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DAS LAND DES LÄCHELNS
(Franz Lehár)
Besuch am
18. Februar 2016
(Einmaliges Gastspiel)
Die Operette ist tot. Es lebe die Operette! Während die einen heftig darum kämpfen, die hohe Kunst der klassischen Unterhaltung aufrechtzuerhalten, ja, sie gar wiederzubeleben, sehen andere im Musical den legitimen Nachfolger und würden die Werke von Lehár und Kollegen am liebsten für immer in der Versenkung verschwinden lassen. Entschieden aber wird im Saal, und der ist, wie jetzt in Leverkusen, zum Bersten voll, wenn eine Operette auf dem Programm steht. Zu Gast sind dann die Alten, die die Hochblüte der Operette noch erlebt haben. Die Jungen, die die Veranstalter so gern in ihren Sälen sähen, bleiben weg, weil sie die Operette in der Regel gar nicht mehr kennengelernt haben. Also bleibt die Operette, wenn auch seltener, auf den Spielplänen. Denn was letztlich zählt, ist nicht das Alter der Besucher, sondern die Auslastung.
Was allerdings das Wiener Thalia-Theater in Kooperation mit dem Opernhaus Liberec in Leverkusen auf die Bühne bringt, dürfte eher zu einem Blitztod der Operette beitragen. Zugegeben, Das Land des Lächelns ist höchst anspruchsvoll, wenn man es zeitgemäß inszenieren will. Andererseits ist der Konflikt der Kulturen brandaktuell und lohnte sicherlich, den Stoff auf seine Belastbarkeit in diesen Tagen zu befragen. Ihn der Lächerlichkeit und dem Kitsch preiszugeben, dürfte allerdings nicht einmal mehr in Wien funktionieren.
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Das Bühnenbild von Wilhelm Schupp, der auch für die unsagbar kitschigen, klischeeüberfrachteten Kostüme sorgt, erinnert an das Ohnsorg-Theater in Hamburg oder das Millowitsch-Theater in Köln. Das hat schon in den 1940-er Jahren nur dann funktioniert, wenn die Stars der Operette auf der Bühne standen. Dem Publikum gefällt sogar der Wiener Salon im ersten Akt, es gibt gar Applaus, als der Vorhang sich zum zweiten Akt öffnet und den Blick auf eine „chinesische“ Szene freigibt. Dann aber kippt die Stimmung, weil es einfach der Klischees zu viel wird. Regisseur Rudolf Pfister, der auch gleich als Graf Ferdinand von Lichtenfels und Obereunuch herumalbert, kümmert sich wenig um Inhalte, sondern stellt den Klamauk in den Vordergrund. Wäre es als Parodie gemeint, ginge das in Ordnung. Die Unerträglichkeit liegt darin, dass er vergeblich versucht, eine Inszenierung auf die Beine zu stellen, die 1929 Bestand gehabt hätte. In diesem Jahr wurde die Operette in Berlin erstmals unter dem Titel Das Land des Lächelns uraufgeführt – und wäre in dieser Regie sicher erneut durchgefallen, so wie das Stück unter dem Titel Die gelbe Jacke 1923 in Wien. Entsprechend ist die Choreografie von Šárka Brodaczová eher peinlich denn tänzerisch. Dazu kommt, dass die Leistung der Tänzerinnen und Tänzer so miserabel ist, dass sie einer näheren Beschreibung nicht lohnt.
Ähnlich verhält es sich mit den Solisten. Anfänglicher Lichtblick ist Frauke Schäfer als Lisa von Lichtenfels – damit ist es im zweiten Akt vorbei. Es wird eine Orgie der kleinen Stimmen. Die Posen von Sou-Chong-Darsteller Michael Kurz sind so alt wie die Operette, seine Stimme lässt erahnen, dass er einmal die Technik beherrscht hat, jetzt ist nicht einmal mehr das Volumen übrig. Bei Dein ist mein ganzes Herz wird es dann ärgerlich. Verschluckte Silben sind nicht so schlimm wie die völlige Abwesenheit von Sentiment. Wenn er keine Lust hat, soll er’s lassen. Und wenn er es nicht mehr kann, erst recht. Graf Gustav „Gustl“ von Pottenstein wird steif und frei von jeglichem schauspielerischen Können von Thomas Malik gegeben, dem unterwegs beim Singen gar die Puste ausgeht. Josef Krenmair blamiert sich als Oheim Tschang mit unverständlichem Bariton. Ein gutes Beispiel dafür, dass viele Siege bei Gesangswettbewerben gar nichts aussagen, weil sie lediglich eine artifizielle Leistung beurkunden, bietet Elisabeth Pratscher als Sou-Chongs Schwester Mi. Schon die Textverständlichkeit an der Rampe ist bedenklich, eine halbe Drehung auf der Bühne sorgt für Totalverlust der Hörbarkeit. Da hilft auch ihr sympathischer Auftritt nicht.
Dabei gibt sich Dirigent Martin Doubravsky mit der kleinen Orchesterbesetzung der Oper Liberec alle Mühe, die Sänger mitzunehmen. Allein, es hilft nicht. Und da muss man mal das Orchester loben, dass es einen schönen Lehár-Klang hinbekommt. Ein Stück weit gelingt es ihm sogar, das herüberzubringen, was den Sängern völlig abgeht: Gefühl.
Am Ende hat sogar der letzte Operetten-Enthusiast in Leverkusen verstanden, dass er hier das bekommen hat, wofür in Wien Kartenverkäufer in Mozart-Uniform auf den Straßen Touristen in Konzerte locken wollen: Unterste Schublade. Und so fällt der Applaus eindeutig kurz und unmissverständlich gleichförmig für alle Beteiligten, vom Statisten bis Frauke Schäfer, aus. Schade um eine wunderbare Operette, bedauerlich, dass die Wiener so eine verlotterte Aufführung auf die Bühne bringen.
Michael S. Zerban