Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TURANDOT
(Giacomo Puccini)
Besuch am
7. Juli 2016
(Premiere am 3. Dezember 2011)
Der eng gestraffte Festspielkalender kann auf den Fußball keine Rücksicht nehmen. So fällt die Wiederaufnahme von Turandot mit dem letztlich endgültigen Spiel der deutschen Nationalmannschaft zusammen. So manche, meist männliche Begleitung wird da etwas missmutig in die Staatsoper verbracht, in der Pause blinken Smartphones auf, ein Miniatur-Public-Viewing entsteht im Foyer unter den wachsamen Blicken der Wagner-Büste.
Dabei bleiben die Oper und gerade Puccinis Völkerschau anhaltender im Gedächtnis, und sportiv geht es dank der ästhetisch unverkennbaren Handschrift des Regiekollektivs La Fura dels Baus auch auf der Bühne zu. Nach deren spektakulärem Ring in Valencia, Arbeiten bei der Ruhrtriennale und verschiedenen Happenings zählt die Verpflichtung der visionären Künstler um Carlus Padrissa neben Andreas Kriegenburg zu Intendant Bachlers klügsten Personalentscheidungen. Aufgrund ihrer Arbeit für die Expo Shangai mit schriller, moderner Kultur Asiens vertraut, liefern die Universalregisseure eine schrille Achterbahnfahrt, die zu Puccinis Drittverwertung entlehnter chinesischer Geschichte hervorragend passt.
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Dazu hat man dem Fragment den Untertitel der „Eisprinzessin“ verpasst, die Handlung in die Zukunft verlegt und ein hochwertiges wie ausgefallenes Design gewählt. Ein Kunsteisboden wird zu Spielwiese für Schlittschuhläufer und Eishockeymannschaften. Langeweile kommt hier nicht auf. Menschenmassen queren den erstmals fast zu kleinen Bühnenraum und liefern Spektakel. Das abgefahren moderne Kostümbild von Chu Uroz nutzt Zitate chinesischer Plastikkultur, orientiert sich am Science-fiction-Streifen Blade Runner und erschafft ein bunt detailverliebtes Wimmelbild. Über dem Eis thront ein senkbarer Rundaufbau als Linse, Guillotine, Gong und Turandots Thron. Auch keiner der anderen Züge wird vernachlässigt. Tänzer schweben über der Szene, Transparente heben sich wohlchoreografiert, und als Sinnbild der Grausamkeit füllt ein Teppich abgeschlagener Puppenköpfe die Szene. Das Kollektiv schafft mit kleinem Aufwand maximale Wirkung. Dabei helfen Roland Olbeters vielfältige Bühnenideen. Wabengleich wachsen kleine Wohnzellen wie Pekinger Mietskasernen in den Bühnenhimmel, zum Nessun Dorma strahlt die Neonnipponskyline einer Stadt, die niemals schläft.
Hinter all diesen plakativen Schauwerten wird die Geschichte nicht vernachlässigt und durch einen Aufreger und geschickten Werbegag zugleich vergegenwärtigt. An verschiedenen Stellen wird das Publikum gebeten, erstmals in der Oper die 3D-Brille aufzusetzen, um den klugen Videobildern von Frane Aleu zu folgen. Darauf sehen wir Lou-Lings Vergewaltigung dezent, doch eindrücklich gefilmt. Dank der Technik streckt die Geschundene ihren Arm direkt ins Publikum, Turandots weiblicher Hass wird greifbar. Gespielt wird bis zu Lius Tod. Eine Katharsis aber liefert das Team trotzdem. Durch ihr Opfer gereinigt, verwandelt sich die kühl chaotische Stadt in einen Bambusgarten, die Natur und die Menschenliebe obsiegen über monarchische Rache. Davor hält man oft genug den Atem an beim Aufmarsch zur großen Rätselszene, beim eindrücklichen Mord an der treuen Sklavin, bei entrückten, grandiosen Bildern, die wie ein Handkantenschlag auf die epochale Musik passen. Hier wird Ernsthaftigkeit mit Leichtigkeit und Modernismus verbunden. Das Spektakel begeistert ebenso wie die glänzenden Kräfte.
Nina Stemme kehrt nach ihrem nachhaltigen Erfolg als Brünhilde an die Staatsoper zurück. Als mittlerweile zentrale Wagner- und Strauss-Interpretin fordert sie Turandot wenig. Genießen kann sie diese Partie dennoch. Der gehaltvolle, schwere und durchdringende Sopran klingt mühelos über die Tutti hinweg, trägt durch das Haus, wirkt veredelt, flächig und nach all den Stabreimen entspannt im italienischen Fach. Szenisch präsent, abgründig und hart erlebt man gerne eine der letzten und gerechtfertigten Diven dieser Opernzeit. An ihrer Seite gibt Johan Botha den Calaf. Er legt es nicht auf die Stretta an, kommt ebenfalls eher aus dem deutschen Fach. Hörbar heldisch und teils drückend scheint hier Siegfried nach Peking ausgewandert zu sein. So kann man den Calaf singen. Er liefert eine angenehme Alternativinterpretation zu Belcanto-Wischerei. Er singt sauber, schnörkellos, dabei jedoch kälter, steriler als vergleichbare Tenöre. Wärme kommt von Liù Irina Lungu. Anfangs noch nervös, steigert sie sich in glockenklare Phrasen, als weniger körpervoller Gegenpart zu Turandot verziert sie ihre Prachtnummern, die Puccinis Nähe zur aufopferungsvollen Geliebten durchblicken lassen. Klangvoll klingt Ulrich Reß‘ Kaiser, wütend eindeutig der Timur von Goran Juric. Gewitzt, schwebend, agil und gut abgestimmt überzeugen Ping, Pang, Pong, Andrea Borghini, Kevin Connors und Matthew Grills.
Was leistet dabei dieser Opernchor zur Festspielzeit. Nach den Juive-Chorälen, Bohème-Melodien nun Puccinis Volksmasse. Motiviert, spielfreudig und glasklar im satten Klang begeistert der Chor unter Sören Eckhoff erneut und immer wieder. Auf den baldigen Holländer kann man sich nach diesem Marathon-Einsingen nur freuen.
Asher Fish erneuert seine Publikumswirksamkeit am Pult. Er intellektualisiert Puccini nicht. Er geht in die Vollen, hält hohes Tempo, konzentriert sich auf die großen Asia-Melodeien, wirkt schmissig und hält, was die Inszenierung vorgibt. Ein witziges, modernes Spektakel, das die zweiundzwanzig Mann in Frankreich im Vergleich zu einer Frau in China leicht vergessen lässt.
Erst beim Applaus fliehen viele Gelegenheitsgäste schnell zum Fernseher, weswegen frenetischer, doch knapper Jubel diesen außergewöhnlichen Abend beendet.