Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)
Besuch am
8. November 2015
(Premiere am 31. Oktober 2015)
Legendär sind sie, die Märchen der Gebrüder Grimm. Einst konnte man in einer Kundenrezension bei einem Versandhändler, der das Märchenbuch auslieferte, die entsetzte Reaktion einer Mutter lesen: Dieser Stoff sei ja viel zu brutal, um ihn ihren Kindern vorzulesen. Über manche Operninszenierung kann man heute nahezu das gleiche sagen. Auch Humperdincks Adaption des Märchens Hänsel und Gretel hat in seiner Aufführungsgeschichte vor allem in jüngerer Zeit manche Interpretation erlebt, die bei der Freiwilligen Selbstkontrolle – FSK – kaum eine Freigabe unter 18 bekommen hätte. Nicht so am Theater Münster. Da musste man angesichts der ersten Aufführungsfotos befürchten, den Rückfall in verstaubtes Theater zu erleben. Klassisch-traditionell ist sie, die Inszenierung von Andreas Beuermann, aber langweilig auf gar keinen Fall. Vielleicht braucht das Theater Münster genau so etwas jetzt vor Weihnachten mal. Ein richtig herziges Familienerlebnis, in das man von der Oma bis zum Enkelkind zusammen reingehen kann.
Viel muss man über die Regiearbeit gar nicht sagen. Beuermann erarbeitet eine im besten Sinne konventionelle Nacherzählung des Stoffes mit viel, aber nicht zu viel Bewegung, die sich genau auf die Musik bezieht. Auffälligste Aktualisierung ist in diesem Kontext, die Knusperhexe als Drag Queen auftreten zu lassen. Christian Floeren – verantwortlich für Bühne und Kostüme – hat sich neben diesem Klischee in Glitzer ansonsten viel Mühe mit werktreuer Umgebung gegeben. Der Bühnenzauber, den er mit dem Videodesigner Daniёl Veder entfacht, gibt der ganzen Aufführung fast das Flair eines Kinoabends, das erst zum Ende hin ein ganz klein wenig verblasst. Da fliegen Besen über die rückwärtige Leinwand der Bühne, ein Bild verbrennt und die Drehbühne verwandelt das Elternhaus in einen finsteren Wald. Die Sterne formen sich beim Vorspiel in den Titel Hänsel und Gretel, und wenn die Kinder im Wald einschlafen, lugt selbst das Mondgesicht auf sie herab. Etwas Kitsch muss man schon vertragen können. Aber irgendwie ist das alles richtig, richtig süß gemacht.
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Langweile kommt auch nicht auf, weil Stefan Veselka, Erster Kapellmeister des Hauses, mit ordentlich Tempo an die Partitur heran geht. Im Vorspiel treffen die beiden großen Leitthemen der Musik noch mit differenzierter Dynamik aufeinander. Das Motiv des Abendsegens offenbart in den Blechbläsern übernatürlichen Tiefgang. Wie ein Irrlicht geistert das Motiv der Hexe dazwischen, bis es wiederum von dem übermütigen Kindergehopse abgelöst wird. Ein bisschen mehr Ordnung täte dem Klang im Orchestergraben gut. Doch ansonsten spielt das Symphonieorchester Münster mit viel Verve auf. Veselka nutzt diesen spielfreudigen Apparat richtig gut aus und bringt wahrlich Leben in die Bude.
Die Sänger ziehen mit. Lisa Wedekind als Hänsel und Henrike Jakob als Gretel liefern sich einen musikalischen Dialog vom Feinsten. Ein paar nicht ganz so schöne Töne bei beiden – ansonsten gelingen die Rollenportraits mit Auszeichnung. Und wie die Maske eine gut aussehende Frau wie Lisa Wedekind in einen Lausbuben verwandelt, ist schon wirklich eine Leistung für sich. Boris Leisenhammer fehlt ein Quäntchen vokaler Zauberkraft für die Hexe, doch das macht er mit Präsenz und Einsatz ganz locker wieder wett. Peter Besenbinder ist in der Erscheinung von Gregor Dalal ein sympathischer Zeitgenosse mit herrlicher Stimme. Auf diesem stimmlichen Niveau kann die angestrengt klingende Suzanne McLeod als Mutter nicht ganz mithalten. Katarzyna Grabosz singt interessanterweise das Taumännchen eine Spur klarer als das ganz ähnlich komponierte Sandmännchen. Die erlösten Kinder werden von dem Kinderchor des Gymnasiums Paulinum und der Westfälischen Schule für Musik besonders stimmschön gesungen. Hier gilt der Dank Rita Stork-Herbst und Jörg von Wensierski.
Für eine bessere Textverständlichkeit könnte das Theater Münster auch bei dieser Oper mit Übertiteln arbeiten, denn nicht alle Sätze erschließen sich fast automatisch wie die berühmten Lieder Brüderchen, komm tanz mit mir und Ein Männlein steht im Walde. Das bunt gemischte Publikum klatscht angesichts dieses schönen Opernabends fast schon ein bisschen zu verhalten am Ende einer kurzweiligen Aufführung. Spontanen Szenenapplaus gibt es, als die Hexe im Ofen landet. Das ist natürlich nicht brutal, sondern einfach märchenhaftes Theater, wo das Güte über das Böse siegen darf. Wer das nicht verträgt, sollte lieber beim so genannten Reality-TV mancher privaten Fernsehsender sein Glück versuchen.
Christoph Broermann