Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Gesang des Eises und des Lichts

SOUTH POLE
(Miroslav Srnka)

Besuch am
3. Februar 2016
(Premiere am 31. Januar 2016)

 

 

Bayerische Staatsoper, München

Für die Uraufführung von South Pole scheute man keine Mittel. Der mittlerweile durchgängig als Altmeister betitelte Hans Neuenfels sollte das Werk aus der Wiege heben, die Protagonisten wurden prominent und in Absprache mit dem Komponisten besetzt, die Staatsoper startete flankierend eine geschickte Südpoloffensive: Die beeindruckende Klanginstallation im Portal des Hauses stimmt Abend für Abend die Besucher mit Originalklängen aus dem ewigen Eis ein, man kann Nachbildungen der Expeditionszelte bewundern und das Programmheft wartet mit einem breiten Bilderbogen über die realen Ereignisse auf, die diesem Werk zugrunde liegen.

Der historische Wettlauf zwischen Scott und Amundsen zum Südpol, samt der entbehrungsreichen Reise, dem auch politisch relevanten Rennen, den Charakteren der beiden rücksichtslosen Forscher und die per se unnütze Expedition an den geografisch fixierten südlichsten Punkt bilden den Grundtenor für das Auftragswerk, das als Doppeloper betitelte Komposition beide Teams parallel verfolgt und ihren Wettkampf in plastische Klangräume übersetzt. Ironischerweise konkurrieren Tenöre – die britischen Verlierer – gegen eine Baritongruppe des siegreichen Amundsen. Srnkas orchestral geprägtes, vielschichtiges, komplexes Unterfangen wird durch das sehr prosaische, bisweilen dröge alltagssprachliche Libretto von Tom Holloway unterstützt, der kryptische Redundanzen ebenso liebt wie derben Männerhumor.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Neuenfels exerziert durch den Text und bleibt sich treu. Der steril hermetische, modern, ästhetisch hochwertige Bühnenraum von Katrin Connan und dem Inszenierenden selbst wölbt sich als weißer Kubus zu einem symbolischen X an der Wand, dem begehrten Ziel. Klar getrennt die Bühnenhälften und die Teams, die abwechselnd wie parallel nebeneinander agieren, bis sie am Zielpunkt die starre Bühnenkomposition auflösen. Die Fetzenszenen schneidet Neuenfels wie üblich mit einem Blendeffekt und Blacks, wobei die grelle, kluge Lichtregie von Stefan Bollinger überzeugt. Ohne Arien und Liedpassagen beschränken sich die Gesangspassagen oftmals auf Rezitative, Dialoge, gelegentliche melodische Splitter und längere Meditation in Träumen, zu denen die weiblichen Wunschfiguren hinzutreten.

Foto © Wilfried Hösl

Neuenfels schraubt weder am Text, noch deutet er das Vorgeschriebene. Brav erscheint die Handlung, die Figuren erstarren sprichwörtlich im Eis, bleiben fremd und undurchschaubar, auch aufgrund der fehlenden Nähe durch das Libretto. Den kühlen Stil unterstreichen Andrea Schmidt-Futterers Kostüme, die die Teams in Grau und Schwarz steckt, Pelz und Funktionsstile nutzt, dabei ein recht steriles Szenario erzeugt. Der Wettkampf endet im verzweifelten und ausweglosen Überlebenskampf der Verlierer, Amundsen dagegen kann sich am Triumph nicht freuen. Seltsam unbeteiligt bleibt der Zuschauer beim Tod im Eis trotz ambitionierten Spiels, auch die Massenhinrichtung der Zugtiere, durch verkleidete Statisten dargestellt, rührt nicht, und so bleibt die ganze Inszenierung unter dem Gefrierpunkt.

Warme Gefühle jedoch stellen sich bei den Stimmen ein. Physisch immer präsent und dankbar für die wenigen Chancen zu glänzen, führt Thomas Hampson seinen prächtigen Bariton geschickt, dieser klingt nun schon lange Zeit vollmundig, kraftvoll, wandlungsreich und auf dem Höhepunkt seines Schaffens zwischen Germont, Posa und nun als sadistischer Forscher. Sein Gegenpol ist Rolando Villazón, ein Sänger der am Haus einmal als „Tenor auf der Felge“ beschrieben wurde. Der Komponist schrieb ihm den schwachen Scott auf den Leib, nicht zu viel Höhe, dezente Ausbrüche, kein Kraftakt. Leider sieht man dennoch an diesem Abend einen müden Darsteller mit müder Stimme, wenig mehr Luft in den Reifen, doch einem beeindruckenden Willen zur Darstellung, expressiven Stimmsprüngen und einer sympathischen Präsenz, die ihn einst zum Publikumsliebling machte. Das Publikum leidet mittlerweile auch stimmlich mit ihm, stützt ihn, verzeiht. Der Scott passt tragikomisch auf ihn, seine folgende Traviata wird dennoch eine Herausforderung. Bei Zeitgenossen beliebt und im Modernen affin, übernimmt Mojca Erdmann die kryptische Sehnsuchtsdame Amundsens. Verhalten startend, gelingt ihr schnell eine spielreiche, wahrlich stabile Höhe bis zum Anschlag, dabei ein variantenreicher, sternenklarer Sopran, der leider szenisch durch Neuenfels verschenkt wird. Nach ihrer Sophie am Haus freut man sich auf eine rollentechnisch präsentere Rückkehr. Als Äquivalent gibt Tara Erraught Scotts Gattin mit für ihren gewachsenen Mezzo anspruchsvollen Spitzen, warmem Klang und ebenfalls zu kühler Bühnenregie. Die Teams sind stabil besetzt, Dean Powers und Kevin Connors Tenöre ergänzen sich passend mit Rolando Villazón, Hampson findet in Tim Kuypers auch einen szenisch präsenten Gegenspieler. Glanzstücke liefert der Komponist keinem seiner Sänger.

Das überlässt er dem Graben und hat in Petrenko freilich einen kongenialen Tonmeister gefunden. In Strauss-Besetzung klingt Srnkas Klangraum nicht nach Strauss, selten nach seinem Landsmann Janáček und oftmals dröhnend, klangmalend, steril. Grammophone auf der Bühne, karikaturistisch eingesetzte Bläser, flirrende Streicher, komplexe Triller, alles das greift Petrenko nach seinem Geniestreich mit Zimmermanns Soldaten erneut als Herausforderung auf. Die Sänger suchen seine Nähe, im Orchester höchste Konzentration auf den Steuermann, der die Musiker durch den gleißend kühlen, oftmals karstigen Tonkörper lenkt.

Dafür brandet der Applaus für den bereits künftig vermissten Generalmusikdirektor auf, ebenso wie für Hampson und Villazón. Die szenische wie musikalische Unterkühlung löst sich durch die warmherzige Erleichterung an der Rampe. München feiert eben lieber, bevor es sich im einsetzenden Schnee wieder frierend auf den Heimweg begibt, den Gesang des Eises aus dem Graben und durch die Klangbilder noch im Ohr.

Andreas M. Bräu