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War es Traum oder Wirklichkeit? Die Antwort auf diese Frage bleibt bis zum Schluss offen. Und weil das so von Regisseur Jakob Peters-Messer beabsichtigt ist, wird die Fantasie des Zuschauers beflügelt. Die Inszenierung bedient sich ganz unterschiedlicher stilistischer Mittel, um die seelischen Qualen des Witwers Paul in seiner Trauer um die geliebte Marie transparent zu machen.
Zwischen der symbolhaften Trauerarbeit nach dem ersten Weltkrieg bis zur Psychoanalyse der Traumtheorie von Sigmund Freund bewegt sich der als pathologischer Psychopath gezeichnete Paul in seiner Totenverehrung und grenzenlosen sakralen Hingabe an die wie zu einer Heiligen verklärten, verstorbenen Marie. Eine Art Couch wird für ihn immer wieder zum Rückzugsort.
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Das Ganze läuft wie ein Film ab. Die Optik erinnert an einen Psychothriller, in dem immer ein Rest von Geheimnisvollem, Unergründlichem und Nichtrationalem bleibt. Im Bühnenbild und raffinierten Lichtdesign von Guido Petzold kommen das Imaginäre des Geschehens, der Wechsel der Handlungsebenen zwischen Wahn und Wirklichkeit und durch eine gerahmte transparente Bildfläche das Drinnen und Draußen, die geisterhaften Albträume mit den Erscheinungen der toten Marie mit großer Eindringlichkeit zur Wirkung. Der Schrein mit Maries Devotionalien, dem blonden Haarschopf als späteres Mordswerkzeug, der Laute für Mariettas Spiel und dem Brautschleier wird zum Opfer-Altar. Aus diesem Labyrinth der Illusionen will die Tänzerin Marietta, die der toten Marie aufs Haar gleicht, Paul mit allen Mittel reißen. In eindrucksvollen Bildern wird vorgeführt, wie diese lebenslustige und lebensbejahende Frau immer mehr Macht über den durch seine kompromisslose Trauer in Zwiespalt geratenen Paul gewinnt. Dabei versucht Marietta ihn ins Leben zurückzuholen, in dem sie sich immer mehr gegen das Bild von Marie und deren Übermacht im Denken und Fühlen von Paul wehrt. Und das gelingt selbst ihrer Theatertruppe mit dem als opulenten Mummenschanz zelebrierten Nonnentanz aus Meyerbeers Oper Robert der Teufel nicht. Immer wieder drängen sich Wahnvorstellungen in die Scheinwelt, erlebt Paul sein kindliches Ego, das als Opfer in gekreuzigter Pose auf dem Altar erscheint. Manche der Bilder haben eben auch etwas Schockierendes. Kein Wunder, dass Alfred Hitchcock die Geschichte für seinen Thriller Vertigo verwendete.
Es ist wieder einmal eine exzellente Ensembleleistung, die den Erfolg der Inszenierung sichert. Optimal besetzt sind Undine Dreißig als Haushälterin Brigitta und Roland Fenes als Frank mit beeindruckendem Bariton-Klang, vor allem in der Mittellage überzeugend und intonationssicher. In den fantasievollen Kostümen von Sven Bindseil machen Irma Mihelic, Jenny Stark, Manfred Wulfert, Markus Liske eine gute Figur und mit dem wunderschön gesungenen Sein Sehnen, mein Wähnen Thomas Florio. Mit Wolfgang Schwaninger ist die Rolle des Paul stimmlich und vor allem darstellerisch optimal besetzt. Mit kraftvoller Stimme, variationsreich und nuanciert, singt er die Partie. Er singt mit einem eindrucksvollen Legato, schwankt stimmlich zwischen Aggressivität, Verzweiflung, Hingabe und Hoffnung. Im Spiel mit Marietta, gesungen und leidenschaftlich gespielt von Noa Danon, wird die ganze Brüchigkeit Pauls deutlich. Trotz aller Leichtigkeit im Musikalischen und dem kapriziösen Gesang Mariettas, wie bei Glück, das mir verblieb als Leitmotiv der Oper, gelingt Noa Danon sehr überzeugend, ihrer Marietta Emotionalität und darstellerisches Profil zu geben. Opernchor und vor allem der Opernkinderchor des Konservatoriums Georg Philipp Telemann sind von Martin Wagner bestens vorbereitet.
Am Pult der Magdeburgischen Philharmonie bringt Kimbo Ishii die Musik von Korngold, in der man nicht nur Wagner, Puccini und Lehàr, sondern auch die Filmsinfonik von Korngolds späterer Oscar-prämierter Hollywood-Karriere heraushört, zum Klingen. Dabei gelingt wunderbar ausbalanciert der musikalische Spagat zwischen Klangeruptionen und zarten Lyrismen, sehr ausdifferenziert mit der Bühne.
1928 wurde die tote Stadt das letzten Mal in Magdeburg aufgeführt. Zu Unrecht, wie der Erfolg der Premiere zeigt. Beifall ohne Ende für Ensemble und die Magdeburgische Philharmonie.
Herbert Henning