Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
PROSPEROS INSEL
(Bridget Breiner)
Besuch am
4. Juni 2016
(Uraufführung)
Ein Bespieltheater kauft Produktionen beispielsweise von Landestheatern, Tourneetheatern oder ähnlichen Anbietern ein. Eigene Produktionen oder gar Ensembles gibt es nicht. Zwar existieren Beispiele von Bespieltheatern, die ein durchaus attraktives Angebot zusammenstellen und so beinahe den Eindruck erwecken, als vollwertiges Theater zu gelten. Allerdings ist die Identifikation der Besucher mit diesen Häusern deutlich geringer als bei solchen mit eigenem Spielbetrieb. Häufig entstehen Bespieltheater in Folge übermäßiger Kürzungen der Finanzierung von produzierenden Theaterbetrieben – gern dann als „Königsweg“, bevor auch dieser Theaterform die Zuschüsse so weit entzogen werden, dass sie nur noch den Mainstream bedienen, ehe sie zu Comedy-Bühnen verkommen oder schließlich komplett aufgelöst werden. Gemein ist den Bespieltheatern, dass sie auf die geringstmögliche Bühnentechnik reduziert sind, weil die angekauften Produktionen so gut wie autark sind.
Das Theater Marl wurde 1953 erbaut, 1997/98 saniert und dient heute als reines Bespieltheater. Existenzsichernd ist hier die alljährliche Grimme-Preis-Verleihung. Außerdem wird es von den Ruhrfestspielen bespielt. Laut Intendant Frank Hoffmann möchte man hier so etwas wie eine Außenstelle für den Tanz etablieren, während die Stadtoberen das Theater gern mehr in die Ruhrfestspiele eingebunden sähen. In diesem Jahr wurde so etwas wie eine zweifelhafte Win-win-Situation geschaffen. Beim Musiktheater im Revier Gelsenkirchen wird das große Haus renoviert. Da passt es gut, dass die Ruhrfestspiele die Ballett-Produktion Prosperos Insel als Koproduktion von dort eingekauft haben und sie in Marl zur Uraufführung bringen. Als weiterer Koproduktionspartner wurde die Chorakademie Dortmund gewonnen. Erst im Herbst wird das Stück dann in Gelsenkirchen zu sehen sein. Vorerst dürfen die Besucher die Leistung der Bühnentechniker bewundern, die die Bühne in Marl gelungen in Vollbetrieb nehmen.
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Die Gelsenkirchener Ballett-Direktorin Bridget Breiner hat Prosperos Insel nach Motiven von William Shakespeares The Tempest – der Sturm – entwickelt. Zum Einsatz kommt Musik von Frank Martin, Benjamin Rimmer, R. Murray Schafer, Pēteris Vasks und Ralph Vaughan Williams, teils vom Band, teils vom Jugendchor vorgetragen. Einen näheren Zugang gibt es mangels Übertiteln nicht. In der Handlungsbeschreibung des immerhin zweistündigen Ballettabends überschlägt sich Dramaturgin Anna Grundmeier. „Der eigentliche Sturm ereignet sich dabei in den Gefühlswelten der Protagonisten, deren festgefügte moralische Gewissheiten im Verlauf der Ereignisse zunehmend durcheinandergewirbelt werden, bis schließlich auch die Grenzen von Mensch und Kreatur zunehmend verschwimmen.“ Diesen Anspruch kann Breiner nur sehr bedingt einlösen.
Zwischen Handlungsballett und Gefühlswallungen schwankt die Choreografie unentschlossen hin und her, um sich schließlich in der Beliebigkeit zu verlieren. Immerhin: Breiner verwendet viel Gedankenschmalz an Auf- und Abgänge. Das gefällt. Zunächst beginnt alles noch vielversprechend. Der Graben ist hochgefahren, eine Tänzerin trägt ein aus Papier gebasteltes Schiff, während sie über die Stühle der ersten Sitzreihe schreitet. Handwerklich wirkt das eher wie ein Eiertanz. Aber es gelingt. Später wird der Bühnenraum erweitert, der Graben für den Chor nach unten gefahren.
Warum Jürgen Kirner sich zuvörderst auf die Vorverlagerung beschränkt, wird nicht deutlich. Der Bühnen- und Kostümbildner zeigt bei den Kostümen solides Handwerk ohne Raffinesse. Der Catsuit des Luftgeistes zeigt eine klaffende Wunde – warum? Die Tänzer und Tänzerinnen tragen Kostüme, die in die Zeit Shakespeares passen könnten, und sind damit kaum aufregend. Der Chor, der mit auf der Bühne agiert, ist in graue Einheitsgewänder gekleidet.
Als sich die Bühne öffnet, steht die felsenhafte Inselnachbildung im Zentrum, umkreist von einem Ring. Mit beiden sind Spielereien in der Höhe möglich. Mal fährt der Ring nach oben oder unten, mal der Felsen. Im Hintergrund eine Wand aus 50 Scheinwerfern, die nach Notwendigkeit bespielt werden. Für die Grundstimmung sorgt Lichtdesignerin Mariella von Vequel-Westernach mit vier LED-Scheinwerfern über der Bühne. Spektakulär wird das Licht erst, wenn man die feinen Schattierungen mitverfolgt.
Die Compagnie badet förmlich darin. Breiner opfert die Geschichte einer Vielzahl von Solo-Einlagen und Pas de deux. Im Fieber der Uraufführung passen die Einsätze nicht immer, hapert es mit der Synchronität der Tänzer. Ledan Soto nutzt als Prospero die Gnade des Machos, Rita Duclos stellt als Luftgeist Ariel, der sich immer wieder Prospero andient, die Tänzerin des Abends. Francesca Berruto gefällt als Tochter Prosperos ebenso wie die übrigen Tänzer.
Ein besonderes Lob gebührt dem Jugendchor der Chorakademie Dortmund. Auch wenn in guter Chormanier Notenblätter auftauchen, Chorleiter Felix Heitmann immer wieder dirigiert, um die Qualität sicherzustellen, sind hier Schüler am Werk und bringen einen bewundernswerten feinen, nuancierten Gesang, während sie sich gleichzeitig auf ihre abwechslungsreichen Auftritte konzentrieren müssen. Und das funktioniert professionell. Chapeau!
In den überraschend lichten Reihen des Saals und auf den Rängen applaudiert das Publikum intensiv, erhebt sich letztlich von den Plätzen, um nach dem ersten Vorhang genüsslich diskutierend das Theater zu verlassen. Danach sind die Leistungen des Ensembles gut angekommen, während die Choreografie hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Michael S. Zerban