Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Winfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Vom Reisenden auf die Reise mitgenommen

THE PASSENGER
(Simone Sandroni)

Besuch am
15. April 2016
(Uraufführung)

 

 

Baerisches Staatsballett

Die bayerische Hauptstadt steckt im Ballettfieber. An verschiedenen Spielstätten, über die Stadt verteilt, wird ein breites hochwertiges Tanzprogramm unter Einbezug internationaler Solisten, Choreografen und Ensembles, Uraufführungen und Neuinszenierungen gezeigt. Die sogenannte Ballettfestwoche hat sich in den letzten Jahren etabliert und ist zu einem zweiwöchigen Spektakel angewachsen. Das tanzbegeisterte Publikum kriegt wahrhaft etwas geboten und nimmt das Programm dankend mit großem Interesse an. Zum Abschluss seiner erfolgreichen, 18 Jahre dauernden Tätigkeit hat sich der scheidende Ballettchef Ivan Liska eine besondere Premiere und Uraufführung ausgesucht.

Aber vorher erlebt das Publikum im ersten Teil des Abends höchsten Tanzgenuss mit dem jungen Tanzensemble Dance Works Chicago. In einer Reihe von sechs kurzen, immer von einem Thema oder einer Geschichte ausgehenden, lebendig erzählten Choreografien, begeistern sechs geradezu artistisch anmutende Tänzer. Im Einstieg ist Monologue ein technisches Bewegungsstück in der Choreografie von Joshua Manculich zum rythmisch gesprochenen Wort. Pack and all the lost ones wird in der Choreografie von Greg Blackmon ein feinfühlig melancholisches Stück für zwei Tänzer, die in ihren Bewegungen verschmelzen, Leid und Freude vermittelnd. Mit Self portrait of a woman wird nochmal tanztechnisch menschliche innere Gefühlswelt zum Ausdruck gebracht. Zackig, fahrig, verzerrend in sich gezogen, sprunghaft im Freudentaumel wird der Zuschauer unweigerlich einbezogen. Schwungvoll zu Jazzrhythmen wirbeln die Tänzer in den anschließenden Stücken und zeigen in jeder Phase ihr außergewöhnliches Talent, die absolute Körperbeherrschung und die exakte Einstudierung. Jedes Detail wird bis in die Fingerspitze zelebriert, wunderbar harmonisch gelingen Übergänge. Die ausgefeilte Choreografie zu den schnellen Tanzstücken ist gespickt mit akrobatisch anmutenden Turnübungen, die mühelos leicht spielerisch gelingen. Von den Rhythmen mitgerissen, wird das Tanztheater zu einer Jamsession, die das tanzbegeisterte Publikum beschwingt.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Viel Werbung wurde bereits im Vorfeld für das abschließende Stück, The Passenger, gemacht. Passend zum Abschied von seiner Balletttruppe wollte Ivan Liska noch einmal ein Zeichen setzen. Zum Kultsong der Pop-Ikone Iggy Pop The Passenger gestaltet der Choreograf Simone Sandroni ein persönlich anmutendes gefühlvolles Tanzstück. Ein Zeichen für den Tanz, der über Generationen hinaus keine Altersbarriere und keine Vergänglichkeit kennen sollte. The Passenger steht für den Mann, den Menschen im Übergang, ein Reisender auf der Fahrt durch das Leben. Eine Popballade, die auch autobiografische Züge widerspiegelt.

Foto © Winfried Hösl

So gibt es für das Publikum aus Fans aller Altersklassen ein Wiedersehen mit den großen Solisten von ehedem, Ivan Liska, Judith Turos und Peter Jolesch, auf der Bühne. Mit Schwung und merklich Freude bewegen sich die drei zu milden, gefühlvollen Techno-Tönen, die rhythmisch angereichert sind. Alten Glanz und Erinnerungen mögen viele beim Anblick der gealterten Stars empfunden haben, auf alle Fälle wissen die drei sich noch zu bewegen und vor allem auszudrücken, mag die Elastizität und Präzision fehlen, die Freude und das Herz dabei kann man spüren.

Bewegend der Übergang im Stück dann zur Musik von Iggy Pop. Der Klassiker des Pops wird zum Auftritt der jungen Garde, die sich dem Rhythmus der Musik der älteren Generation hingibt und die drei älteren Tänzer einbezieht. Die Musik, die Bewegung wird symbolisch durch das Handreichen übergeben, zur menschlichen und künstlerischen Brücke. Bald fließen die Schritte, Drehungen und Windungen ineinander, und es entsteht ein Jubelreigen auf den Tanz, der mit der Himmelfahrt des vermeintlichen Tanzgottes Ivan Liska endet. Seifenblasen und leuchtende Bildregie kreieren ein weiteres barockes Spektakel.

Ebenso jubelnd dankt das Premierenpublikum begeistert allen Beteiligten. Bei der anschließenden feierlichen Übergabe des Irene-Lejeune-Preises an Peter Jolesch dominiert nochmals Emotion und Begeisterung im Prinzregententheater heftig, und der sympathische, bescheidene Tänzer wirkt sichtlich berührt, aber hat sich diesen Preis sicherlich für sein Engagement für die Truppe verdient.

Helmut Pitsch