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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Pedro Malinowski

Aktuelle Aufführungen

Spanische Rhapsodien im Remix

SPANIEN IM REVIER
(Neue Philharmonie Westfalen)

Besuch am
28. Juni 2016
(Konzert)

 

Neue Philharmonie Westfalen,
Festspielhaus Recklinghausen

In großer orchestraler Besetzung mit gut 80 Musikern lädt die Neue Philharmonie Westfalen (NPW) das Revier zu einem musikalischen Abstecher nach Spanien ein – wer möchte ihr in diesem Sommer da nicht gern folgen? Rasmus Baumann, seit 2014 musikalischer Leiter der NPW, vordem im Musiktheater Gelsenkirchen tätig, hat sich eine Reihe von neuen Projekten vorgenommen, die dem Sinfoniekonzert-Zyklus des Orchesters aus Recklinghausen einen neuen Klang geben soll. Mit diesem Konzert, das er als eine Art „Wunschkonzert“ anbietet, wendet er sich der spanischen Folklore zu, die nicht zum ersten Mal die klassische Musikszene inspiriert. Auch wenn mehrere Komponisten dieses Abends aus Frankreich kommen, die Liebe zu Spanien und zu Elementen der spanischen Folklore verbindet sie.

Das klingt bereits im ersten Stück La procesión del Rocío op. 9 an, in dem der Spanier Joaquín Turina 1913 die Farbklänge einer Marienprozession in ein breites musikalisch-impressionistisches Gemälde verwandelt. Nach einer Tutti-Eröffnung mit starker Bläserpräsenz ertönen zarte Streicherpassagen mit solistischen Einlagen. Eine quasi erzählende Musik lässt die Prozession musikalisch vorbeiziehen, Becken und Pauken setzen starke Akzente. In einer Art Triumphmarsch endet die Prozession.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Mike Svoboda, ausgewiesener Musikexperte auf vielen Gebieten und einer der wenigen Posaunenvirtuosen, demonstriert mit seinem Instrument, was es heißt, musikalische Klassiker respektlos zu „verwursten“. Diesmal trifft es Georges Bizet und seine an Spanien erinnernden Ohrwürmer aus Carmen, die Svoboda unter dem Titel Love hurts zu einem komischen Remix verarbeitet, in dem er selbst die Rolle eines Musikclowns übernimmt. Zwar glänzt immer wieder seine virtuose Beherrschung des Instruments – und einiger seiner Teile – auf, Svoboda greift aber auch auf andere „Instrumente“ zurück. Wo er ein Rohr oder einen Schlauch und Trichter findet, da bläst er hinein. Wer ihn hört und beobachten kann, wundert sich nicht zu erfahren, dass die Uraufführung 2003 im Rahmen eines Karnevalskonzertes stattfand. Ihm geht es wohl mehr um lustvolle Originalität als um musikalisch stimmige Virtuosität.

Mike Svoboda - Foto © Jens Klatt

Nach der Rhapsodie für Orchester Espana aus dem Jahr 1883 von Emmanuel Chabrier im zweiten Teil und de Fallas Tanzvariationen, die schon ein wenig mehr versöhnen als der erste Teil des Abends, erklingen mit Maurice Ravels Rapsodie espanole endlich vertrautere sinfonische Klänge, die eine klarere Struktur erkennen lassen. Auch hier gibt es ein ostinates Rhythmusfundament, das in seiner Stringenz stark an Ravels Bolero erinnert. Zu Beginn überraschen die Streicher mit einem ungewohnten Fortissimo, das die Flöten übernehmen und zu einem klaren, flirrenden Horizont aufspannen, bevor das vierstufig abwärts springende Thema einsetzt. In vielen Wiederholungen variiert Ravel das Thema mal melodisch-romantisch, mal jenseitig entrückt, lässt es von Instrument zu Instrument in schönen Melodiebögen weiterreichen oder mit Kastagnetten ins Spanische rücken. Mit einer längeren Tanzsequenz endet Ravels Rhapsodie, die noch am ehesten für unsere Hörgewohnheiten „spanisch“ klingt. Erst mit seiner Rapsodie espanole bringt die NPW ein Orchesterstück, in dem sich spanische Originalität, kompositorische Kreativität und Klangreichtum zu einer konzertanten Einheit verschmelzen. Während der erste Teil des Programms noch recht breit klingt, gelingt es Baumann und der NPW im zweiten Teil deutlich besser, Stimmungen herauszuspielen und Akzente zu setzen.

Sieht man einmal von Svobodas Remix und seiner Sonderstellung im Programm ab, bleiben die übrigen Kompositionen wenig originell, dem Eingangsstück La procesión fehlt ein überzeugender Aufbau. Auch Chabriers und de Fallas Kompositionen erreichen nicht die Originalität und harmonische Struktur, mit der Ravel überzeugt.

So erleben die Zuhörer ein „Spanien im Revier“, dessen kompositorische Beiträge mit Ausnahme von Ravel blass bleiben und denen es kaum gelingt, den spanischen Sommer nach Recklinghausen zu holen. Ob Baumann und die NPW mit einem solchen „neuen“, lockeren Konzept ein neues Profil für das Orchester finden, bleibt offen. Ein auch für Recklinghausen eher zurückhaltender Beifall bestätigt das.

Horst Dichanz