Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

An der schönen blauen Wolga

KATJA KABANOWA
(Leoš Janáček)

Besuch am
7. Juli 2016
(Premiere am 11. Juni 2016)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach,
Mönchengladbach

Von der Wolga ist zwar nichts zu sehen, der russische Fluss ist dennoch stets präsent. Nicht nur im Libretto, sondern auch in der illusionsstarken Inszenierung von Helen Malkowsky, die die starke Saison des Theaters Krefeld Mönchengladbach mit einer rundum gelungenen Produktion von Leoš Janáčeks Oper Katja Kabanova würdig abschließt. Gewiss kein Publikums-Hit, zeigt das Theater mit der Stückwahl ein Verantwortungsgefühl für eine Programmpolitik, die auf Qualität setzt und nicht nur auf Auslastungszahlen schielt. Dass trotz eines EM-Spiels mit deutscher Beteiligung das Theater relativ gut, wenn auch nicht sehr gut besucht war, sollte als Bestätigung für diese Haus-Ästhetik gesehen und geschätzt werden.

Malkowsky, ehemals Oberspielleiterin in Nürnberg und Operndirektorin in Bielefeld, konnte in Krefeld und Mönchengladbach bereits mit hervorragenden Inszenierungen von Tschaikowskys Mazeppa und Verdis Stiffelio überzeugen. Auch für den idiomatischen Pulsschlag der Musik Janáčeks zeigt sie ein glückliches Händchen. Sie inszeniert die Leidensgeschichte der Katja in dem engstirnig-kleinbürgerlichen Wolga-Städtchen mit äußerster Konzentration und verzichtet auf jeden spektakulären Knalleffekt. Nicht einmal der Sprung in die Wolga wird gezeigt. Wir sehen, wie die völlig desillusionierte Frau mit einem Holzbalken um den Hals dem imaginären Fluss entgegenschreitet, und wir sehen kurz danach die unterschiedlichen, sehr differenziert ausgearbeiteten Reaktionen der Dorfbewohner auf den Freitod. Das reicht aus, um die Katastrophe erleb- und spürbar machen zu können. Den Rest besorgt Janáčeks geniale Musik.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Keine „große“ Oper zeigt Malkowsky, sondern ein Kammerspiel verlorener Träume. Ohne jede optische Opulenz richtet die Regisseurin den Blick auf die Figuren, die sie scharf konturiert, ohne klischeehafte Übertreibungen zu strapazieren. Das betrifft auch die Figur der bösen Kabanicha, die Würde und Strenge ausstrahlt und deren Hartherzigkeit in dieser kultiviert-neutralen Darstellung umso fröstelnder zum Ausdruck kommt. Dass ihr Sohn Tichon bei ihrem Anblick erzittert, wird verständlich. Schön, wie präzise auch die Nebenfiguren geführt werden. Glänzend vor allem die Aufwertung der lebenslustigen und risikofreudigen Pflegetochter Barbara. Auch der Chor wird sehr sorgfältig in das Geschehen integriert und trägt zum bedrohlich-dumpfen Klima der Inszenierung wesentlich bei.

Foto © Matthias Stutte

Kathrin-Susann Brose hält sich mit ihren Bühnenbildern sehr klug zurück. Ein Zaun und ein paar Hauseingänge reichen, um die gefängnisartig eingepferchte Situation der Titelheldin anzudeuten. Ansonsten stört nichts den konzentrierten Blick auf die Figuren. Auch Alexandra Tivig ordnet sich mit ihren dezenten Kostümen diesem Konzept selbstlos unter.

Was Generalmusikdirektor Mikhel Kütson den niederrheinischen Sinfonikern an Spannung, innerer Unruhe und klanglicher Leuchtkraft abgewinnt, hätte auch an größeren Häusern Bestand. Eine einfühlsame Interpretation, die jeder Fieberkurve der zerrissenen Musik nachspürt.

Zu diesem Eindruck trägt zu einem beträchtlichen Teil auch die Verwendung der tschechischen Originalsprache bei, deren Rhythmik und Klangkolorit die Musik idiomatisch prägt. Ein Riesenkompliment verdient das Ensemble, dass es sich der zusätzlichen Schwierigkeit aussetzte, die kniffligen sprachlichen Probleme zu bewältigen. Allen voran die Sopranistin Izabela Matula mit einer glänzenden, eindringlichen und in jeder Hinsicht anrührenden Gestaltung der Titelpartie. Stimmlich überragend, vermag sie sowohl die zerbrechlich-zarten Seiten als auch die emotionale Stärke der Figur zum Ausdruck zu bringen.

Satik Tumyan als Kabanicha trumpft nicht mit vokaler Brutalität wie manche ihrer oft prominenteren Kolleginnen auf, sondern schießt ihre verletzenden Giftpfeile eher hintergründig und verhalten ab. Übliches Gekeife bleibt uns erspart. Michael Siemon als Katjas Geliebter Boris Grigorjewitsch legt es ebenfalls nicht auf vokale Höhenflüge an, sondern lässt mit seinem kultivierten Vortrag die permanent bedrohliche Atmosphäre in jedem Takt spüren. Kairschan Scholdybajew gestaltet den eingeschüchterten Sohnemann Tichon mit im wahrsten Sinne des Wortes „zitternder“ Intensität, ohne stimmlich karikierenden Überzeichnungen zu verfallen. Ein Sonderlob verdient die quirlig agierende, auch gesanglich in Bestform aufspielende Eva Maria Günschmann als Barbara. Vorzüglich der Rest des Ensembles inklusive des von Maria Benyumova makellos einstudierten Chors.

Das Publikum reagiert mit großem Beifall auf die Produktion. Ovationen wären angesichts des beklemmenden Stücks auch unangebracht. Und das Theater Krefeld Mönchengladbach hat mit dieser Glanzleistung seine vorzügliche Position in der dichten rheinischen Theaterlandschaft bekräftigt.

Pedro Obiera