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IL SEGRETO DI SUSANNA/
LA VOIX HUMAINE
(Ermanno Wolf-Ferrari/Francis Poulenc)
Besuch am
24. Januar 2016
(Premiere)
Es ist eine seltsame Mischung, die das Publikum an einem nasskalten Sonntagnachmittag in Liège in das wunderschöne königliche Opernhaus treibt. Eröffnet wird der Nachmittag mit Ermanno Wolf-Ferraris Geheimnis der Susanna. Das Intermezzo wurde am 4. Dezember 1909 im Münchener Hoftheater uraufgeführt und entwickelte sich vorübergehend zu einem europäischen Erfolg. Eine amüsante kleine Geschichte um einen Grafen und seine jüngere Gemahlin. Er verdächtigt sie der Untreue, nimmt er doch Tabakgeruch in den eigenen Gemächern wahr, sie will ihm die eigene Lust auf die Zigarette verheimlichen. Beides löst sich in Rauch auf – ehe die beiden, zeitgemäß moralisierend, auf die Zigaretten verzichten und gemeinsam das Schlafzimmer zur Befriedigung größerer Lüste aufsuchen. Wie anders doch La voix humaine von Francis Poulenc, ebenfalls ein Einakter, der nach dem 1930 erschienenen Theaterstück von Jean Cocteau fast drei Jahrzehnte später an der Opéra-Comique in Paris uraufgeführt wurde. Gemahnt das eine eher an Komödienstadl, ist das andere ein genialisches Stück Minimalismus, einzig dazu erschaffen, einer Sängerin eine Bühne zu schaffen, auf der sie ihre wahre Qualität beweisen kann. Es geht nicht um Handlung, nicht um Textverständnis. Poulenc möchte die Entblößung der Seele sehen. Vielleicht die größte Herausforderung, die eine Sängerdarstellerin annehmen kann.
Gegensätzlicher können zwei Stücke kaum sein. Wie also gehen die Neulinge an der Lütticher Bühne damit um? Regisseur Ludovic Lagarde macht es sich mit seinem Debüt vergleichsweise einfach. Il segreto di Susanna inszeniert er als Boulevardkomödie und baut bei der telefonierenden Selbstmord-Kandidatin in La voix humaine weitestgehend auf die Wirkung des Bühnenbilds. Das hat Bühnenbildner Antoine Vasseur, ebenfalls zum ersten Mal in Liège, als raffinierten „Schuhkarton“ auf die Bühne gestellt. Es wird zum verbindenden Element zweier Stücke, die verschiedener nicht sein können. Reicht im ersten Stück die Front des Bühnenbilds aus, das ein Wohnzimmer symbolisieren könnte und Abgänge zu verschiedenen Räumen bietet, wird daraus im zweiten Stück mittels Drehbühne eine ganze Wohnung, die der Protagonistin jeglichen erdenklichen Spielraum bietet, ihr Telefonat zu entfalten.
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Sébastien Michaud muss sich mit den Lichtverhältnissen in Liège ebenfalls erstmals anfreunden, konzentriert sich bei der Komödie auf verhältnismäßig platte Farbwechsel und ist in der Psychologie des zweiten Stücks völlig verloren, bietet eine gleichmäßig ausgeleuchtete Bühne ohne Spannung und Überraschungen. Ähnlich verhält es sich mit dem nächsten Neuling an der königlichen Oper. Fanny Brouste lässt die Akteure im ersten Stück in „heutigen“ Kostümen auftreten. Die sind allerdings weniger der gegenwärtigen Mode geschuldet als den Charakteren der Darsteller. Die menschliche Stimme hingegen präsentiert sich im farbig unentschiedenen Nachthemd, das weder der Figur der Darstellerin noch dem Stück nutzt. Ein glatter Ausfall. Von der Ästhetik her hätte man sich da eher etwas gewünscht, das Debütantin Lidwine Prolonge in ihren Videos zeigt. Diese unterkühlte Erotik hat ihren Reiz. Stattdessen also Theaterkostüm, wie man es kennt.
Auch im Gesang gibt es das Konventionelle. Il segreto di Susanna bietet kaum Spielräume für glanzvolle sängerische Leistungen. Bariton Vittorio Prato bringt die sängerisch glanzlose Rolle des Conte Gil gut über die Bühne, gefällt als Schauspieler, für Anna Caterina Antonacci bietet die Contessa Susanna ebenfalls keine großen Herausforderungen. Da gefällt genauso Bruno Danuoux in der stummen Rolle des Dieners, auch zum ersten Mal an der königlichen Oper. La voix humaine erfordert da schon mehr. Die sinnliche Frau, die betrogen und selbst Betrügende wird, die sich nicht nur mit der gescheiterten Beziehung, sondern auch mit den eigenen Befindlichkeiten auseinandersetzen muss. Jetzt kommt die große Stunde Antonaccis. Lagarde patzt, wenn er im Libretto von Cocteau die Schnur am Telefon nicht entdeckt. Die Sängerin singt. Mehr nicht. Gut, sie bewegt sich durch die Räume. Warum es eigentlich eine gefüllte Badewanne gibt, erschließt sich nicht. Antonacci singt die Rolle durch, aber die Elle erlebt das Publikum nicht. Jene seelenverlorene Sängerin, die sich auf der Bühne verausgabt, die Fragilität einer längst überholten Beziehung beschwört, die klingt bei Antonacci „laut Drehbuch“, gelebt wird das nicht. Poulenc wollte was Anderes.
Derweil musiziert das Orchestre de l’Opéra Royal de Wallonie exakt nach den Maßgaben von Patrick Davin. Der hat Sänger und Orchester gleichermaßen im Blick, und es liegt nicht am Orchester, wenn Antonacci nicht durchgängig verständlich ist.
Das Publikum fühlt sich gut unterhalten und respektiert die dargebotenen Leistungen. Vereinzelt gibt es ein bravo statt eines brava. Und nach dem ersten Vorhang ist dann auch Schluss.
Kurzweilig ist’s. Große Kunst klingt anders.
Michael S. Zerban