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Die Helena war für Offenbach unumgänglich. Nach seinem Durchbruchserfolg mit dem Orpheus als gelungene Travestie aus Zeitkritik, Antikenpersiflage, schmissigem Cancan und anspruchsvoller Operette änderte er die Zutaten für sein Folgewerk nicht. Die Entführungsgeschichte bot schließlich genug Futter für eine polemische Spiegelung der moralisch flexiblen Pariser Oberschicht, die sich ein Stelldichein, Untreue und aristokratische Menagen leistete wie Paris von Troja mit seiner vergebenen Helena. Die Côte d’Azur wird zum Seebad Nauplia, Agamemnon zum Feier-Doyen, Paris zum Dandy. Gewürzt mit seinem unverkennbar leichten, dennoch gehaltvollen Operettenklang, der den Hoffmann immer schon durchscheinen lässt, gelang auch die Helena als grandioser Erfolg.
Die Pasinger Fabrik kehrt mit Münchens kleinstem Opernhaus nach mehreren Opern und einer sehr erfolgreichen Rusalka im letzten Jahr mit der Helena zur leichten Muse zurück und verpflichtet nach seinem Abgang von den Orff-Festspielen in Andechs Marcus Everding mit der Regie, der dazu auch eine neue Textfassung erstellt. Dazu baut er ein Ariadne-Vorspiel und lässt die Vorstellung als Bühnenprobe im halbfertigen Szenenbild spielen. Der Kunstgriff hilft dem Budget.
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Zwei verschiebbare Säulenkonstruktionen und Sperrholzgestelle baut Claudia Weinhart für die erneut klassische Theaterszenerie im Fabriksaal, nachdem mehrfach sinnvoller der Bühnenraum in die Café-Atmosphäre der Zuschauertischchen integriert wurde. Zu Wein und Tapas genießt man nun Operette.
Das Vorspiel chargiert mit viel Tempo und Boulevardversatzstücken mit Sängerklischees, spielt die Einrufe mit ein und soll das Publikum für das Kommende auflockern. Leider wird die Idee mit der ersten Note wieder verworfen, und die restliche Handlung kommt trotz sanfter Texteingriffe recht konventionell daher. Die Sänger zeigen in Hemdtuniken viel Bein, Helena viel Glitzer, Krawatten und Brillen endzeitlichen den Antikenklamauk, dessen Kostüme ebenfalls Weinhart stimmig gestaltet.
Nicht jeder Gag will zünden, gerade die breit angelegten Kirchenwitze dümpeln dahin, das Bildungsbürgertum schmunzelt bei erkannten Anspielungen zwischen Ödipus Mutter und griechischem Problemhaushalt. Pointierter sind Offenbachs Texte, die deutsch gegeben werden. Der Apfelmann, homme de pomme – Paris, wird durch den durch die Soli ersetzten Chor herrlich überzeichnet gefeiert. Everding arbeitet viel mit dem bunt zusammengesetzten Ensemble, bemüht sich um Anschlüsse bis zur Applausordnung, belässt den bürgerlichen Humor in der Tradition der sanften Polemik, wirkt gefällig und unterhält.
Einen großen Dienst leistet ihm dabei sein Paris, der Quereinsteiger-Tenor Anton Klotzner. Sichtbar amüsiert und mit physischer Komik sitzt die dümmliche Mimik des fremden Schäfers als Tenorwitz auf Beinen. Nie überzogen schafft er den Spagat zwischen Liebeshelden und Offenbach-Karikatur. Stimmlich hörbar dem Baritonalen entflohen, ist seine Höhe ein hehrer Versuch, seine Darstellung operettenhaft treffend. Karoliná Plicková steht ihm im Komischen und im Dialektalen wenig nach, gibt die zickige Diva, eine Xanthippe auf Stilettos und liefert mit sanften Lyrismen, schöner Koloratur und schlankem Sopran die stimmlich mit Abstand beste Leistung des Ensembles. Donnernd, klanglich farbig und auch in den Dialogen überlegen ist Kalchas Bernd Gebhardt, dem man wie seinen Kollegen den Spaß an Offenbach ansieht und glaubt. Sichtbar mit komischem Talent und ordentlichem Bariton gibt Stefan Kastner den Menelaos, dem man auch einen Jupiter aus dem Orpheus durch seine herrlich bornierte Art abnehmen würde. Ebenso ehrlich, präsent, wenngleich mit kleinem Sopran, gefällt Nina Schulze als Bachis und mimisch sehr aktiv, stimmlich sicher Ana Schwedhelm als Achill. Achill wird einer Haustradition gemäß vom Tenor zur Hosenrolle umgebaut, einige Helden gestrichen, der Chor durch die Sänger ersetzt. Das verdichtet Offenbachs Großklamauk zur klassischen Boulevardkomödie mit etwas Musik.
Dass diese nicht in den Hintergrund tritt, darum bemüht sich Stammdirigent Andreas Heinzmann, der endlich auch etwas mitspielen darf. Zwar will der satte, wenngleich komplexe Klang bei der Ouvertüre noch nicht gleich zünden, spätestens in den Ensemblenummern und beim Cancan-Zitat schimmert Offenbachs gehaltvolle Muse stimmig durch. Die zehn Musiker folgen ihrem Chef ebenso wie die Sänger.
Das Publikum wiederum genießt den süffigen Abend zwischen Südtiroler Charme, Prager Stimmkraft, trojanischer Geschichtenstunde, Pasinger Atmosphäre und Pariser Melodik. Viel Applaus und Vorfreude auf die kommende Saison und die sicherlich stimmigen Open-air-Vorstellungen an der Blutenburg, einem der Nauplias Münchens.