Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Stephan Walzl

Aktuelle Aufführungen

Überraschend anspruchsvoll

CRISTINA, REGINA DI SVEZIA
(Jacopo Foroni)

Besuch am
21. Mai 2016
(Deutsche Erstaufführung)

 

 

Oldenburgisches Staatstheater

Über 30.000 Opern sollen in den letzten 400 Jahren komponiert worden sein – da müsste man doch noch lohnende Werke wiederentdecken können, die nicht im Standard-Repertoire vertreten sind. Oldenburg kann das. Nach Aufführungen in Schweden 2007 und beim Wexford-Festival 2013 sicherte sich nunmehr das Oldenburgische Staatstheater die deutsche Erstaufführung eines Werkes eines völlig zu Unrecht vergessenen Zeitgenossen Verdis. Jacopo Foroni, der wegen seines politischen Engagements für die Unabhängigkeit Italiens nach der Rückkehr der Österreicher 1848 fliehen musste, schrieb als 24jähriger Komponist die Oper Cristina, Regina di Svezia, mit der ihm in seiner neuen Heimat Schweden der künstlerische Durchbruch gelang. Dabei ist erstaunlich, dass das Sujet einige mehr als ungewöhnliche Elemente enthält, deren Umsetzung auf der Bühne man sich zur Entstehungszeit kaum vorzustellen vermag.

Die Musik integriert Elemente des Belcanto, des späten Verdi und Mendelssohn zu einem eigenständigen Format. Komplexe, vielschichtige Farbschattierungen im Orchestersatz und sehr anspruchsvolle Gesangspartien bilden die Grundlage für ein außerordentlich effektvolles Opernerlebnis. Rätselhaft, warum das Werk so lange unbeachtet blieb. Noch unverständlicher, dass das Werk und sein Schöpfer danach so lange in Vergessenheit gerieten. Foroni starb jünger noch als Mozart, mit nur 33 Jahren an der Cholera in Stockholm. Hätte er womöglich eine Konkurrenz des übergroßen Verdi werden können, wäre er denn nicht an die Peripherie des künstlerischen Europas nach Schweden gegangen?

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die äußere Handlung zeigt eine sehr unkonventionelle, den Künsten zugeneigte und teilweise verschwenderische Königin Cristina von Schweden nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges als Herrscherin und einsame Frau, die ihre Liebe zu Gabriele nicht erwidert sieht und nach ihrer Erziehung zu männlicher Geradlinigkeit und Härte auf den Druck ihrer königlichen Verpflichtung gespalten und mit eigentümlichen Verhaltensweisen reagiert. So agiert sie offen zynisch mit unerwartet forschen, dann wieder zugewandten Reaktionen auf die Menschen in ihrem Umfeld.  Als der königliche Rat eine Verschwörergruppe, der sich auch Gabriele angeschlossen hat, zum Tode verurteilt, setzt sie das Urteil aus und führt den Mann, den sie liebt, mit seiner erwählten Maria zusammen. Sie selber dankt ab, konvertiert zum Katholizismus und widmet sich den Künsten, der Philosophie und letztlich der Sehnsucht – ein erstaunliches Ende einer Oper im stramm protestantischen Umfeld.

Foto © Stephan Walzl

Regisseur Michael Sturm zeichnet den Lebensweg dieser Frau schon in der Ouvertüre mit dem Bild der kleinen Cristina nach, die als Kind in großer Ehrfurcht und Schüchternheit von den übergroßen Bildern ihrer Vorfahren, allesamt in starrer, herrschaftlicher Pose, fast erschlagen, auf jeden Fall für die Zukunft geprägt wird. Als die übergroßen Gemälde im zweiten Teil der Oper in einigen Szenen abgenommen werden, wirkt das wie der Versuch, der übergroßen Macht der königlichen Familie und der Geschichte erfolglos zu entrinnen.

Ein Leitmotiv zur Charakterisierung Cristinas ist ihre homoerotische Beziehung zu Frauen, die nicht nur in der Umarmung Marias, der Geliebten von Gabriele, deutlich wird. Sturm nutzt diese auch in historischen Quellen zumindest ansatzweise beschriebene Prägung der Titelfigur behutsam als zusätzliches potenzielles Erklärungsmoment für deren teilweise harsches und aus großer Einsamkeit motiviertes Verhalten.

Bühnenbild und Ausstattung von Stefan Rieckhoff lassen die gesamte Handlung in einem Raum unter den Blicken dieser übergroßen Ahnengalerie stattfinden. Die Kostüme sind tendenziell zeitlos und könnten aus den 60-er Jahren dieses Jahrhunderts stammen. Sturm und Rieckhoff gelingt insgesamt ein in Bild und Spiel atmosphärisch und in der Klarheit der Personenführung unmittelbar einprägsames und äußerst schlüssiges Konzept.

Miriam Clark ist Cristina. Sie bewältigt die ungeheure Spannweite der Partie mit ihren strengen darstellerischen und gleichzeitig koluraturgespickten Momenten meisterhaft. Sie lebt in Stimme und Darstellung diesen ungewöhnlichen Charakter – eine großartige Leistung. Melanie Lang wirft sich ebenso rückhaltlos und differenziert in die diffizile Rolle der Maria Eufrosina. Die graue Eminenz des Axel Oxenstierna singt Ill-Hoon Choung einfühlsam und mit großer baritonaler Stimmkraft. Paulo Ferreira gibt den Gabriele de la Gardie mit belkantischem Schmelz und darstellerischer Hingabe. Cristinas Nachfolger Carlo Gustavo wird von Daniel Moon überzeugend gesungen, könnte jedoch in der schauspielerischen Wirkung stärker zulegen.

Die weiteren Partien sind mit Tomasz Wija als Arnold und dem Johan von Philipp Kapeller gut vertreten. Alexander Murashov als Erik und die Voce Interna der Anna Avakian sind mit Mitgliedern des Opernstudios am Oldenburgischen Staatstheaters ebenfalls sehr überzeugend besetzt. Der Opern- und Extrachor des Oldenburgischen Staatstheaters unter der Leitung von Thomas Bönisch glänzt gesanglich und darstellerisch mit sichtlicher Freude auch an den spielerischen Elementen der Handlung.    

Vito Cristofaro dirigiert das glänzend disponierte und begeisterungsfähige Oldenburgische Staatsorchester enthusiastisch und mit kraftvollen, farbenfrohen Akzenten, dabei mit viel Einfühlungsvermögen für die Sänger.

Die Oldenburger lieben ihr Theater. Nicht enden wollender Applaus und Ovationen für alle Beteiligten. Bravorufe für alle Solisten der Hauptpartien. Diese deutsche Erstaufführung und exzellente Neuproduktion darf kein Operninteressierter verpassen. Und dann gibt es da auch noch Margherita, die ebenso unbekannte Oper von Foroni, die auf ihre Wiederaufführung wartet.

Achim Dombrowski