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Zwei singende Akteure, ein Sopran, ein Bariton. Drei Musiker, die Akkordeon oder Kontrabass spielen und als „Orchester“ firmieren. Eine Bühnenausstattung samt Kostümen und Requisiten, die sich mühelos auf einem Kleinlaster unterbringen ließe. Schließlich ein Inszenierungsteam, das von drei Personen gebildet wird, und eine Handvoll Statisten und Bühnenarbeiter. So kommt das Stück mit dem Untertitel Ein musikalischer Einspringer einher, das als eine von Bayer-Kultur in Auftrag gegebene und finanzierte Eigenproduktion seine Uraufführung erlebt. Sind das im kühnen künstlerischen und betriebswirtschaftlichen Vorgriff Rahmenbedingungen eines Musiktheaters, das sich auch noch in 25 Jahren behauptet und finanzierbar bleibt? Natürlich nicht. Aber so ganz frei bleibt das Stück von solchen Spekulationen nicht. Und eine gewisse Zäsur in der Programmkonzeption des Veranstalters markiert es in jedem Fall.
Marc von Reth, freier Regisseur und dem Veranstalter als künstlerischer Produktionsleiter verbunden, hat Diva, eine Kombination von Pasticcio und Boulevard, ersonnen und inszeniert. Viola Weltgen zeichnet für die Ausstattung, Jelena Ivanovic für einen Hauch an Choreografie verantwortlich. Der Plot ist simpel, aber vielleicht auch deswegen theaternah und bühnenwirksam. An einem x-beliebigen Musiktheater steht die Premiere der Walküre auf dem Abendprogramm. In der Garderobe der Sängerin der Brünnhilde, der Diva, taucht ein Gastsänger auf, der als Einspringer für den ursprünglichen Darsteller des Wotan agieren soll. „Kurzfristig“, wie es im Theaterzettel heißt, was besser geglaubt als hinterfragt werden sollte. Der Göttervater in Wagners Ring des Nibelungen, Lichtalbe und Herr über Walhall, kristallisiert sich in der Welt des realen Lebens ausgerechnet als „Ex“ der Diva heraus. Während Wotan im Stück den Konflikt mit seiner Fricka noch auszutragen hat, liegt der in der Biografie der beiden Protagonisten schon 15 Jahre zurück. Seitdem haben die beiden kein Wort mehr miteinander gesprochen. Das allerdings wird sich in den nächsten rund zwei Stunden dieser „Szenen einer Nicht-Ehe“ noch gewaltig ändern.
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Wie in einer Boulevard-Klamotte werden alte Rechnungen beglichen, frühere Intrigen noch einmal ausgekostet, wird die vage Option eines Happy Ends angedeutet. So sind sie also, diese Theatermenschen, auf einem ständigen Karussell von Hass, Wut, Beleidung, Verwünschung, Leidenschaft und – wenn es für Momente einmal gut geht – Liebe unterwegs. Und so ist dann auch dieser Text, als wäre Wagners Dichtung dem Komödiengenie Eugène Labiche im Jahrzehnt nach ihrer Bayreuther Uraufführung zur Überarbeitung in die Hände gefallen. Was heißt Text? Diva lebt von Zitaten, Ausschnitten und Paraphrasen aus Opern von Bellini, Gounod, Rossini, Puccini, Strauss und eben Wagner. An ihnen hat der Musiker und Regisseur Dirk Rave das Minilibretto in einem eigenen Arrangement festgemacht, wie Kleidungsstücke auf einer Wäscheleine. Das geht dann so: 30 Sekunden Hallenarie, 60 Sekunden Casta Diva vom Sopran, 90 Sekunden La Vendetta, zwei Minuten Arie aus Le nozze di Figaro vom Bariton. Eine rigide Reduktion auf Highlights oder auch eine burschikose Ausbeutung gleich des ganzen Genres. Wer würde in einer Ausstellung ein Picasso-Gemälde nur zu einem Fünftel, eine Rodin-Skulptur nur zu einem Zehntel präsentieren? Gemessen am Sounddesgin von Diva, dürfte selbst dem Programmkonzept von Klassik-Radio noch ein kultureller Stellenwert zugeschrieben werden können, das unter vielen Konzert- und Opernfreunden mehr als umstritten ist.
