpretiert Jesus als allzeit hinterfragenden Führer, der sich nicht als Führer fühlt. Sasha di Capri zeigt den Judas, wie von Lloyd Webber gewollt, nicht als Verräter, sondern als jemanden, der die gute Sache zu retten versucht. Gesanglich überzeugt er wie Johnson auch in extremen darstellerischen Situationen. Sidonie Smith zeigt eine Maria Magdalena, die sehr an der Oberfläche bleibt. Überraschend oft wechselt Christopher Ryan als Kaiphas die Tonlagen vom Bass zu Bariton und zurück. Simon Zealotes ist mit Tobias Bieri exzellent besetzt. Die übrigen Rollen werden adäquat interpretiert. Eindrucksvoll zeigen sich Chor und Extrachor des Theaters Trier in der Einstudierung von Angela Händel, die überdies mit viel Spielfreude zu Werke gehen.
Dean Wilmington hat die Musik neu arrangiert und mutig um rund eine Dreiviertelstunde gekürzt. Gratulation! Was an musikalischer Leistung seiner Band, die er genauso akkurat dirigiert wie die Chöre, dank der Technik abgeht, findet sich an Stringenz in seiner Neufassung wieder.
Das Publikum im trotz Fußball-Europameisterschaft nahezu ausverkauften Saal applaudiert langanhaltend im Stehen und Johlen. Eine einzige Buh-Stimme für das Leitungsteam kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in den zahlreichen Folgevorstellungen zwar noch so einiges einschleifen muss, aber – wenn man sich mit der Tonqualität abfindet – eine fulminante, ungewöhnliche und schlüssige Aufführung auf die Zuschauer dieser Vorstellungen wartet.
Michael S. Zerban