Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Harter Stoff

KLEIDER MACHEN LEUTE
(Silvia Behnke)

Besuch am
18. Juni 2016
(Uraufführung)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach,
Mönchengladbach, Studio

Ab 15 meldet man sich an der Theaterkasse, entrichtet einen Obolus und ist dann Mitglied im Jugendclub. Wie weit man sich engagiert und an welchen Projekten man teilnimmt, entscheidet sich später“, erzählt Silvia Behnke, Theaterpädagogin. Das klingt harmloser als der Eintritt in einen Sportverein. Die Würze kommt später. „Diejenigen, die sich entschieden haben, bei diesem Projekt mitzumachen, haben im November mit den Proben begonnen. Das heißt, jeden Samstag von 11 bis 18 Uhr am Theater“, fährt die frühere Balletttänzerin fort. Selbstverständlich kommen in den letzten Wochen vor der Aufführung Zusatzproben hinzu. Und das ist nur die Zeit, die man direkt am Theater verbringt. Ein Pensum, das mancher Erwachsene nicht für sein Hobby aufbringt.

Wenn man also in der Pubertät neben der Schule und den tausend anderen Gebieten, auf denen man sich ausprobieren möchte, so viel Zeit investiert – und Behnke berichtet, dass einige schon seit mehreren Jahren dabei sind – muss mehr dahinterstecken. Das klingt nach einer argen Infektion mit dem Theatervirus, bedingt durch ein mehr als angenehmes Betriebsklima hinter den Kulissen. 16 Jugendliche haben sich entschlossen, am diesjährigen Projekt teilzunehmen. Vielleicht auch deshalb, weil das Thema auch Jugendliche extrem anspricht.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Kleider machen Leute heißt das „Tanztheater-Projekt“, das Behnke entwickelt und zu dem Jorge Escobar die Texte beigesteuert hat. Es geht um Mode. Oder um Bekleidung? Oder um Identität? Kaum hat das Stück auf der Studiobühne des Theaters Mönchengladbach begonnen, fangen auch die Schwierigkeiten an. Begriffe werden nicht sauber geklärt und getrennt. Stattdessen gibt es verquaste Dialoge, die von einer unsäglichen Logorrhoe und Langeweile geprägt sind. Daran kann auch der engagierte Vortrag der Jugendlichen nichts ändern. Dabei fängt es eigentlich charmant an. Lorenz Hansen hat die Darsteller auf ihrer Entdeckungsreise im Fundus des Theaters mit der Videokamera begleitet. Das Ergebnis wird auf einem weißen Vorhang im Hintergrund der Bühne von Dirk Peltzer präsentiert. Die Seitenbühnen sind schwarz verhängt. Auf der linken Seite sieht man die Fassade einer Wirtschaft, vor der ein paar Tische und Stühle stehen. Nach dem Video wird der Vorhang beiseite gezogen. Dahinter taucht das Prospekt eines Busses auf, neben dem ein Felsstück und ein paar Pflanzen Platz finden.

Foto © Matthias Stutte

In einem langatmigen Dialog werden die Modedesignerin Jadé und der in der Mode-Branche beschäftigte Dominik Fasell vorgestellt, die mit dem Bus in irgendeinem Dorf steckengeblieben sind. In der Folge wird das Geschehen nicht ganz klar. Es sieht wohl so aus, dass sechs Mädchen aus dem Dorf sich zu einem „Ego-Trip“ auf der Suche nach einem besseren Leben begeben wollen und Jadé als Beraterin hinzuziehen. Fasell verguckt sich vice versa in die Wirtin, später wird sich einer der Dorfburschen in Jadé verlieben. Eingeschoben wird ein unerhört langes wie überflüssiges Interview mit dem Mode-Designer Cassini, ehe es dann vorübergehend schnell geht. Plötzlich stirbt Jadé, der Dorfbursche trauert – große Oper, wenn es dann zu Ende wäre. Stattdessen gibt es noch einen Dialog zwischen zwei Waschmaschinen. Was witzig klingt, ist nach drei Stunden ein pseudophilosophischer Vortrag und allmählich ärgerlich. Abschließend geht es dann noch auf der Meta-Ebene zu einem Abschlusstanz. Schier unglaublich, welchen Aufwand Kostümbildnerin Ivonne de Blecker für diese Mammut-Produktion betrieben hat. Auch wenn nicht jedes Kostüm ganz stimmig erscheint: Das Seidenhemd, das Aciano trägt, muss in Serienproduktion gehen.

Die jungen Leute, die sich mehr als ein halbes Jahr auf diese Uraufführung vorbereitet haben, sind schlicht großartig. Sie haben, verrät Behnke, nicht nur eine Rolle gelernt, sondern gleich mehrere, die sie in den kommenden Vorführungen zeigen werden. Jetzt aber wollen sich einige erst mal für mehr empfehlen. Wer hier Schultheater erwartet, wird bitter enttäuscht. Sophie Gisbertz zeigt als Jadé nicht nur tänzerisches Talent, hier sieht sie ihren Schwerpunkt, sondern auch als Schauspielerin macht sie eine gute Figur. In der Rolle des Dominik Fasell erweist sich der quirlige Romain Clavareau mit seiner französischen Intonation als Glücksgriff. Auch tänzerisch brilliert er. Nadja Thiel gefällt als Wirtin, vor allem, was ihre Tanzkünste betrifft – als Jadé wird sie vermutlich noch mehr Eindruck schinden. In mehreren Zwischensoli räumt Behnke Philip Ludewig Raum ein, sich als Balletttänzer zu profilieren. Sein Fleiß und Enthusiasmus wird ihn möglicherweise tatsächlich irgendwann in diese Richtung treiben; hier hätte Behnke ihm mit einfacheren Aufgaben den größeren Gefallen getan. Damit steht er stellvertretend für viele Rollen. Was die Jugendclubber an diesem Abend leisten, steht ihnen eigentlich erst in vielen Jahren mit entsprechender Ausbildung zu. Einerseits ist eine solche Leistung und vor allem die Spielfreude bewundernswert, andererseits mag man sich die Frage stellen, ob ein solch hohes Niveau auf künftige Generationen nicht eher abschreckend wirkt.

Eine Nummer kleiner haben es ausgerechnet die Profis von der Tontechnik. Die Musik liefern sie vom Band, aber dermaßen lieblos, dass es einen für die Jugendlichen ärgert. Dass sie Atemlos von Helene Fischer donnernd reindröhnen, mag ja angehen, ist ja so auch gewollt, aber dass man sich für eine Uraufführung um geeignete Lautstärken kümmert oder gar eine Musik auch mal liebevoll ein- und ausblendet, sollte nicht zu viel verlangt sein. Erst in der zweiten Hälfte des Abends wird es moderater.

Nach dreieinviertel Stunden sind die Zuschauer ebenso wenig erschöpft wie die Darsteller und spenden riesigen Applaus. Auch wenn der Ärger über die Texte anhält – die Freude über die Tanzeinlagen und die Gesamtleistung der Schauspieler und Tänzer gewinnt, von denen der eine oder andere möglicherweise auf den Bühnen dieser Welt eine Rolle spielen wird.

Michael S. Zerban