Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Pogo Zach

Aktuelle Aufführungen

Im Namen der ewigen Liebe

VIKTORIA UND IHR HUSAR
(Otto Nicolai)

Besuch am
24. Juni 2016
(Premiere am 16. Juni 2016)

 

Gärtnerplatztheater
im Prinzregententheater

Die Operette Viktoria und ihr Husar des ungarischen Komponisten Paul Abraham ist heute auf der Bühne in Vergessenheit geraten, lediglich ihre Melodien wie Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände oder Meine Mama kam aus Yokohama finden sich auf vielen Operettenquerschnitten auf CD. Doch den meisten Liebhabern dieser Musik ist das Schicksal des Komponisten und der Librettisten Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald, die unter anderem auch für Franz Lehár arbeiteten, weniger bekannt. Nach dem großen Erfolg der Uraufführung in Budapest im Februar 1930 und dem genauso großen Erfolg der deutschen Uraufführung in Leipzig nur wenige Monate später, konnte dieses Trio mit den Operetten Blume von Hawaii und Ball im Savoy weitere Welterfolge auf die Bühne bringen, die weichenstellend waren für die Entwicklung des Musicals.

Durch seine modernen Kompositionen, in denen er traditionelle Elemente mit jazzigen Rhythmen kombinierte, galt Abraham als der Erneuerer und Retter des etwas in die Jahre gekommenen Genres Operette. Gleichzeitig steuerte er die Musik zu zahlreichen Filmen aus Produktionen in Deutschland und im europäischen Ausland bei. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 endete diese Ära. Abraham ging zunächst zurück nach Budapest, emigrierte über Kuba in die USA, wo er aber nicht Fuß fassen konnte und aufgrund einer Syphiliserkrankung, die zu einer schweren Psychose führte, über zehn Jahre in einer New Yorker Nervenheilanstalt verbrachte. Verarmt, vergessen, starb Abraham 1960 in Hamburg. Während sein Librettist Grünwald sich in die USA retten konnte, wurde Löhner-Beda 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dieses Schicksal muss man sich immer wieder vor Augen halten, wenn man die Operette Viktoria und ihr Husar genießt, die nur voll ist von fröhlichen und spritzigen Melodien, von heiterem und melancholischem, ungarischem Kolorit, von Anklängen an japanische Folklore à la Madama Butterfly bis hin zu modernen Jazz-Klängen amerikanischer Prägung. 

Foto © Christian Pogo Zach

Die Rahmenhandlung der Operette nimmt etwas von dem Schicksal der Librettisten vorweg. Der ungarische Husarenrittmeister Stefan Koltay befindet sich nach dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolutionin einem sibirischen Kriegsgefangenenlager und wartet auf seine Hinrichtung. An seiner Seite sein Bursche Janczy, ein ehemaliger Zigeunerprimas, dem nur seine geliebte Geige geblieben ist. Und so beginnt die Geschichte düster und grausam mit einer Scheinhinrichtung. Der Lagerkommandant Leutnant Petroff, ein Kosak, will Janczys Geige, die dieser aber nicht hergeben will. Petroff seinerseits, der fasziniert zu sein scheint von der Liebe und der Sehnsucht, die Koltay für eine Frau namens Viktoria empfindet, deutet an, die beiden Gefangenen freizulassen, wenn ihre Geschichte ihm zusagen sollte. Und Koltay erzählt von seiner großen Liebe zu Viktoria und erfindet eine Geschichte, wie er sie sich erhofft, wenn ihm wirklich noch die Flucht gelingen sollte.

Und genau an dieser Stelle beginnt die grandiose Inszenierung von Josef E. Köpplinger, der die Geschichte auf zwei Ebenen verlagert und eine Art „Theater im Theater“ inszeniert. Karl Fehringer und Judith Leikauf sind für das Bühnenbild verantwortlich. Im Vordergrund ist der düstere Lagerraum mit den Kriegsgefangenen, ein eher verstörendes Bild, so untypisch für eine Operette. Quasi auf der Hinterbühne spielt sich dann die fiktive Geschichte ab, die im Kontrast zu dem grauen und düsteren Lagerraum bunt, exotisch und farbenfroh erscheint. Und so sind auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer. Grau, dreckig, zerlumpt die Kriegsgefangenen auf der einen Seite, fröhlich leuchtend, opulent und dem jeweiligen nationalen Kolorit angepasst, farbenfroh und heiter. Und das ist das Geniale dieser Inszenierung, die durchaus etwas augenzwinkernd mit den Klischees spielt und dabei an große Filme der Nachkriegszeit erinnert, sei es die melancholische Nachkriegsromantik eines Doktor Schiwago, sei es das ungarische Nationalkolorit mit Puszta-Seligkeit à la Ich denke oft an Piroschka. Köpplinger springt zwischen den Ebenen hin und her, mal die brutale Realität des Gefangenenlagers, mal die ferne Exotik von Japan oder die Sehnsucht nach der Heimat Ungarn. Betont wird dieser ständige Stimmungswechsel auch durch eine stets wechselnde und die Szene betonende Lichtregie, für die Köpplinger ebenfalls verantwortlich zeichnet.

Die Geschichte, die Koltay erzählt, führt zunächst nach Tokio. Dort hat Viktoria, Koltays Verlobte, den amerikanischen Gesandten Cunlight geheiratet. Sie hatte die Nachricht erhalten, Koltay sei im Krieg gefallen. In der Botschaft selbst feiert Viktorias Bruder Ferry seine Hochzeit mit der Halbjapanerin O Lia San. Mittlerweile haben die Flüchtigen Koltay und Janczy die Botschaft erreicht. Während Koltay sich unter fremdem Namen Einlass verschafft, verliebt sich Janczy sofort in Viktorias Bedienstete Riquette. Der Botschafter ahnt noch nichts von der wahren Identität des Husarenrittmeisters und seiner Beziehung zu Viktoria. Und so wird auf der Hinterbühne ein freudvolles und farbenfrohes Spektakel gefeiert, Chor und Ballett des Gärtnerplatztheaters übertreffen sich hier an Spielfreude und Spielwitz.

