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Die Stücke des gerade mal 40-jährigen Dramatikers Iwan Wyrpajew werden europaweit, auch auf deutschen Bühnen, gespielt. Dazu ist er als Theater- und Filmregisseur viel gefragt. Die Oper hat er aber bisher gemieden. Renata Borowska, die Intendantin des Teatr Wielki Poznan, die gerne bekannte Künstler ohne Opernerfahrung engagiert, um dem Genre neue Sichtweisen abzugewinnen, hat nun Wyrpajew für eine erste Opernarbeit gewinnen können und ihm Modest Mussorgskis Boris Godunow, das russische Volksdrama schlechthin, anvertraut.
Ganz im Gegensatz zu seinen gesellschaftskritischen, teils radikalen Theatertexten, vermeidet Wyrpajew in seiner Inszenierung jeden Anflug von Aktualisierung. Geradezu konventionell arrangiert er große Tableaus, verzichtet fast gänzlich auf szenische Aktion und setzt nur mit gelegentlichen symbolisch wirkenden, synchronen Bewegungen Akzente. Das Volk wird als Masse ohne Eigencharakter gezeigt, dem Boris, sein Apparat und seine Kontrahenten gegenüberstehen. Auch sie werden statuarisch geführt und entwickeln ihre Persönlichkeit ganz aus der Musik heraus. Mit wenigen Andeutungen kommt auch das Bühnenbild von Anna Met aus, zu dem die prächtigen, stilvollen Kostüme von Katarzyna Lewińska im Kontrast stehen. Es zeigt im ersten Teil ein stilisiertes Gotteshaus mit Zwiebeltürmen im Hintergrund. Nach der Pause wird der Polen-Akt vor einem kunstvoll bestickten Teppichvorhang auf der Vorderbühne gespielt, der bei der Verwandlung zu den Moskau-Bildern des letzten Aktes hochgezogen wird und den Blick auf eine nebelverhangene Nacht freigibt, in der nur ein hell angeleuchtetes Grabeskreuz für ein wenig Licht sorgt. Überwältigend gerät das Finale. Da kniet der weißgewandete Chor vor dem Kreuz, dass der Narr umklammert, während Schnee auf die Erde fällt.
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Wyrpajews minimalistischer Ansatz, der nur anfangs als mangelnde szenische Phantasie gedeutet werden könnte, sich aber im Laufe des Abends immer mehr zu einer Einheit verdichtet, bewirkt eine Konzentration auf die Musik, die ohne szenische Ablenkung umso grandioser wirkt.
Boris Godunow wird in Poznan in der um den Polenakt erweiterten Fassung von 1872 und in der schroffen Originalinstrumentation Mussorgskis gespielt. GMD Gabriel Chmura malt die vielschichtigen Klangfarben mit großem Pinsel aus und formt mit dem Orchester des Teatr Wielki ein musikalisches Drama voller Wucht und Leidenschaft.
Volumen bietet der von Mariuz Otto zu Höchstform vorbereitete Chor. Rafał Siwek ist ein menschlicher Boris mit profundem Bass. Zum ebenbürtigen Widerpart wird Krysztof Bączyk, der die lange Erzählung des Pimen stimmgewaltig wiedergibt. Mit Stanisław Kuflyuk als besonders wohlklingendem Rangoni, Rafał Korpik als vitalem Bettelmönch Warlaam, Piotr Friebe als scharf charakterisierendem Schuiskij, dem blutjungen Andrzej Filończyk, der nach seinem letztjährigen sensationellen Tonio im Bajazzo als Geheimschreiber seine außergewöhnliche Begabung untermauert, und dem feinsinnigen Bartłomiej Szczeszek als Narren, verfügt das Teatr Wielki über ein bestens aufgestelltes Männerensemble. Zwischen ihnen behauptet sich Magdalena Wachowska als gebieterische Marina, die den falschen Dmitrij von Rafał Bartminski mit sinnlich-loderndem Gesang umgarnt. Dieser zeigt sich in den heldentenoralen Aufschwüngen als nicht immer sattelfest, weiß aber seinem Tenor auch zurückhaltende Nuancen abzugewinnen.
Ungewöhnlich starker Jubel im fast ausverkauften Teatr Wieki.
Karin Coper