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Überfällig

LES PÊCHEURS DE PERLES
(Georges Bizet)

Besuch am
16. Januar 2016
(Live-Übertragung)

 

Metropolitan Opera New York
im Cineplex Münster

Das Duett Au fond du temple saint gehört zu den berühmtesten und schönsten Melodien der Opernwelt. Die Oper, aus der es stammt, ist indes kaum bekannt. Auch an der Metropolitan Opera in New York steht Les pêcheurs de perles, die Bizet 1863 komponierte, seit 100 Jahren nicht mehr auf dem Spielplan. Doch für Sopranistin Diana Damrau muss etwas Besonderes her, hatte Peter Gelb beschlossen. Und für die Damrau ist die Rolle der Priesterin Leїla so wichtig, dass sie mit ihr ihre vier Monate währende Genesungsauszeit beendet. In der Tat ist es aus musikalischen Gründen mehr als überfällig, dass diese Oper auch dank der weltweiten Kinoübertragung wieder in das Gedächtnis eines breiten Publikums gelangt.

Einer Anekdote zufolge soll Librettist Michel Carré gesagt haben: „Hätte ich gewusst, welch wundervolle Musik Bizet komponiert, hätte ich mir mehr Mühe mit dem Text gegeben.“ Ja, hätte er nur. Denn man braucht gar nicht Text in den an sich so hilfreichen Untertiteln auf der Leinwand mitzulesen, um die Schwächen dieser holzschnittartigen Abfolge und den stellenweise sehr oberflächlichen Aussagen zu erkennen. Regisseurin Penny Woolcock hat die Aufgabe übernommen, das Werk in Szene zu setzen. In der heutigen Zeit funktioniert die Handlung über religiöse Riten, Freundschaft und eine Dreiecksbeziehung erstaunlich gut, aber wirklich herausholen kann sie auch mit einer ganz soliden Personenführung aus der Oper sonst nichts.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zum Glück gibt es ja noch andere Komponenten für einen visuellen Erfolg. Für die Kinobesucher sind daher Bühnenbild, Kostüme, Licht und Projektionen ein Glücksfall. Dick Bird siedelt die Handlung an Stegen und Wellblechhütten mit Blick auf eine im Hintergrund liegende Metropole an. Dementsprechend sind auch die Kostüme von Kevin Pollard eher den Einheimischen verpflichtet, und die anzugtragenden Touristen fallen umso mehr auf. Sie hoffen auf exotische Perlen, menschliche wie materielle. Das kurze Vorspiel der Oper setzt das Unternehmen 59 Projections beeindruckend in Szene. Die Bühne wird zum Meer, zwei Taucher, gespielt von Tänzern, tauchen, umgeben von Luftblasen, auf den Grund hinab und wieder hinauf. Auch der an den verheerenden Tsunami erinnernde Sturm im zweiten Akt sowie die Überblendungen im dritten Akt werden durch beeindruckende Projektionen bestimmt. Jen Schriever taucht die Szenen in das passende Licht.

Matthew Diamond gelingt es mit einer recht guten Kameraführung inszenierungsbedingte Schwächen zu überspielen, hat aber die deutliche Tendenz, die Poren der Sängerhaut zu zeigen. Gegenüber den letzten Kinoübertragungen hat sich der Ton etwas verbessert, bleibt aber leicht matt. Doch die Sänger kommen trotzdem zu ihrem Recht. Gerade mal vier Solisten braucht die Oper, die aber Anspruchsvolles zu leisten haben. Für Nicolas Testé ist das in der kleinen Rolle des Nourabad noch relativ einfach. Da auch er mit einem schönen, gepflegten Bass aufwartet, fällt gegen diese klassische ménage à trois aus Sopran, Tenor und Bariton nicht ab.

Foto © Ken Howard

Diana Damrau ist wie zu erwarten eine Offenbarung aus Spiel und Gesang, der man sofort abnimmt, dass ihre Leidenschaft für den Jäger Nadir ihren religiösen Eid überwindet. Matthew Polenzani tritt als Nadir gleich in die Fußstapfen von Enrico Caruso und liefert wohl eine seiner besten Rollen an der Met ab. Wunderschön auf Linie singend und auch zu kraftvollen Tönen fähig, rechtfertigt er die Wahl der Leїla. Einfach ist diese Entscheidung dennoch nicht gewesen, denn auch sein bester Freund und gleichzeitig Rivale Zurga ist mit dem energiegeladenen Bariton Mariusz Kwiecien eindrucksvoll und würdig besetzt. Sehr viel hat auch der von Donald Palumbo einstudierte Chor zu tun, der diese wunderschönen Melodien noch einen Hauch schöner und reiner hätte aussingen dürfen.

Mehr als nur schöne Untermalung kommt aus dem Orchestergraben, wo Gianandrea Noseda mit dem Orchester der Met quasi auf Entdeckungsreise durch die unbekannte Partitur geht. Es ist deutlich zu merken, wie sich in New York und in Münster das Publikum zurücklehnt und sowohl die musikalische wie auch visuelle Raffinesse in sich aufnimmt. Die Rückkehr der Perlenfischer ist gelungen und macht hoffentlich Schule.

Christoph Broermann