Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jutta Missbach

Aktuelle Aufführungen

Wo Liebe mit Besitz verwechselt wird

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
29. Mai 2016
(Premiere)

 

 

Staatstheater Nürnberg

Ein Vater versteckt seine Tochter vor der Welt, um sie zu beschützen und zu kontrollieren, doch die Welt ist stärker, holt sich die Tochter – so vielleicht in Kurzfassung die Tragik einer Vater-Tochter-Beziehung in einer Männerwelt.

Im Nürnberger Opernhaus erlebt die populäre Oper Rigoletto von Giuseppe Verdi eine solche, etwas zugespitzte Deutung durch die Inszenierung von Verena Stoiber. Sie beschränkt das Geschehen auf einen Platz, umgeben von bröckelnden Hausfassaden mit hohen Fenstern. Diese Szenerie verändert sich nur wenig; anfangs feiert hier eine Hochzeitsgesellschaft süditalienischen Zuschnitts, und auch die Kleidung der Leute lässt auf den Mezzogiorno schließen und an mafiöse Zustände denken. Diese leicht schäbige Ausstattung von Sophia Schneider korrespondiert aufs beste mit den inneren Zuständen einer von Männern dominierten Gesellschaft. Also ist hier der Herzog ein reicher, gewissenloser Macho, der abgewirtschaftete Graf Monterone aber ein schmuddeliger Alter, der mit einer Plakataktion nach seiner verschwundenen Tochter sucht, wofür ihn der ganze genervte Ort verlacht, denn man weiß ja, wer der Schuldige war … Pflichtgemäß verspottet ihn auch Rigoletto, was einen schweren Fluch nach sich zieht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dieser Rigoletto aber ist hier kein Buckliger oder ein Hofnarr, sondern ein Mann, der dem Herzog nach dem Mund redet, weil er sich davon Vorteile erhofft. Die Verkleidung eines Zirkusclowns aber legt er nur an, wenn er verzweifelt ist, wirklich zu sich kommt, nicht nur eine Rolle spielt; möglicherweise deutet sie auf seinen früheren Beruf hin. Denn er schleppt in dieser Maskierung während der Ouvertüre seine da noch kleine Tochter Gilda quer über die Bühne, bevor die eigentliche Handlung in eine deprimierende Gegenwart entführt. Das folgende frohe Fest, das dank des unverschämten Auftretens des Herzogs jäh gestört wird, bildet nur einen Kontrast zu der bald sich anbahnenden Katastrophe. Denn Gilda, schäbig angezogen, ist verbannt, eingesperrt in einen unterirdischen Verschlag, den sie nur selten verlassen darf. So fällt sie umso leichter auf die Liebesschwüre des vermeintlichen Studenten, des Herzogs, herein, als er sie im Hof überrascht. Als er sie verlassen muss, ritzt sie sich Arm und Bein mit einem Messer; und am Schluss, als sie sich für den untreuen Geliebten in der düsteren Kulisse der Spelunke von Sparafucile opfert, liegt sie nicht sterbend im Sack, denn der enthält nur einen Koffer, sondern ersticht sich vor den Augen ihres Vaters. Dass Rigoletto mit seinem Auftreten die Macho-Gesellschaft auch provoziert und dabei das Maß verliert, wird drastisch vorgeführt, als er einen Stierkopf herbeischleppt und höhnisch verlangt, der gehörnte Bräutigam, Ceprano Suren Manukyan, solle auch geköpft werden. Das bringt die Leute des Ortes, eine in sich abgeschlossene Gesellschaft, endgültig gegen ihn auf. Als er versucht, das böse Spiel fortzusetzen mit der Entführung der schönen Braut, Zinovia Zaferiadou Vidovic, wird er hereingelegt; denn er bekommt einen Schweinskopf aufgesetzt, durch den er nichts mehr sieht. Zu spät merkt er, dass er bei der Entführung der eigenen Tochter mitgewirkt hat, die nun den lüsternen Blicken und obszönen Gesten der Männer ausgesetzt ist und schließlich dem Herzog ausgeliefert wird. Mit dem Verlust ihrer Unschuld und später mit ihrem völlig unverdienten Tod erfüllt sich der Fluch von Monterone.

