Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Außer Kontrolle

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
22. Januar 2016
(Premiere)

 

 

Theater Lübeck

Mozarts und da Pontes Treueprobe ist eine bittere Opernkomödie mit am Ende desillusionierten Protagonisten, die in einer vermeintlichen Ruhe zurückbleiben und doch vor dem Scherbenhaufen ihrer Gefühle und Illusionen stehen.

Die Regisseurin Sandra Leupold lässt alle Mitwirkenden – inklusive des Chors – in einem über den gesamten Verlauf der Oper andauernden, schlafwandlerischen Reigen in Zeitlupe am jeweils äußeren Rand der Bühne entlanglaufen. Dieses mondsüchtige, traumwandelnde Kreisen wird nur durch die Auftritte der Solisten oder des Chores unterbrochen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Protagonisten reißen sich jeweils aus dem Traum, um an der realen Handlung teilzunehmen oder diese zu gestalten. Inwieweit sie wirklich dabei dem Traumwandeln entkommen und zu Akteuren mit Kontrolle über ihre Handlungen oder Reaktionen der anderen werden oder doch nur ihr Unterbewusstsein im Zentrum der Handlung und Bühne weiterleben, bleibt offen.  

Foto © Oliver Fantitsch

Es wird präzise und anspruchsvoll gespielt. Bei Abschluss der Wette unter den Männern wird aus viel Übermut getanzt. Doch die Dynamik ist nie leicht und spielerisch, sondern oft überdreht und schlägt in zutiefst schreckhafte Gesten um, wie immer wieder auch bei der Kammerzofe Despina. Dorabellas zweite Arie wird im derwischhaften Taumel ewig schwindlig machender Drehungen vorgetragen, die einen selbst gemachten Kontrollverlust versinnbildlichen.

Die Inszenierung vermag in eindrucksvoller Weise Elemente der bewussten Versuchsanordnung mit der Welt des Unterbewussten zu durchdringen. Es wird nicht klar, wer hier Akteur einer kontrollierten Handlung ist und wer das Opfer einer Versuchung. Das macht relative Zuweisungen von Verantwortung und Schuld unmöglich. Alle sind in einem Orbit von Träumen, Sehnsüchten, Ängsten und Desillusionierungen gefangen und doch sehnsüchtig miteinander verbunden.

Die Bühne von Stefan Heinrichs schafft dazu einen den gesamten Bühnenraum nutzenden, schwarzen Rahmen, der die Anmutung eines tiefliegenden gewaltigen Gewölbes erzeugt, das irgendwie und irgendwie auch nicht durch eine unendliche Leiter und Seile mit einer Welt des Tages verbunden sein mag.

Die Lichtregie von Falk Hampel trennt die Szenen und Situationen klar und einfühlsam voneinander und versteht es, die Welten der Irrealität wirkungsvoll zu unterstützen.

Einzig die Kostüme von Jessica Rockstroh verweisen in die Entstehungszeit des Werkes. Was hier Authentizität darstellen könnte, wirkt durch die Konkretisierung einer ansonsten im Traum agierenden Welt wie ein Verfremdungseffekt. 

Diese feine, verletzliche Balance auf der Bühne käme niemals so filigran und eindrucksvoll zur Wirkung, würde nicht Felix Kriegers musikalische Leitung alle Fäden so virtuos in Händen gehalten.

Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck spielt mit grandioser Präzision und Klarheit in allen Orchestergruppen. Die Orchesterstimmen und Marton Terts am Cembalo korrespondieren zudem in herausragender Weise mit allen Sängern, die ihrerseits nicht nur mit jedem Wort verständlich singen, sondern darüber hinaus in außerordentlich klarer Form noten- und textgerecht phrasierten. Eine herausragende Ensembleleistung!

Erica Eloff ist eine wunderbare Fiordiligi – ihre zweite Arie wirkte wie ein einziger, großer, aber von vornherein vergeblicher Versuch der vorgezeichneten Verführung in der gesetzten Versuchsanordnung zu entkommen – musikalisch und inhaltlich ein Höhepunkt des Abends. Die Dorabella wird von Wioletta Hebrowska eindrucksvoll verkörpert. Sie vermag die Partie gesanglich selbst unter anspruchsvollen Bedingungen wie der Bewegungs-Choreographie in der zweiten Arie oder den sehr schnellen Temporückungen der ersten Arie zu meistern. Der Gugliemo des Johan Hyunbong Choi und Ferrando von Daniel Jenz vertreten ihre Rollen kongenial und beide mit großer Spielfreude. Die Despina der Andrea Stadel bringt gesanglich und darstellerisch eine kompakte, robuste und gar nicht süßliche, sondern eher handfeste, realistische Frau auf die Bühne. Don Alfonso von Steffen Kubach spielt den alten Zyniker sensibel und mit der Ahnung, dass auch sein Weltbild und der Verzicht in der Außenseiterposition nicht der Weisheit letzter Schluss seines eigenes Lebens gewesen sein kann. Auch er bleibt der anspruchsvollen stimmlichen Herausforderung dieser Produktion nichts schuldig.

Der Chor unter Jan-Michael Krüger fügte sich gesanglich gelungen in die darstellerischen, teilweise choreographischen Bewegungsabläufe der Inszenierung ein.

Begeisterung des Lübecker Publikums mit Bravorufen für alle Sänger. Eine kleine, aber nachhaltige Buh-Fraktion vermag sich mit dem Konzept von Leupold nicht einverstanden zu erklären.

Achim Dombrowski