Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss Sohn)
Besuch am
8. Januar 2016
(Premiere am 22. Dezember 1997)
Wien, New York, Berlin, um nur einige Städte zu nennen, die ihre Fledermaus typischerweise zu Silvester wieder auf den Spielplan setzten. In diesem Jahr gehört auch München wieder dazu. Nach der Traviata in der vergangenen Saison kann man dieses Jahr ohne Libiamo und endlich wieder zum Champagnergalopp anstoßen. Thomas Hampson sprengt das Fest bei Orlofsky und das neue Jahr beginnt, wie es sich gehört. Für die Wiederaufnahme der bald zwanzigjährigen Inszenierung von Leander Haußmann setzt man gleich eine ganze Serie Fledermäuse ins Programm.
Diese kommt, wenn nicht veraltet, so ziemlich bürgerlich und konventionell daher. Das schicke, irgendwo zwischen Jugendstil und Klassizismus zu verortende Bühnenbild des ersten Aktes von Bernhard Kleber hat sichtbar einige Jahre auf dem Buckel, auch die Personenregie leidet trotz der Neueinstudierung von Andreas Weirich an den Dekaden. So bleibt es den Sängern selbst überlassen, sich zu inszenieren oder zu produzieren. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die guten Einfälle Haußmanns überdauern dabei wie der grandiose Aktschluss, zu dem Falke das Eisensteinzimmer beiseiteschiebt und vor versammelter Ballgesellschaft erneut und erinnerlich verhöhnt wird. Insgesamt gelingt der Ball-Akt inszenatorisch am griffigsten. Aus Lakaien gebildete Sessel für den Prinzen, eine lange drehbare Tafel für den wahrlich geschwinden Galopp und viele kleine Pointen, von denen nicht mehr alle zünden, entführen das Publikum erneut in Wiener Walzerseligkeit. Genées liebgewonnenes Libretto und Strauss‘ Melodien tun freilich ihr Übriges.
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Bemerkenswert ist die prächtige Kostümregie von Doris Haußmann, die allein Rosalinde im edlen Rot während des Schwarzweiß-Balls edel exponiert. Die verschachtelte Gefängnisarchitektur für den dritten Akt von Kleber bietet Spiel- und Gag-Möglichkeiten. Der große Apparat der Staatsoper samt Extraballett, Statisterie und großem Chor füllt den zurückgenommen leeren Ballsaal mit menschlichen Schauwerten. Ganz frisch erscheint das alles nicht, und zur präzisen Nostalgie etwa der Schenk-Bohème reicht es nicht. Dazu ist das Figurenspiel oftmals zu verwischt, zu wenig Wiedererkennungswert im Detail und zu geringe Kontur zu erkennen. Sinniger sind die fetzigen Choreografien von Alan Brooks, der etwa Eisenstein zum achten, überforderten Tänzer beim Csárdás degradiert, der ganz in großer Nackte-Kanone-Manier seine Einsätze verpasst. Im Tanz und Walzer kommt endlich Stimmung auf. So muss man sich ganz auf die Musik verlassen, was bei der Fledermaus noch nie eine schlechte Idee war.
Das Lulu-Paar Petersen und Skovhus darf sich nach der fordernden und spielerisch wie stimmlich anstrengenden Kammeroper nun an der Operette probieren. Stimmlich stemmen das beide problemlos. Allerdings fehlt beiden komödiantisches Talent für die leichte Muse.
Marlis Petersen, die vor zwei Jahren noch als Adele zu hören war, sieht in der Rosalinde hörbar keine große Herausforderung mehr. Der Csárdás klingt präzise, mit Verve und pointiert, wenn auch der Schluss veratmet ist. In den Duetten und Trios harmoniert sie sinnig und gibt eine laszive, erwachsene, doch wenig komische und blasse Frau von Eisenstein. Das versucht ihr ehemaliger Doktor Schön, Bo Skovhus, mit teils überzogenem Spiel und brachialer Komik wettzumachen. Seine Tarzan-Attitüden braucht es ebenso wenig wie sein übergroßes Spiel. Er singt den Eisenstein wie einen Siegfried, was die Racherufe zu einer Freude, das Uhrenduett dagegen etwas blechern und uncharmant klingen lässt. Werkkonformer schwebt da Edgaras Montvidas herrlich borniert als Alfred in den Höhen eines Sängers aus dem Rosenkavalier. Die Diktion leidet bei allen, was zu lieblichen Akzenten führt, doch zu Lasten von Timing und Verständlichkeit geht. Hierbei braucht Adele Anna Prohaska keine Nachhilfe. Ganz der Familientradition verpflichtet, verbreitet auch sie in München Wiener Charme und Schmäh in Fülle, kann mit authentischem Dialekt überzeugen und liefert prächtige, nicht überzogene Koloraturen und geschmeidiges, vielleicht ihrem erstaunlich breiten Repertoire verpflichtetes Stimmmaterial. Ein Genuss. Ebenso wohlklingend, mit Schlenz und Schwung erklingt der Falke von Michael Nagy gerade bei den berühmten sieben Takten, die schon Richard Strauss zum Schwärmen brachten. Hörbar genießt auch der große Chor unter Sören Echkoff das Du und Du. Spielerisch wie stimmlich gut aufgelegt auch Christian Rieger als Frank und als überzogene Gothik-Travestie mit Kraft im Volumen Michelle Breedt als Orlofsky. Den Münchner Frosch gibt der Salzburg-Jedermann Cornelius Obonya, dem man für Wiener Komik keine Nachhilfe geben muss. Zwar schwadroniert er arg moralinsauer und nicht allzu pointenschwanger durch TTIP und Marktwirtschaft. Die Lehrstunde aber konterkariert er durch genaue Komik, wunderschöne Zwischentöne und einen dezenten, nicht polternden Frosch. Er darf sogar sichtbar gerührt singen und besticht beim Wien, Wien nur du allein.
Oksana Lyniv, die Assistenin von Kirill Petrenko, übernimmt nach dem GMD das Dirigat für diese Fledermaus. Bemüht um Anschlüsse und Walzerseligkeit klingt das Staatsopernorchester hier leider mehr nach Verlängertem als nach Espresso. Der Dreivierteltakt will nicht wirklich zünden, die Tempi schlurfen, rechter Schwung kommt selten auf, dafür gibt sie den Sängern Raum und Platz, der zu viele Leerstellen übriglässt.
Das Publikum goutiert die Melodien für die Ewigkeit ebenso wie die opulenten Bilder und die liebgewonnenen Scherze mit motiviertem, nicht übermäßigem Applaus. Ob diese Inszenierung den zwanzigsten Geburtstag erlebt, sei trotz Frischzellenkur dahingestellt.
Andreas M. Bräu