Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Von Bord

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
19. Juli 2016
(Premiere am 26. Februar 2006)

 

 

Bayerische Staatsoper, München

Die Festspiele neigen sich langsam dem Ende zu. Mit Oper für alle und einem großen Open-Air-Event mit den Meistersingern werden die Saison und die künstlerische Hochzeit beendet. Die Leistung des Hauses ist dabei immens. An vier Tagen entsteht auf der Bühne Brabant, das Café Momus, das Konstanz der Juive und China unter Turandot. Alle Kräfte sind gefordert, der straffe Spielplan erfordert viel vom Technik, Chor und Orchester. Neben den spektakulären Neuproduktionen, prominenten Besetzungen und Festspiel-Schickeria verabschiedet sich ein altgedienter Wagner-Recke galant von der Opernbühne und glänzt ein letztes Mal.

Matti Salminen wählt die beliebte Konwitschny-Inszenierung und den ökonomisch gesetzten wie beliebten Daland im Holländer für seinen Rückzug. Der klassisch reduzierte erste Akt vor großem Meeresprospekt von Johannes Leiacker bietet gesetztes Schauspiel. Zwei Landungsbrücken senken sich ab. Der anachronistische Gegensatz wird durch moderne Seemänner und ebenfalls von Leiacker historistisch gewandete Holländerpiraten auserzählt. Erst zum zweiten Akt kommt der mittlerweile angestaubte, beim Publikum beliebte Aufreger mit dem neongrellen Spinning-Kurs der radelnden Chordamen, bevor Senta mit dem Melodram Ruhe in das Sportgetümmel bringt, Erik der Sauna entsteigt und der rembrandteske Holländer entrückt in der Moderne landet, seiner Erlöserin alte Seide überstülpt und niemals wirklich an seine ewige Ruhe glaubt. Der dritte Akt als Industrieparty mit grummelnden Holländern, die nicht feiern wollen, vom Volk zurückgedrängt werden, und einer selbstbewussten Senta, die nicht an Opferung glaubt, sondern durch eine große Ölexplosion den Massenmord zur Erlösung der Verdammten vorzieht. Chaos auf der Bühne, die Schlussmelodie dringt nur fern aus der Konserve. Dramatisch das märchenhafte Blitzlicht von Michael Bauer, der Rest typischer Konwitschny, der allerdings beim Festspielpublikum noch immer vereinzelte Buhs zum zehnjährigen Geburtstag der Produktion erzeugt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die brauchen die Sänger nicht zu fürchten. Erneut am Zenit ihrer Wagner-Kraft glänzt Catherine Naglestad als Senta. Sie erinnert an die Nilsson, schafft den Balanceakt zwischen präzisem Melodram und Kraftakt des Schlussgesanges. Die Die Brünnhilde in der Götterdämmerung darf heiß erwartet werden, gibt hier eine hochdramatische Sopranistin einen verständlichen, selten überzogenen, wohlgeformten und bewegenden Wagner-Klang, der wohl Sentas Nervosität geschuldet in Nuancen ins Schrille abdriftet. Johan Reuter gibt den Titelpart. Szenisch wenig motiviert, wirkt er im Auftakt zu agil, im Duett gelangweilt und als Neuzugang wenig der Inszenierung verpflichtet. Stimmlich liegt ihm der Holländer meist, sehr dunkel klingt der tiefe Bariton, kaum inspiriert. Anders der Erik von Wookyung Kim. Der muss nicht haushalten; kraftvoller, durchdringender Klang ertönt, der ihm offensichtlich näherliegt als Puccini. Satt die Höhe, verständlich der Reim, szenisch ein Witz. Für die Festspiele springen zwei Ensemble-Mitglieder ein. Dean Power überzeugt als trunkener Steuermann mit süffiger Windarie und Freude am zweiten Wagner nach dem Donner. Okka von der Damerau schreibt sich nach ihren Erfolgen in den Meistersingern und im Ring auch die Mary in die Vita, die ihre szenische Kraft und ihren sanften, ideal timbrierten Mezzo erneut leuchten lässt. Matti Salminen genießt seinen Daland. Stimmlich neigt er zur Karikatur, überformt gerne Vokale, haushaltet, spielt frisch und gefällig auf, weiß ob seiner Wirkung. Stimmlich aber hat er eine kluge Entscheidung mit seinem Rückzug getroffen, an seinen letzlichen Hunding etwa in Salzburg kann er nicht mehr anschließen. Er geht würdevoll und humorvoll von Bord.

Foto © Wilfried Hösl

Der Chor bleibt und scheint nach Juive, Lohengrin und Bohème mehr als eingesungen. Spinnchor und Tutti-Szenen entzücken durch Motivation, vollen Klang und ein zusammengeschweißtes Ensemble unter Sören Eckhoff, dem man die Belastung der Festspiele nicht anmerkt. Mörderisch schnell und umso effektvoller klingt der Steuermannchor. Dass dieser nicht gehetzt oder überfordert daherkommt, liegt an diesem hervorragenden Chor.

Auch den Rest nimmt Asher Fisch am Pult sehr schmissig. Spielt er noch interessant bei der Ouvertüre mit den Tempi, konzentriert er sich im Folgenden auf Akzente, dramatische Effekte und hohe Umdrehungen. Das klingt eingängig, nicht unbedingt nuancenreich. Das passt zu einer Märchenoper im halbmodernen Gesicht, die immer gefallen wollte, Salminen einen würdigen Abschied bereitet und mehr Lust auf das immer mehr an Wagner orientierte Haus mit dem anstehenden Tannhäuser macht.

Heftiger Applaus klingt knapp und wird bald mit der letzten Festspielschau in Richtung Sommerpause verklingen.

Andreas M. Bräu