Besprechung
Shakespeare frisch, flott und fröhlich
Das Musical Kiss me, Kate! wurde für Cole Porter zu einem unglaublichen Erfolg. Nach der Uraufführung am 30.12.1948 im New Yorker New Century Theater gab es allein in New York 1077 Vorstellungen. Bis heute gehört das Stück, dem Der Widerspenstigen Zähmung von William Shakespeare zugrunde liegt, zu den Evergreens der Musical-Bühne. Euro-Studio hat die Inszenierung von Hardy Rudolz mit dem Untertitel Musical Comedy versehen.
Vorsicht, Falle! Bei einem solchen Untertitel, so lehrt die Erfahrung, erwartet einen so allerlei – in der Regel nichts Gutes. Das Publikum vertraut auf die Dramaturgen des Leverkusener Forums und strömt in Scharen in den Saal. Zu Recht. Eine dermaßen gute Produktion hat man im Musical-Bereich lange nicht mehr gesehen. Rudolz fühlt sich vom Untertitel nicht etwa zu Slapstick mit Darstellern der zweiten Garde verführt. Sondern vielmehr spielt hier ein Musical-Ensemble auf. Hinter der Comedy verbirgt sich nichts weiter als ein Kunstgriff des Regisseurs. Er dreht das Tempo des Musicals ordentlich auf, bleibt aber unter Screwball-Geschwindigkeit und wird so niemals langweilig, ohne gewaltig zu überdrehen. Claudia Kuhr lässt dazu Kostüme schneidern, die in den Shakespeare-Szenen historische Kleidungsstücke des 16. Jahrhunderts assoziieren, in den Backstage-Szenen sind es ausgesprochen flotte Fantasie-Kostüme, die als modern und vor allem sexy gelten können. Da kommen nicht nur die Damen in Hot Pants und gerne bauchfrei, sondern auch die Herren im schicken, lässigen casual look daher. Die für das Tournee-Theater typischen Verschiebeelemente, die diesmal Eva Humburg entwickelt hat, sind nicht ganz so aussagekräftig. Allerdings kommt die Handlung auch mit groben Andeutungen aus. In dieser Produktion werden auch die Umbaupausen durchchoreografiert. Wunderbar. Rolf Spahn unterstützt das mit deutlichen Lichteffekten, die die Stimmungen bestens unterstreichen.
Points of Honor
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Marie-Christin Zeisset hat eine großartige Choreografie angelegt. Da pulst das Leben, entwickelt sich die Leichtigkeit in den Step-Einlagen, Revue-Bilder der 1920-er Jahre, die so viel Spaß und Lebensfreude versprühten, tauchen hier wieder auf.
Umgesetzt haben das Musical-Darsteller in einer wegweisenden Personenführung, bei denen man kaum weiß, wen man zuerst loben darf. Hervorragend lässt Guido Weber Fred Graham und Petruchio ineinander verschmelzen, ohne Verwirrung auszulösen. Er überzeugt in tadellosem Gesang wie vor allem in der Deklamation der Shakespeare-Zitate, die er brillant an die Rampe bringt. Als Lilli Vanessi begeistert Beatrix Reiterer ebenso wie als Katharina Minola. Vor allem gelingt es ihr, die Brüche der Rollen in Form von eigentlich nicht nachvollziehbaren Stimmungsschwankungen absolut glaubhaft zu interpretieren. Sophie Blümel dreht im positiven Sinn als Lois Lane auf, zeigt sich sinnlich-lebensfroh und mit begeisterndem Duktus der erfahrenen Musical-Stimme. Als Bianca Minola nimmt sie sich rollenadäquat zurück. Marco Toth spielt Lois‘ Freund und zeigt Musical von Weltformat. Hervorzuheben sind auch Nils Schwarzenberg in der Rolle der Hattie und die beiden Gauner Jan Reimitz und Guido Kleineidam. Hier möchte man nun noch die Ensemble-Liste aufführen, weil die Spielfreude und der tänzerische Einsatz auf den Takt eins zu eins beim Publikum ankommen.
Sieht man von den Soundeinspielungen ab, die nicht ganz sauber funktionieren, bekommt das Ohr auch instrumental allerhand geboten. Heiko Lippmann treibt die Big Band des Bulgarischen nationalen Rundfunks präzise, fordernd und manchmal auch ein wenig über die erforderliche Lautstärke hinaus zu einem transparenten, fröhlichen wie sinnlichen Musical-Klang an. Die durchchoreografierte Applausordnung bereitet nicht nur in ihrer Genauigkeit Spaß, sondern endet auch mit einer flotten Zugabe des Orchesters.
Abgerundet wird absolut gelungene Gesamteindruck von einem vierfarbig gedruckten, 30-seitigen Programmheft, das für einen unglaublich geringen Betrag mit sehr hoher Informationsdichte angeboten wird.
Das Publikum dankt mit Lachern an der richtigen Stelle, Zwischenapplaus und anhaltenden Ovationen – natürlich bis auf die, die den Bus noch bekommen müssen.
Michael S. Zerban