Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Gunnar Laak

Aktuelle Aufführungen

Stadt der Liebe

SWAN BONE CITY
(Ülo Krigul)

Besuch am
25. Juli 2016
(Uraufführung)

 

 

Kuressaare, Saaremaa

In Finnland gibt es Savonlinna, in Estland ist das Pendant die Bischofsburg aus dem 14. Jahrhundert in Kuressaare auf der Insel Saaremaa. Seit 2008 organisiert hier Eesti Kontsert ein sommerliches Opernfestival.  Dazu gehört dieses Jahr auch eine Uraufführung, komponiert von Ülo Krigul, der sich trotz seiner Jugend schon international einen Namen gemacht hat. Sein Werk Swan Bone City, das sich als „Schwanenknochenstadt“ wörtlich übersetzen lässt, entstand schon 2012 und hat den Prinz-Pierre-von-Monaco-Kompositionspreis erhalten, wird aber erst jetzt uraufgeführt.

Die allegorische Handlung ist einfach: Der mythische Mondschwan erzählt die Geschichte des verliebten Architekten, der die Liebe seines Lebens erobern will. Sie besteht aber darauf, dass er ihr eine Stadt baut, in der sie sich wohl fühlt. Er baut und baut, doch in keiner seiner Kreationen findet die Liebe Menschlichkeit. Sie beweint diese Tatsache, der Architekt ist verzweifelt, baut noch höher, noch gewagtere Strukturen. Immer noch kein Einklang zwischen dem Liebhaber und seiner Liebe. Der Mondschwan befragt den Architekten, vielleicht ist es die falsche Frau für ihn. Er besteht darauf, sie sei die einzige Liebe für ihn. Da entschließt sich der Mondschwan, ihm das Geheimnis zu verraten, womit er die Liebe glücklich machen kann: Die Stadt darf keine Mauern haben, es sollen Schwanenknochen sein, die stark und durchsichtig weil hohl sind. Der Mondschwan opfert seine Federn hierfür, und so kann endlich eine Struktur gebaut werden, wo Liebe, Geist und Träume aufblühen können.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Libretto basiert auf einer Kurzgeschichte der jungen Dichterin Kristiina Ehin, in der Bearbeitung von Taavi Eelmaa und Marianne Körver.  Eben diese einfache, poetische und allegorische Geschichte, die von Ülo Krigul sehr effektvoll umgesetzt wird, erweist sich einfach als zu wenig, um eine Oper von 80 Minuten zu tragen. Nach einer dritten Wiederholung, auch wenn es auf Lateinisch, Estnisch und Englisch gesungen wird, kommt die Geschichte nicht voran.  So liegt die Last der Weitererzählung auf dem Komponisten.

Foto © Gunnar Laak

Krigul entwickelt seine eigene musikalische Sprache, aber die basiert eindeutig auf dem sehr fertilen Humus einer klassischen Ausbildung mit Einflüssen von Jazz, Blues, Rap und Pop. Die guten Geister von Gershwin, Bernstein ebenso wie Björk haben den Komponisten inspiriert. Da sind lyrische, sphärische Klänge ebenso wie Rap-Wiederholungen und kantigen Jazzrhythmen zu hören.  Und doch ist eine eindeutige Persönlichkeit zu erkennen. Geschrieben ist es für ein Kammerorchester mit erweiterter Schlagzeugbesetzung.  Hier wird es interessant: Marimbaphone, Vibraphone ebenso wie eigens von Vambola Krigul dafür erfundene und gebaute Instrumente sorgen für die „Schwanenfedertöne“.

Geleitet wird das Tallinn-Kammerorchester und der Estnische Philharmonische Kammerchor von Risto Joost, der wahrscheinlich keinen Einfluss auf die elektronische Regelung der Wiedergabe hat. Hier merkt man, dass die kurze Probenzeit vor Ort nicht ausreichte, um die richtige Balance zu finden – oft wird das Orchester so laut aufgedreht, dass es die Sänger völlig überdeckt. Warum überhaupt eine elektronische Verstärkung sowohl für das Orchester wie für die Sänger gebraucht wird, bleibt unverständlich. Auch wenn das Aufführungszelt keine optimale Akustik verspricht, so wäre die Kraft und Musikalität der natürlichen Töne wesentlich effektvoller ohne Verstärkung gewesen. Wie zu erwarten im traditionsreichen und musikalischen Estland, ist die Qualität des Orchesters und des Chores auf sehr hohem Niveau.

Die Regisseurin Marianne Körver und der Bühnenbildner Kristjan Suits haben sich eine abstrakte Welt ausgedacht. In monochromen, schwarzweißen Schattierungen mit urbanen Projektionen von Emer Värk werden elementare Kreise und Triangeln aus vielstufigen Plattformen symbolisch zum Bau der Strukturen des Architekten angehoben. Der Mond bleibt die Domäne des Schwanes, der im Scherenschnittprofil seine Geschichte anfängt. Triinu Pungits hat dazu Kostüme entworfen, die die seelische Verfassung der Figuren spiegeln.

Drei Hauptrollen hat das Stück: Allen voran sei die Sopranistin Iiris Vesik als Mondschwan genannt. Unverkennbar im Timbre beeinflusst von Björk, ist sie ein zierliches Engelswesen, das für diese Rolle geradezu prädestiniert ist – mit ihrem hohen, hellen und sehr individuellen Sopran prägt sie das Fabelwesen. Helen Lepalaan gibt der Rolle der Liebe Würde und Wehmut mit ihrem schönen und ausdrucksreichen Mezzosopran. Der Bariton Marius Peterson hat eine etwas undankbare Rolle als unglücklicher Liebhaber, der verzweifelt sucht, aber immer nur mit dem Kopf und nicht dem Herzen. Erst mit der Aufopferung des Mondschwanes erkennt er, dass es um innere Werte geht.  

Das weitgehend estnische Publikum bejubelt den Komponisten und das gesamte Ensemble im sehr imposanten Theaterzelt – auf gutes Wetter ist in diesen nördlichen Breitengraden kein Verlass. Es bleibt zu hoffen, dass das Werk auch anderswo aufgeführt wird. Verdient hat es das allemal.

Zenaida des Aubris