Michaela Maria Mayer - Foto © Jutta Missbach

Diese Verkettung schrecklicher Schicksalsschläge aber wird durch die wunderbare Musik Verdis nahezu vergessen gemacht. Zwar lässt Marcus Bosch am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg gleich zu Anfang in der Ouvertüre wuchtige Gewalttätigkeit und traurige Düsternis aufscheinen, aber mit dem heftigen Kontrast fast überhitzter Fröhlichkeit beim Fest beginnt ein Reichtum an differenzierten, stimmungsvollen Farben, an Innigem, Prallem, Dramatischen oder auch an Natur-Impressionen wie beim Gewitter; das Orchester vollzieht das aufmerksam mit, und Bosch achtet dabei auch auf die Sänger; so lässt er sich sehr viel Zeit bei der berühmten Arie der Gilda Caro nome. Besonders beeindruckt der von Tarmo Vaask einstudierte, fein ausgewogene Männerchor, der recht realistisch als gaffende, bedrohliche Masse eingesetzt ist. Auch wenn dieser Rigoletto äußerlich kaum dem gewohnten Bild eines körperlich benachteiligten, verunsicherten alten Mannes entspricht, so kann Mikolaj Zalasinski allein durch seine kraftvolle Stimme begeistern, die er beeindruckend sicher und immer schön klingend bei der hervorragenden Gestaltung seines Schmerzes und seiner Verzweiflung einzusetzen vermag. Vor allem die Duette mit seiner Tochter Gilda sind Höhepunkte der Aufführung. Michaela Maria Mayer erfüllt darstellerisch diese Rolle sehr anrührend und kann mit ihrem runden, schönen Sopran, dem man manchmal etwas mehr mädchenhafte Ausstrahlung wünschen würde, sehr gefallen, auch wenn sie manchmal wohl der Aufregung geschuldete Unsicherheiten beim Ansatz der Stimme hören lässt. Der berühmte Frauen verachtende Herzensbrecher, die Arie La donna è mobile, wird von David Yim als Herzog aus voller Kehle geschmettert, und auch sonst erreicht sein etwas enger Tenor mühelos die geforderten Höhen; etwas mehr verführerischer Schmelz hätte aber der Rolle gut getan. Dem Sparafucile von Alexey Birkus fehlt für einen echten Schurken die schwarze Tiefe, und seine Schwester Maddalena, als Prostituierte sehr sexy, wird durch Ida Aldrian mit nicht allzu dunklem Mezzosopran sicher gesungen. Als geschäftiges Hausmädchen Giovanna ist Solgerd Isalv eingesetzt, und Marullo, Vikrant Subramanian, sowie Borsa, Yongseung Song, gefallen stimmlich als unangenehme Vertreter der Orts-Gemeinschaft. Der Fluch des Monterone aber deutet von vorneherein auf das schlimme Ende hin; Jens Waldig gibt so ein Bild der absoluten Trostlosigkeit ab und unterstreicht das mit seinem etwas weichen Bass.

Für alle Mitwirkenden, vor allem aber für die Darsteller des Rigoletto und der Gilda sowie für Orchester und Dirigent, gibt es im voll besetzten Haus jubelnden Beifall. Als aber das Regieteam auf der Bühne erscheint, erschallen von den oberen Rängen von einer Gruppe junger Leute laute Buhrufe. Das verstehen die Menschen im Parkett nicht: „Wissen Sie vielleicht, was denen nicht gefallen hat?“ Und so erbebt das Haus lange von widerstreitenden Äußerungen.

Renate Freyeisen