Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jean-Louis Fernandez

Aktuelle Aufführungen

Der Tod dankt ab

DER KAISER VON ATLANTIS
(Viktor Ullmann)

Besuch am
17. März 2016
(Premiere)

 

 

Opéra National de Lyon

Nicht nur große Produktionen machen den Rang von Festspielen aus. Auch kleinere Projekte und die Einbeziehung von Nachwuchskünstlern können dazu beitragen. Wie beim FestivalPour l’humanité in Lyon, bei dem das Studio der Opernschule mit Aufführungen von Der Kaiser von Atlantis und Brundibár gleich zweimal beteiligt ist.

Sie erinnern an die Komponisten Viktor Ullmann und Hans Krása, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung im so genannten Dritten Reich verfolgt, im Konzentrationslager Theresienstadt und in Auschwitz ermordet wurden. In Theresienstadt entstand Ullmanns Der Kaiser von Atlantis. Doch im Gegensatz zu Krásas Brundibár, der dort zu den meist aufgeführten Werken gehörte, blieb sie ungespielt, weil die Lagerleitung die Premiere nach der Generalprobe verbot. Ein Mithäftling rettete die Partitur, die auf Umwegen in die Niederlande gelang, wo sie 1975 ihre Uraufführung erlebte.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Kaiser von Atlantis setzt sich symbolträchtig mit einem totalitären Staat und seinem todbringenden Diktator auseinander, womit natürlich NS-Deutschland und Hitler gemeint sind. Die Inszenierung von Richard Brunel, eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2012, die im Théâtre National Populaire außerhalb des Zentrums gespielt wird, scheint zu Beginn die Entstehungsgeschichte des Werks mit einzubeziehen. Doch Brunels Konzept geht nach eigener Aussage in eine andere Richtung. Seine Idee ist es, Kunst zu Kriegszeiten in einem zerstörten Theater zu zeigen. Was ambitioniert klingt, wirkt jedoch trotz einiger starker Bilder in seiner Gesamtheit nicht schlüssig, zumal sich diverse Einfälle nicht erschließen.  

Foto © Jean-Louis Fernandez

Dagegen vermittelt Vincent Renaud mit dem klein besetzten Opernorchester beeindruckend souverän die Qualitäten von Ullmanns Musik, die Lutherchoral und Deutschlandlied zitiert, an Mahler und Weill-Songs erinnert, in ihrer stilistischen Buntheit aber doch eigenständig bleibt. Die Solisten aus der Opernschule beweisen durch vokale Sicherheit und gestalterische Beweglichkeit, wie gut es um den Nachwuchs bestellt ist. Besonders der zauberhafte lyrische Sopran von Andromahi Raptis klingt nach einer vielversprechenden Zukunft. 

Herzliche Zustimmung am Ende der pausenlosen Vorstellung. Das nächste Festival steht unter dem Motto Mémoires. Wegweisende Inszenierungen, die zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, werden auf der Grundlage der Originale neu erarbeitet – es sind Elektra in der berühmten Dresdner Sichtweise von Ruth Berghaus, Tristan und Isolde aus Bayreuth in Heiner Müllers Interpretation und Die Krönung der Poppea von Klaus Michael Grüber aus Aix-en Provence. Die erneute Auseinandersetzung mit ihnen dürfte spannend werden: Machen die damals revolutionären Regiehandschriften auch heute noch so starken Eindruck oder hat sie die Erinnerung nur verklärt?

Karin Coper