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PELLÉAS ET MÉLISANDE
(Claude Debussy)
Besuch am
26. März 2016
(Premiere am 19. März 2016)
Sie schweben im Raum ohne Bodenhaftung. Sie scheinen zu weißgesichtigen Puppen erstarrt zu sein. In extremer Zeitlupe werden sie schwebend auf, ab und seitlich bewegt. Sie tragen lange Gewänder, und jeder für sich macht immer wieder langsame stereotype Bewegungen. Sie sind alle ständig anwesend und scheinen zueinander keine Interaktion und Beziehung zu haben. Nur der omnipräsente Tod, der auch den Schäfer und Arzt mimt und Golaud, die Schlüsselfigur, der Motor des Tragischen, stehen erdenschwer am Boden. Letzterem ist die Bewegungsfreiheit jedoch sehr symbolhaft durch riesige, schwere Schuhe eingeschränkt.
So deutet Maler, Bühnenbildner und Regisseur Achim Freyer Pelléas et Mélisande von Claude Debussy, sein einzig vollendetes, melancholisches Musikdrama, 1902 in Paris uraufgeführt, am Linzer Landestheater. Und er sieht wie Maurice Maeterlinck, der Autor des gleichnamigen Dramas, auf dem die Oper basiert, im Sinne von dessen Théâtre statique, dass das Stück seine Stärke nicht aus der Handlung, sondern aus den inneren Seelezuständen der eigentlich nichthandelnden Personen erfährt.
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Dazu kommt ein in die Tiefe der Bühne gehender Wald von reflektierenden Scheiben, die in ihrem Farbenspiel auch das Innere veräußerlichen. Dahinter steht ein ungemein ausgeklügeltes und faszinierendes Farbkonzept und beinahe pausenlose Veränderungen der Lichtstimmungen, die die Personen immer wieder verschwinden und auftauchen lassen. Bei den Szenenwechseln huschen zudem noch dunkle schemenhafte Figuren quer über die Bühne. All das bewirkt einen ungemein faszinierenden, bildmächtigen Theaterzauber, der trotz aller Statik tief beeindruckt. Das Drama um Liebe und Eifersucht, um eine rätselhafte Frau, die zwischen zwei Halbbrüdern steht, mit dem kunstvollen Geflecht von Beziehungen, Sehnsüchten und Abhängigkeiten, Angst und Tod, wird bei Achim Freyer zum Ereignis. Erst nach Pelléas‘ Worten „Alle Sterne fallen vom Himmel“ und bei seinem darauffolgenden Tod, fallen alle Scheiben zu Boden und die Bühne bleibt bis zum Ende nur mehr in fahles, realistisches Licht getaucht.
Myung Joo Lee ist eine mädchenhafte, zerbrechliche Mélisande. Die Sopranistin singt die geheimnisvolle, undurchschaubare Außenseiterin mit hinreißender Schönheit und betört mit feinsten Nuancen, wunderbaren Farben und tiefgehender Innigkeit. Iurie Ciobanu ist ein kraftvoll intensiver, wie auch sanftmütig schwärmerischer, sehr geschmeidig singender Pelléas. Sebastien Soules als sein düsterer Gegenpol, ist ein mächtiger, selbstquälerisch zwischen Sanftmut und Jähzorn hin und her gerissener Golaud. Sein Sohn Yniold wird von Martha Matscheko kindlich und mit großer Tonreinheit gesungen. Dominik Nekel ist ein sehr ergreifender Arkel mit weichen Tönen. Karen Robertson ist eine tadellose Geneviève.
Delikate orchestrale Differenzierungskunst vom Feinsten von Debussys schillernder, genialer Partitur, die als perfekte Wagner-Antithese in die Musikgeschichte eingegangen ist, zeichnet das Bruckner-Orchester Linz unter Dennis Russell Davies: Zarteste Farbmischungen, subtile träumerische, ja transzendente Klänge, die sich zu einem impressionistischen Gemälde, ja zu einem magischen Tongeflecht verdichten. Wobei das früher praktizierte, übliche Verschwimmen zugunsten von klar erkennbaren, luziden Strukturen ersetzt wird.
Zu Recht großer Jubel im nach der Pause doch eher nur mehr schütter besetzten Haus.
Helmut Christian Mayer