Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
Besuch am
14. Februar 2016
(Premiere am 21. Dezember 2010)
Es mag auf den ersten Blick nicht das ideale Programm für den Valentinstag sein. Florestan, dem Tode nah im Kerker und verlassen von Gattin und Hoffnung, Marzelline liebt den Falschen, der sich auch noch als Frau herausstellt, Frühlingsfreuden sind die wenigen Momente an der frischen Luft für die Gefangenen des fiesen Pizarro. Reichlich trist könnte diese Szenerie sein, wäre da nicht Beethovens freiheitsliebende, für die Ewigkeit gemachte Musik seines einzigen Opernwerkes, an dem er ähnlich wie seine Hauptfiguren verzweifelte. Auf den zweiten Blick aber offenbart Leonores Opferbereitschaft und kühner Mut eine Romantik, die sie alles für ihren vermissten Gatten geben lässt. Die Wonne des Wiedersehens im Duett und der Sieg der Liebe über Ketten und Gitter kann auch eine Valentinsbotschaft sein.
Nicht allerdings in der psychologisierenden Inszenierung von Calixto Bieito. Wie viele Regisseure dieser Tage wechselt er spielend zwischen Sprechbühne und großen Opernhäusern. Da bietet sich der Fidelio als Synthese an. Sein Godunow an der Staatsoper erregte ebenso Aufregen wie der Kirschgarten am benachbarten Residenztheater. Für Fidelio holt er sich Verstärkung bei der etablierten Bühnenbildnerin Rebecca Ringst, die das Thema des Abends in einer Skulptur umsetzt. Öffnet sich der eiserne Vorhang, blickt der Zuschauer auf sein senkrecht gestelltes Labyrinth, das zur Ouvertüre von Tänzern an Stahlseilen hektisch bespielt wird. Auch ein Florestan-Double steigt und wandert treppauf, treppab durch die hermetischen Kammern, die freilich keinen Ausweg bieten. Nach der Pause dann eine stumme Verwandlung und die Labyrinthbühne senkt sich in die Waagerechte, zeigt Wände aus verkratztem Plexiglas, verschließt die Bühne. Flimmernd und am Ende als heller Ausweg erscheint diese anspruchsvolle Spielfläche durch das Licht von Reinhard Traub. Bieito nutzt die Chancen für vielseitige Figurenregie. Auf verschiedenen Ebenen agieren seine Gefängnisinsassen, zu denen auch die Wächter zählen. Es wird geklettert, unter den Füßen geschmachtet, in Kammern verkrochen. Dazu choreografiert Heidi Aemisegger Tänzer als Seiltänzer und Fassadenkletterer, die immer wieder versuchen, diesem hermetischen Gebilde zu entkommen und am Ende über den Wänden schweben.
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Entfliehen kann auch Leonore dem Labyrinth des Leides, doch fremd ist ihr dieser gebrochene Häftling geworden, keine Umarmung findet statt, der rettende Engel wirkt distanziert, der Gerettete in seinem Stolz berührt. Zum Ende hin kippt Bieitos reduziertes Konzept einer entzeitlichten Rettungsoper. Als deus ex machina erscheint ohne viel Hintergrund Don Fernando als leidliche Kopie des Kinojokers und entlässt willkürlich Gefangene, bespielt ausgiebig die Rampe und das hohe Paar freut sich wenig über die Rettung. Einen Clou aber hat sich Bieito noch einfallen lassen, der gar nicht genug von Beethoven bekommen kann.
Sind vier bespielbare Ouvertüren nicht genug, so erklingt nach der Wiedererkennung in gekürzter Fassung das a-Moll-Streichquartett, das als Symbol neuer Erquickung von vier Musikern in hängenden Käfigen auf der Bühne dargeboten wird. Der Schnitt in die Handlung funktioniert, die Stimmung im Publikum ist konzentriert, so sanft erklingt die von neuem Leben erfreute Melodie der Streicher. Es kehrt Ruhe und Frieden für kurze Zeit ein, die Romantik siegt, bevor klar wird, dass der Rollentausch und die Befreiung durch die Gattin dieses Paar entzweit hat.
Im Gleichklang jedoch ertönen die durchwegs starken Stimmen des Abends. Peter Seiffert, der späte Siegmund gibt den Florestan, die Partie ist vom Umfang beliebt, nicht in der Schwierigkeit. Seiffert meistert sie durch Erfahrung, lässt Strahlen an passender Stelle sehen, doch wie er die Walküre singt, so überzeugt er mit klug phrasiertem Piano, in den stillen Momenten, den Winterstürmen, nicht den Rufen, so auch mit rundem, vollem Tenor als szenisch matter, stimmlich schöner Florestan. Haushalten muss Anja Kampe nicht, dennoch reduziert sie sinnig im Duett und in den Quintetten. Keine Egomanin, sondern eine Musikerin steht da, bindet sich die Brust ab, schreit gegen die Wände an, am Ende bleibt sie verloren im blauen Kleid neben dem fremden Gatten. Stimmlich klingt die volle Wärme in der Mittellage ebenso wie in der Höhe präzise, unangestrengt, routiniert. Wundervoll wirkt sie im Zusammenspiel mit Hanna-Elisabeth Müller, die, auf Effekt bedacht, langsam die Sprossen zu den großen Partien des deutschen Faches erklimmt und nach ihrem Erfolg mit Strauss in Arabella nun mit Beethoven eine anspruchsvolle Marcelline mit sauberer Höhe gibt. Mehr Fokus als Wagner fordert Beethoven für den denkwürdigen Alberich Tomasz Konieczny, dieser gelingt ihm auch zumeist, er hört sich nuancierter, weniger vokallastig an. Die fiese Masche des Rächers liegt ihm dabei erneut. Rührend, mit sattem, klar geführtem Bass überzeugt Franz-Josef Selig ebenso wie der als Spieltenor durch die Musikgeschichte hetzende Dean Power, der kurz nach der Uraufführung von South Pole mit beeindruckendem Elan hier bereits den Jaquino gibt.
Elan, Passion und Freude zeigt Zubin Mehta am Pult. Lange bekommt der ehemalige Generalmusikdirektor des Hauses, der Vorgänger von Nagano und Petrenko war, Applaus. Dezent dirigiert er, lässt sich mit der dritten Leonore-Ouvertüre, die am Anfang steht, Zeit. Notwendigerweise konzentriert er sich auf die Streicher, die Solotrompete klingt dennoch selten so sauber, das Orchester ist nahe am ehemaligen Chef, Mehta wiederum wurde von Beethoven durch seine Karriere begleitet, was man ihm anhört. Sinfonisch klingt der Fidelio, dennoch schützt er seine Sänger, klar konturiert klingen die Melodien, die bis zur Neunten weiterschimmern.
Echte Beethoventöne klingen hier aus einem einigen Graben, der hoch belohnt beim Applaus Romantik produziert hat. Die Flucht aus dem Labyrinth des Leides gelingt so zumindest für den Hörer.
Andreas M. Bräu