Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
GOLEM
(Bernhard Lang)
Besuch am
21. April 2016
(Uraufführung am 16. April 2016)
Am Anfang war das Video, dann folgte die Musik. In dieser Reihenfolge entstand das jüngste Werk des österreichischen Komponisten Bernhard Lang im Auftrag des Nationaltheaters Mannheim. Als Textvorlage diente Gustav Meyrinks Der Golem, ein Roman in 22 Kapiteln, geschrieben 1914, als Modernität in Prag Einzug hielt und die Schriftsteller glaubten, die Welt durch phantastische Geschichten wieder verzaubern zu können. Der Regisseur und Videokünstler Peter Missotten entwarf aus Meyrinks Golem ein Videolibretto, das Lang zu phantasmagorischen, grotesken wie surrealen Klangszenerien inspirierte. Damit erreicht er, was Meyrink beabsichtigte. Er entzieht dem Zuschauer jeglichen Halt an einen konkreten Handlungsstrang und damit zur realen Welt und konfrontiert ihn mit menschlichen Abgründen im tiefenpsychologisch ausgeleuchteten Innenraum zwischen Traum und Unterbewusstsein.
22 Kapitel, wie in Meyrings Roman angelegt, bestimmen auch den Ablauf von Langs Golem. Im Mittelpunkt steht der Gemmenschneider Athanasius Pernath. Eines Tages wird ihm ein Buch zur Restaurierung anvertraut. Das Initial „I“ aus dem Kapitel Ibbur muss repariert werden. Ibbur bedeutet übersetzt „Seelenschwängerung“ und wird zum Initial für Pernath, sich auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit zu machen. Zufällig erfährt er, dass er geisteskrank war. Er wird in eine Kriminalgeschichte hineingezogen, verhaftet und landet irgendwann in der Altschulgasse im Zimmer ohne Zugang, in dem der Golem spukt. Der Sage nach erschaffte einst ein Rabbiner den Golem, um einen willigen Diener zu haben. Doch es unterläuft ihm ein Programmierungsfehler und damit beginnt der Spuk.
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Auf der Mannheimer Bühne sind es gleich drei Golems, die den bedrohlich düsteren, winterlichen Bühnenraum durchschreiten. Kreidebleich, dürr, splitternackt, anstelle des Kopfes ein überdimensioniert langer Spitzhut, umschleichen sie Pernath, bringen ihm das Buch, reichen ihm den Spiegel zum Blick in seine Innenräume, erscheinen als Projektion auf den gläsernen Hauskonstruktionen und auf dem Videolibretto, das zum Teil der Ausstattung geworden ist. Im hinteren Bühnenraum flirren die Stummfilmbilder auf großen Monitorflächen. Damit stimmt Missotten den Zuschauer auf eine öde Winterwaldlandschaft ein, bevor er den Blick auf einen Innenraum lenkt. Im Video bewegen sich kleine dürre Gestalten im dreidimensionalen Raum ohne Bezug zum Oben und Unten. Jegliches Empfinden für die Realität löst sich damit auf. Es dominiert der Zustand. Darauf weisen auch die Kapitelüberschriften der einzelnen Szenerien hin.
Lang bedient sich unterschiedlichster Musikstile, um mit seinen Mitteln Konkretes in Abstraktes zu verwandeln, Zustände wie Not, Angst, List, Qual teils filmmusikartig zu verstärken und die Absurdität des Augenblicks festzuhalten, indem er süße Melodien mit Clustern und scharfzüngigen Klängen kombiniert. Seinen Sängern gibt er Mikrofone an die Hand, fordert sie in kurzen Sequenzen als Musicalstar, Conférencier oder mit virtuos zwischen stimmlichen Extremen schnell wechselndem Sprechgesang. Dem Chor weist er eine wichtige musikdramaturgische Bedeutung zu. Platziert auf einer Tribüne auf der linken Bühnenhälfte, agiert er in wechselnden Funktionen als orchestrales Klangelement, als Stimme, als Kommentator. Der Chor tritt mit den Sängern in Kommunikation oder intoniert kurzzeitig in herrlich sonorem Brucknerklang einen Choral, in welchen Alin Deleanu mit seinem berückend schönen Counter einstimmt. In der Doppelrolle als Charousek und Wassertrum auf der Bühne irritiert, dass er mit den Wundmalen Jesu gezeichnet als Stigmatisierter auftritt. Auch die weiteren Darsteller verkörpern gleich mehrere Rollen und geben damit Rätsel auf. Im Kontext gesehen, ist das durchaus schlüssig. Denn wie sich die Realität im Fantastischen auflöst, so löst sich auch der Bezug zur konkreten Person. Stimmlich nicht immer so gefordert, wie sie es bieten könnten, agieren die durchweg gut besetzen Solisten überzeugend. Dunkel satt gefärbt und darstellerisch packend gestaltet Thomas Berau die Figur des Athanasius Pernath als verwirrten Menschen.
Für den Erfolg der Uraufführung maßgeblich ist der Dirigent Joseph Trafton. Unter seiner Anleitung musiziert das Orchester des Nationaltheaters Mannheim auf hohem Niveau, outen sich einzelne Instrumentalisten als brillante Solisten, bilden sie im Zusammenspiel einen sehr durchsichtigen Klang. Dadurch wirkt die Komposition zur Inszenierung sehr stringent. Wer das Verwirrende der Szenerie akzeptiert, entdeckt den Neutöner Lang als expressiven wie empathischen Klangzeichner.
Das Publikum in Mannheim – mit erfreulicher Weise sehr vielen jungen Besuchern – zeigt sich aufgeschlossen und lässt sich begeistern.
Christiane Franke