Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Armin Smailovic

Aktuelle Aufführungen

Das Ding mit der Bastardkomödie

DON GIOVANNI. LETZTE PARTY
(Antú Romero Numes)

Besuch am
14. Juni 2016
(Premiere am 13. Juni 2016)

 

Ruhrfestspiele Recklinghausen,
Großes Haus

Erinnerungen an Mozarts Don Giovanni? Sie sind unvermeidlich, auch gewollt – aber sie helfen nicht. Antú Romero Numes nimmt das „frei nach“ sehr wörtlich und inszeniert eigentlich so um „das Ding Don Giovanni“ herum, in dem Figuren der Vorlage auftreten, hier und da eine bekannte Musikpassage erklingt und das Publikum die Arie Reich mir die Hand, mein Leben mitsummen darf … Also keine „moderne Fassung“ der berühmten Mozartoper? Richtig – etwas Neues, anderes, Schräges, das mit einer „Bastardkomödie“ treffend beschrieben ist und in der sich der Edelmann und Lebemann hedonistisch durch seine Gesellschaft vergnügt – an erster Stelle: bei den Frauen.

Sebastian Zimmer „lebt“ in dieser Rolle des Verführers: Flippig, ständig in Bewegung, umflattert er alle weiblichen Wesen, die in seine Nähe kommen, und fühlt sich am wohlsten – unter deren Rock. Galant, eloquent, immer ein wenig golden glänzend, umgarnt er Donna Anna, Donna Elvira oder auch Zerlina, das Leben ist ja so kurz. Auch eine, seine Lebensphilosophie hat er parat, mit der er gern und ausführlich den Damen seine edlen und anderen Absichten erläutert. Da muss ihm sein Diener Leporello immer mal wieder beispringen, mal eben eine kleine Lüge einflechten, den Entrüsteten spielen oder um Verständnis heischen – der echte närrische Diener einer Komödie. Doch Mirco Kreibich als Leporello, der über die Bühne mehr schlurfende als gehende Clown, bewährt sich auch als Sprechtrainer und Dirigent: Gut 15 Minuten beschäftigt er zu Beginn das Festspielpublikum mit Sprechübungen, wie sie vor dem Stück noch Claus Peymann in seinem Festvortrag vehement gefordert hatte, und die Recklinghäuser atmen laut und vernehmlich aus und ein, sprechen Aahh´s und Oohh´s, husten und sprechen im Chor Blablabla – frei nach Mozart. Mit viel Spiellust und clownesker Doppelbödigkeit füllt Kreibich diese Rolle aus, zum großen Vergnügen des Publikums. André Szymanski gibt der Rolle des Don Ottavio leicht verträumte Züge, brilliert aber mit einem nicht endenden Sprechsolo, das den Zuschauern einen Szenenapplaus wert ist.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Damenrollen der Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina sind mit Lisa Hagmeister, Cathérine Seigert und Cornelia Schirmer frech und schrill besetzt. Karin Neuhäuser bringt einen finsteren Commendatore. Eine sechsköpfige Damen-Rockband mit Catharina Boutari, Gesang, knallt mal kurze Akzente, mal fetzige Songs in die Szenen und zeigt unüberhörbar, dass sich Last und Lust bis heute kaum verändert haben. Mit drei großen konzentrischen Kronleuchtern gelingt Paulus Vogt eine Lichtinstallation, die viele Variationen zulässt.

Foto © Armin Smailovic

Die Aktivisten auf der Bühne, gar nicht so fern von Mozart, teilen mit Don Giovanni dessen Lebensphilosophie „Mach, dass mit Weinen sie sich besaufen, dann wird was laufen. Du wirst schon sehen“. Auch wenn Mozart nur ab und zu und in kleinen Tonfolgen zitiert wird, ist der Anarchist und die Freiheit liebende freie Künstler auf der Bühne ständig präsent. Viva la libertà. Ob für diese Botschaft die zahlreichen Wechselspiele und der ausgiebige Ehedialog im kurzen zweiten Teil nützlich sind, ist fraglich. Nicht nur den Zuschauern, die die Pause nutzen, um diese letzte Party vorzeitig zu verlassen, ist der Teil durchaus entbehrlich. Für die Handlung ist er unerheblich, für die Dramaturgie eher schädlich.

So erhält Leporello noch einmal die Gelegenheit, an Mozarts Musik zu erinnern, indem er mit dem Publikum leise summend das Reich mir die Hand, mein Leben … anstimmt, um bei verlöschendem Licht „das Ding“ für diesen vergnüglichen Abend zu beenden. Beschwingter Beifall beendet einen unterhaltsamen Abend, bei dem doch zahlreiche Besucher die Mozartsche Musik vermissen.

Horst Dichanz