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Der Premierenabend beginnt mit einer bewegenden Erinnerung an den Terroranschlag am 13. November in Paris. Karen Stone, Generalintendantin des Magdeburger Theaters, erinnert nicht nur an die vielen Opfer des Terrors, sondern auch daran, dass die Künstler mit Theater spielen, Musik machen und Geschichten erzählen ein ganz besonderes Zeichen gegen Angst und Terror setzen wollen. Und so ist die Premiere von Jacques Offenbachs Pariser Leben ein Beispiel dafür.
Das Pariser Leben auf der Bühne des Magdeburger Opernhauses spielt sich unterm Eiffelturm ab. Das Wahrzeichen der Seine-Metropole dominiert die Schauplätze des turbulenten Geschehens. Der Eiffelturm ist, immer präsent, Kulisse für die Irrungen und Wirrungen der Liebe, für Schein und Sein, für Verliebte und Verheiratete, die Abenteuer suchen und dabei schon mal ihre Identität ändern. Und, so will es Regisseur Michael Wallner: Paris als Stadt der Mode bildet das Milieu für das Verwirrspiel, das durch den Besuch des schwedischen Ehepaares Baron und Baronin von Gondremarck ausgelöst wird. Paris also ganz gegenwärtig mit ironischen Anspielungen auf Mode und Models zwischen London, Paris, Mailand und Berlin. Das funktioniert und macht deutlich, dass diese Offenbach-Operette zeitlos, ein Zeitstück ist.
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1866 zur Uraufführung brachte Offenbach zum ersten Mal die Gegenwart auf die Bühne. Er parodierte nicht mehr aus der Perspektive der Mythologie, wie in Die schöne Helena oder Orpheus in der Unterwelt die gesellschaftlichen Zustände, sondern brachte in Pariser Leben die Realität des Zweiten Kaiserreiches auf die Bühne. Offenbach war ein Meister der Parodie und Karikatur. Seine Operetten und besonders Pariser Leben sprühen vor Temperament und Originalität. Und sind eigentlich Komödien mit Musik. Die Libretti stehen ganz in der Tradition der französischen Komödien von Georges Feydeau und Eugen Labiche. Und das wird von Wallner in der Regie besonders herausgestellt. Seine Inszenierung ist Boulevardkomödie und musikalische Farce zugleich, eine musikalische Achterbahn von der schmissigen Ouvertüre bis zum spritzigen Finale. Dazwischen wird in vielen Variationen gegessen, gefeiert, getanzt, gejodelt, geliebt, gelacht, betrogen und sich versöhnt. Heinz Hauser hat für die einzelnen Schauplätze des Vergnügens unterm Eiffelturm mit einem vielfach geteilten Fächer, auf dem im Stil des legendären Malers Toulouse-Lautrec die Konterfeis Pariser Schönheiten prangen, eine Szenerie entworfen, die durch Rotation immer neue und verblüffende Perspektiven auf das Geschehen eröffnen. Der Clou des Ganzen aber gelingt der Modedesignerin und Kostümbildnerin Tanja Liebermann. Inspiriert von dem Pariser Modemacher Christian Dior hat sie für die Akteure mehr als 300 wunderschöne Kostüme entworfen – ein Hauch von Haute Couture und ein Fest für alle Sinne.
Mit Temperament und Pariser Charme entfacht die Magdeburgische Philharmonie mit Hermann Dudek am Pult ein wahres musikalisches Feuerwerk. So macht Operette Spaß, und Spaß haben die Akteure auf der Bühne in jeder Minute.
Allen voran Johannes Wollrab als Modeschöpfer Raoul de Gardefeu und als extravaganter Modeschöpfer Bobinet Phillppe Clark Hall, der auch als Schuh-Couturier Frick über die Bühne wirbelt. Manfred Wulfert und die bildschöne Christine Buffle als Baron und Baronin von Gondrermarck auf Abenteuersuche zwischen Pigalle und Grand Opéra agieren mit Charme, Witz und musikalischer Eleganz. Für den komödiantischen Spaß bei den rasanten Verwechselungen und Verkleidungen, die Raoul de Gardefeu mit seinen Freunden organisiert, sorgen als extravagantes Model Metalla Sylvia Rena Ziegler, Julie Martin du Theil als Handschuhmacherin Gabrielle und Ute Bachmeier in der Rolle der Hutmacherin Pauline in immer neuen Verkleidungen für musikalischen Glanz und Pariser Flair. Gleich in mehreren Rollen agieren Thomas Matz und Peter Wittig. Andre Felipe Orozco übernimmt kurzfristig die Rolle des reichen Brasilianers und sang danach vom Bühnenrand aus zum Spiel von Barbara Schöne auch die Partie des Maskenbildners Prosper. Den besonderen optischen und musikalischen Drive bekommt die Aufführung immer wieder durch den äußerst spielfreudigen Chor mit Jodel-und Schuhplattler-Qualitäten, bestens musikalisch vorbereitet durch Martin Wagner, wobei sich Iris Kock, Ulrike Baumbach und Bo Mi Lee solistisch in kleineren Rollen besonders hervor tun. Und auch das Ballett Magdeburg in der Choreografie von Lynne Hockney mischt kräftig mit und macht die Bühne zum Laufsteg für die Modekreationen.
Am Schluss konstatiert die Baronin von Gondremarck: „Paris hat mich entzückt.“ Auch wenn man dem begeistert applaudierenden Publikum zum Finale einen Cancan schuldig bleibt, kann man bei diesem Pariser Leben dem nicht widersprechen.
Herbert Henning