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Es fällt schon schwer, einen Satz wie den von Heinrich I. im dritten Aufzug von Lohengrin heute kommentarlos stehen zu lassen, wenn er sagt: „Für deutsches Land das deutsche Schwert“ oder „Wohlauf! Mit Gott für Deutschen Reiches Ehr!“ So klar waren die Verhältnisse im Europa des 10. Jahrhunderts wohl nicht. Überhaupt wundert sich der Zuschauer beim Besuch der jetzt in Osnabrück aufgeführten Wagner-Oper Lohengrin, 1882 in Bayreuth uraufgeführt, über eine weitgehend werknahe Inszenierung, die dieses „Bühnenweihfestspiel“ in seiner heute nur schwer erträglichen gestelzten Sprache und ihren verblasenen Nationalmythen stehen lässt. Lediglich den ebenfalls mythengeladene Schwan und seinen Ritter Lohengrin löst Regisseurin Yona Kim auf und ersetzt ihn durch Dutzende von Minischwänen, Spielzeugtieren ähnlich, fast niedlich. So zerbrechen der Mythos des mit der Unterwelt vertrauten Schwans und des zum Gral gehörenden Ritters Lohengrin gleichzeitig. Wagner, der konzeptionell durchaus der „Deutschen Oper“ des 19. Jahrhunderts nahestand, bleibt musikalisch vielfach der langsam schwindenden Romantik verbunden, in deren Gefolge er sentimental-gefühlvolle Musiken ebenso schafft wie majestätisch-wuchtige Passagen mit mancher „deutschen“ Konnotation.
Yona Kim, inzwischen mit deutschen Theatern bestens vertraute Regisseurin und Librettistin, bringt in Osnabrück einen eher traditionellen Lohengrin auf die Bühne, der den Vorgaben des Librettos weitgehend folgt. Margrit Flagner und Hugo Holger Schneider schaffen eine karg ausgestattete, häufig hinter einem Gazevorhang verschwimmende Bühne, auf der nur einige, auf den Seitenflächen schlecht zu erkennende Projektionen und eine Hintergrundprojektion den Bezug zur Handlung herstellen. Die Kostüme erinnern an k.-u-k.-Zeiten, der Chor erscheint in einem fahlen Weiß-Grau. Kim hat das Orchester in den hinteren Bühnenraum platziert und dadurch den Bewegungsraum der Protagonisten erheblich eingeschränkt. Das mag mit dazu führen, dass den Zuschauern auf der Bühne relativ wenig Bewegung geboten wird, der Gesamteindruck bleibt recht statisch.
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Lohengrins erster Auftritt, mit ausladenden Engels- oder Schwanenflügeln üppig ausgestattet, stellt die Verbindung zum Gral und der Gralsrunde her, zu der sich auch Lohengrin berufen fühlen darf. Die Bedeutung des Grals bleibt verborgen, nur so viel verrät Lohengrin, dass in die Runde der Gralsritter nur die „Reinen“ berufen werden. Die Aufführung lässt die Variationen der zahlreichen Grals- Interpretationen weitgehend offen, Beziehungen zur Christus-Mythologie sind deutlich erkennbar. Lohengrin selbst stellt schließlich den Bezug zur Artus-Sage und seiner Tafelrunde her. Die Frage der von ihm geliebten Elsa nach seiner Herkunft beantwortet Lohengrin feierlich vor dem König mit dem Hinweis auf die Gralserzählung und offenbart seine Identität als Sohn des Gralskönigs Parzival.
Die von Tenor Chris Lysack gespielte Figur des Lohengrin bleibt vor allem in den ersten beiden Aufzügen darstellerisch und stimmlich überraschend blass. Erst nach der zweiten Pause kann sich Lysack steigern, gewinnt stimmlich an dramatischem Ausdruck und füllt diese zentrale Figur auch darstellerisch. Als sein direkter Gegenspieler Friedrich von Telramund überzeugt mit sicherer, etwas harter Baritonstimme Rhys Jenkins. José Gallisa beherrscht als König Heinrich mit schönem, tragendem Bass die Szene. Lina Liu gibt der Elsa von Brabant mit weichem, klarem Sopran besonders in verhaltenen Szenen viel Ausdruck, Andrea Baker als Telramunds Gattin zeigt mit dramatischem Mezzosopran eine temperamentvolle, ausdrucksstarke Ortrud. Besondere Publikumssympathien kann sich Dennis Sörös mit hellem Bariton als Heeresrufer des Königs erwerben.
Mit einem erweiterten Opernchor und dem Osnabrücker Symphonieorchester hat Daniel Inbal einen Wagner-erprobten Klangkörper zur Verfügung, der ihm vor allem in dramatischen Passagen kraftvoll folgt. Mit weichen, gefühlvollen Einsätzen und kraftvollen Fortissimo-Passagen lässt der Chor die Zuhörer die Dynamik der Wagnerschen Musik fühlen.
Die Widersprüche und Spannungsverhältnisse von Macht und Kunst, von politischem Erfolg und privatem Glück, die Wagner zu seiner romantischen Oper Lohengrin inspirierten, sind dem Komponisten als verfolgtem Anhänger der französischen Revolution durchaus persönlich vertraut, als er Dresden verlassen muss, um sich in der Schweiz niederzulassen. Auch wenn manche Episode und Figur an diese Zeit gebunden ist, Wagners Musik hat die Zeit überdauert und begeistert mit ihrem Klang und wuchtigen Ausdruck bis heute die Zuhörer – wie mehrere bekannte Arien auch in Osnabrück belegen. Da summt mancher Besucher still gerne mit. Das Publikum bedankt sich für eine klangvolle Wagner-Aufführung mit minutenlangem, stürmischem Beifall.
Horst Dichanz