Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
I'M SEARCHING FOR I:N:R:I
(Fritz Kater)
Besuch am
19. Juni 2016
(Uraufführung am 18. Juni 2016)
Es sind die kleinen Katastrophen, die privaten Kriege, die verloren gehen – gegen wen auch immer. Fritz Kater alias Armin Petras reiht sie zu einem Alltagschaos, zu seiner „Kriegsfuge“ aneinander und bringt sie als ständiges Trümmerfeld auf die Bühne.
Elektronisch-sphärische Klänge, mal flirrend, fast schneidend, mal als wildes Donnerknallen wie aus nächster Nähe, ein ständiges dumpfes Hintergrundgrollen sind die einzigen musikalischen Elemente, die Wolfgang Siuda als Begleitmusik setzt. Doch die Hunderte von weißen Trümmerstücken zerbrochener Bauplatten, die klirrend, klappernd, wuchtig zersplitternd den ganzen Bühnenboden bedecken, bilden eine schneidende, nie endende Begleitmusik ungewohnter Art. Den Darstellern gelingt kein Schritt, zu dem nicht diese nervende, auch schmerzende Begleitmusik der klappernden Bruchstücke ertönt.
Musik | |
Gesang | |
Regie | |
Bühne | |
Publikum | |
Chat-Faktor |
Jeder Schritt, ob barfuß oder in Schuhen, ob liegend oder sitzend, ist schmerzhaft und zeigt Ausschnitte aus dem Leben in Deutschland von 1941 bis 1989. Es sind Fragmente, die zwischen Berlin, Bonn-Bad Godesberg und einem Eifelhotel hin- und herspringen und auch mal einen Abstecher nach Havanna oder in ein Eifelhotel zeigen – aneinander gefügt wie die Themen einer Fuge. Dazwischen Alltags-Menschen in ihren Alltagssituationen, die sich „auch nach und nach nicht zu einem Ganzen“ zusammenfügen lassen.
Darum scheint es Jossi Wieler, dem 2018 scheidenden Intendanten der Staatsoper Stuttgart, in dieser Inszenierung auch nicht zu gehen. Beinahe unverbunden stellt er die dreizehn Szenen nebeneinander und überlässt es weitgehend den Schauspielern, Verbindungen herzustellen. Die Stationen von Rieke, einer Büroangestellten, und Maibom, einem Reporter, ehemaligem Bomberpiloten und Nazijäger, sind weder exemplarisch noch auf besondere Weise dramatisch, sie „machen Geschichte, ohne dass ihnen das so richtig bewusst ist“. In langen Dialogen und Monologen, die häufig wie Selbstgespräche wirken, denken die Protagonisten über sich selbst, den Partner, ihre Lebensgeschichte nach und verlieren sich. Schwarzweiße Filmeinblendungen rufen Erinnerungen wach oder verstärken eine finstere, perspektivlose Stimmung. Assoziationen zu Zeitdokumenten oder Filmsequenzen von Böll über Antonioni bis zu Rilkes Orpeus und Eurydike geben mehr Rätsel auf, als dass sie Antworten geben. Die Episoden, die Geschichten führen wie „Brücken über Leeres“.
Gewissheiten kann der Zuschauer nicht erwarten in dieser Sammlung von Fragmenten, in denen André Jung als von Alter und Lebenskatastrophen gezeichneter Maibom und Fritzi Haberland als Rieke und in zwei anderen Figuren in ausdrucksstarken Rollen brillieren. Vor allem ihnen gelingt es durch ihr intensives, berührendes Spiel, über gut zwei Stunden eine Spannung aufrecht zu halten, die das Stück selbst kaum hergibt. Vor allem Haberland genügen winzige Änderungen des Ausdrucks, um die Züge einer anderen Figur zu beleben. Doch auch Matti Krause in der Rolle des jungen Mannes überzeugt durch ein sensibles, eher zurückgenommenes Spiel, das ihm nur selten emotionale Ausbrüche erlaubt. In eher schrillen Figuren setzen Manja Kuhl und Lucie Emons Kontrapunkte. Mit schwarzweißen Videoeinspielungen unterstützen Chris Kondek und mit harten Lichteffekten Felix Dreyer und Rainer Eisenbraun die kühle Bühnenatmosphäre, die lediglich in der Schlusssequenz eine vorsichtige Zuwendung zwischen Rieke und Maibom aufkommen lässt.
Wieler überlässt in seiner Inszenierung viele Interpretationen den Besuchern, ohne „Illusionen im Kopf“ bleibt manches ungelöst und dissonant. Ein aufmerksames, konzentriert zuhörendes Publikum verfolgt dieses Sprechstück gut zwei Stunden lang und bedankt sich vor allem für eine schauspielerische Leistung besonderer Art.
Horst Dichanz