Damit aber noch nicht genug. Crossover ist angesagt, hammerhart. Operetten- und Schlagerliteratur wird dazu gemixt, so von Franz Léhar, Freddie Mercury, Bonnie Tyler und Vicky Leandros. Die Auswahl ist dabei keineswegs daneben, weil auf die Stichworte der Handlung zugeschnitten. Direkt, ohne Schnörkel, bisweilen zu direkt wie beim Komödienstadl. Den Klangteppich für all das liefert, wie gesagt, das „Orchester“. Die drei Musiker, allen voran Akkordeonist Rave mit ergötzlicher Irokesenfrisur, spielen virtuos. Auch Jenny Schäuffelen und Atanas Georgiev beherrschen ihr Handwerk vorzüglich. Das so zu unterstreichen, heißt indes die Einschränkung gleich mitzudenken. „Im Himmel dominiert die Harfe, in der Hölle das Akkordeon“ heißt es völlig zutreffend an einer Stelle. Dieses Bonmot hat auch unmittelbar mit dem Stück zu tun. Ein Akkordeon, dann zwei, einmal gar drei über zwei Stunden zu hören, ist allenfalls ein bedingtes Vergnügen. Dazu ist die Klangfarben- und Variationsbreite des Instruments strukturell zu gering.
Getragen und lebendig gehalten wird das Ganze durch Erich Bieri, der den Gast gibt, und Mardi Byers als Diva. Der Bariton mit ausgeprägter Operetten-Affinität ist spielerisch und sängerisch überzeugend. Die Sopranistin verfügt über eine kraftvolle, ausdruckstarke Stimme, die sich mühelos durch die unterschiedlichen Musikgenres bewegt. Getrübt wird dieser Eindruck anfänglich durch ihr unvorteilhaftes Outfit, dann mehr und mehr durch die durchgängig schrille Performance, mit der sie die Titelfigur anlegt. Maria Callas und wohl auch Jessye Norman dürften als die Idealtypen der Operndiva gelten. Diese Bühnen-Diva dagegen schöpft ihre Quellen eher im Revuetheater. Das Publikum im zu zwei Dritteln gefüllten Erholungshaus nimmt die Produktion vornehmlich als großen Spaß, überschüttet das gesamte Ensemble mit Beifall, verlangt gar eine Zugabe, die auch bereitwillig gegeben wird.
So weit, so gut? Nicht ganz. Sollte es ein programmatisches Ziel von Diva sein, das Genre der Oper aufs Korn zu nehmen und ihm vielleicht auch Aufmerksamkeit bis in die Generation unter 40 zu eröffnen, so leistet das Stück das gerade nicht. Das kann die mehr als vier Jahrhunderte alte Opernkunst im Zweifel selbst viel besser. Man schaue sich nur alljährlich das Begleitprogramm der Bayreuther Festspiele an. Oder eine gelungene Aufführung von Donizettis Viva La Mamma. Ob Crossover nun ausgerechnet der Königsweg hin zu einer stärkeren Verankerung der Kunst bei den Konzert- und Musiktheaterbesuchern in spe sein kann, bleibt eine ohnehin vorläufig unbeantwortete Frage. Auf den konzeptionellen Ansatz, der von der Musik und dem Publikum von Queen und Madonna ausgeht und zu Mozart, Verdi und Wagner führt, also das verbreitete Crossover vom Kopf auf die Füße stellt, ist ja wohl noch weiter zu warten.
Mithin dürfte ein zielführender Erklärungsversuch zurück auf den Veranstalter weisen. Bayer- Kultur, Derivat eines Wirtschaftsunternehmens, hat sich unter dem neuen Leiter Thomas Helfrich offenkundig vorgenommen, mit weniger finanziellem Aufwand größere Effekte zu erreichen. Mainstream an Stelle artifizieller Glasperlenkunst. Elton John statt Gluck. Populäres statt Elitäres, um eine Formel zu wagen. Unter diesem Aspekt hätte Diva dann doch so etwas wie Zukunftsprofil, wohl nicht exemplarisch, aber schon unterhalb des Bayer-Kreuzes. Mal abwarten, ob die Realität der Vermutung folgt.
Ralf Siepmann