Drei Tänzer, als Sumo-Ringer ausstaffiert, sorgen mit ihrer Gelenkigkeit trotz Fatsuit-Kostüm für große Heiterkeit im Publikum. Genauso genial die Tanzeinlage von Josef Ellers in der Rolle des Janczy, nur mit einem Handtuch bekleidet, wo das Publikum voller Begeisterung nur darauf wartet, dass die letzte Hülle fällt. Und je länger Koltay seine farbenfrohe Geschichte erzählt, umso länger bleibt er am Leben. Doch der vordergründigen Heiterkeit und Leichtigkeit folgen Schwermut, Melancholie und Traurigkeit. Viktoria erkennt ihren Verlobten Stefan wieder, will aber bei Cunlight bleiben. Und so wird die Geschichte nach St. Petersburg verlagert, wohin der Botschafter versetzt wurde. Petroff, der Lagerkommandant, greift nun aktiv in die Geschichte ein und verlangt die Auslieferung der beiden Flüchtlinge. Koltay selbst stellt sich im Namen der ewigen Liebe, da er keine Zukunft mehr für sich und Viktoria sieht.

Doch die Geschichte, die Koltay erzählt, ist an dieser Stelle noch nicht zu Ende. Jetzt erzählt er von seiner Rückkehr in sein ungarisches Heimatdorf Dorozsma, wo Janczy und Riquette sowie Ferry und O Lia San glücklich verbunden sind. Es ist Weinlesefest, und der Brauch sieht ein drittes Brautpaar vor. Viktoria möchte Cunlight erneut heiraten, doch dann sieht sie Stefan, ihre alte Liebe flammt wieder auf, und die beiden werden das dritte Brautpaar.  Das wäre das klassische Happyend in der Operette, doch hier endet Koltays Geschichte, und die Realität ist wieder wie zu Beginn der sibirische Lagerraum voller Kriegsgefangener. Und es ist der Zeitpunkt der Hinrichtung gekommen, doch Petroff scheint die Geschichte so erweicht zu haben, dass er Koltay und Janczy freilässt. Und Regisseur Köpplinger lässt bewusst offen, ob es ein Wiedersehen mit Viktoria und ein glückliches Ende für die beiden geben wird.

Mit der in 2012 wiederhergestellten Originalfassung dieser Operette ist dem Gärtnerplatztheater und seinem Regieteam ein großer Coup gelungen. Und obwohl das Ambiente des Prinzregententheaters, das ja dem Bayreuther Festspielhaus nachempfunden ist und als Ausweichspielstätte für das in der Sanierung befindliche Gärtnerplatztheater dient, sonst eher große Wagner-Opern kennt, kommt die Inszenierung dank der ständig wechselnden Erzählebene sehr gut zur Geltung. Auch Sänger und Schauspieler sind hervorragend besetzt. Alexandra Reinprecht als Gräfin Viktoria überzeugt mit klarem Sopran und sicheren Höhen, während Daniel Prohaska als Husarenrittmeister Stefan Koltay nicht nur mit lyrischem Schmelz in der Stimme überzeugt, sondern mit viel Melancholie und Gefühl im Spiel. Ihr Duett Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände ist sicher der emotionale Höhepunkt dieser Aufführung.

Josef Ellers in der Rolle des Burschen Janczy ist ein absolutes Allroundtalent, der singen, tanzen, spielen und sprechen kann, und meistens alles auf einmal. Sein Handtuchtanz sorgt für höchste Begeisterung im Publikum. Erwin Windegger als Botschafter Cunlight besticht durch eine noble Grandezza im Gesang und im Spiel, während Christoph Filler den Grafen Ferry Hegedüs als sympathischen Hallodri gibt. Susanne Seimel als O Lia San und Katja Reichert als Riquette verleihen mit viel Spielwitz, leichtem Soubrettengesang und zum Teil akrobatischen Tanzeinlagen dieser Inszenierung die besondere Note, teils wie ungarischer Paprika, teils wie japanische Kirschblüte. Der Schauspieler Gunther Gillian in der Rolle des Lagerkommandanten Leutnant Petroff überzeugt durch sein hochemotionales Spiel eines Siegers, der einerseits knallhart und brutal seine Regeln durchzieht, der aber durch die erzählte Geschichte immer wieder eine weiche Seite zeigt.

Der Chor des Staatstheaters, bestens vorbereitet durch Felix Meybier, und das Ballett in der Choreographie von Karl Alfred Schreiner bringen an diesem Abend Höchstleistungen, auch weil sie durch die ständig wechselnden Erzählebenen viel gefordert sind.

Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Michael Brandstätter lässt die zum Teil bekannten Hits dieser Operette in einem neuen, modernen Arrangement erklingen, ohne dabei kitschig oder sentimental zu wirken. Das Publikum, erwartungsgemäß eher älteren Semesters, dankt nach knapp zwei Stunden ohne Pause allen Akteuren mit großem Jubel.

Mit dieser Inszenierung hat das Gärtnerplatztheater wieder einmal bewiesen, dass Operette, auch wenn sie im klassischen Gewande präsentiert wird, modern, aktuell und fetzig sein kann. Über diese Inszenierung darf gerne weiter gesprochen werden.

Andreas H. Hölscher