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WIENER BLUT
(Johann Strauss)
Besuch am
5. März 2016
(Premiere am 17. Oktober 2015)
Die Operette Wiener Blut vom Walzerkönig Johann Strauss (Sohn) gehört zu den auch heute noch meistgespielten Operetten und ist strenggenommen gar kein eigenständiges Werk von Strauss. Zum Ende des 19. Jahrhunderts, zur Zeit des Wiener Kongresses, brauchte Franz Jauner, der Direktor des Wiener Carl-Theaters, dringend einen neuen Erfolg und bat Strauss um eine neue Operette. Doch dieser war bereits zu krank, um noch mal die Energie aufzubringen, ein neues Werk zu komponieren.
So kam man auf die ungewöhnliche Idee, aus bekannten Instrumentalstücken des Walzerkönigs eine Art Pasticcio zusammenzustellen mit dem Konzertwalzer Wiener Blut von 1873 als Dreh- und Angelpunkt. Der bekannte österreichische Dirigent und Operettenkomponist Adolf Müller jun. übernahm geschickt die Zusammenstellung der Werke und schuf ein musikalisches Gesamtarrangement im Sinne von Strauss, der dieses neue Stück noch kurz vor seinem Tod autorisierte. Diese Operette ist ein Abgesang auf das alte Wien zur Zeit des Wiener Kongresses und gleichzeitig eine Hommage an Wiener Walzerseligkeit.
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Die seinerzeit sehr populären Dichter Victor Léon und Leo Stein, die unter anderem für Franz Lehárs Operette Die Lustige Witwe das Libretto schrieben, steuerten die Handlung und die Dichtung zu diesem Werk bei, das dann am 26. Oktober 1899, nur wenige Monate nach dem Tode von Johann Strauss, am Wiener Carl-Theater uraufgeführt wurde. Doch die Premiere geriet zu einem Fiasko, wurde vom Publikum und der Presse gleichermaßen zerrissen. Mit dramatischen Folgen.
Das Carl-Theater war finanziell ruiniert, und sein Intendant Franz Jauner, der geistige Urheber des Werkes, erschoss sich voller Verzweiflung in seinem Büro. Sechs Jahre später wurde das Werk aber rehabilitiert, und mit einer Neuinszenierung im Theater an der Wien begann der Siegeszug dieser Operette um die Welt, der bis heute ungebrochen ist.
Um den Wiener Walzer herum stehen Lebenslust, Liebesleid, Eifersucht und Frivolität im Mittelpunkt der Handlung. Balduin Graf Zedlau, gebürtig aus dem thüringischen Reiss-Schleiz-Greiz, lebt mit seiner Gattin, der Gräfin Gabriele, im Wien zur Zeit des Kongresses. Das Ehepaar lebt aber getrennt, zu unterschiedlich sind die Temperamente. Hier die lebenslustige Gräfin, die findet, dass ihrem Balduin das notwendige Temperament für die feine Wiener Gesellschaft fehlt, das Wiener Blut. Doch Balduin hat sich schnell an das frivole Leben in Wien gewöhnt und zu einem Halodri entwickelt. Die Tänzerin Franziska Cagliari hilft ihm über seine Einsamkeit hinweg. Sie lässt wiederum ihren Vater, den Karussellbesitzer Kagler im Glauben, der Graf werde sie bald heiraten. Doch der ist schon längst auf der Suche nach neuem frischem Wiener Blut, und hat sich in den Kopf gesetzt, die Probiermamsell Pepi Pleininger zu verführen, nichtsahnend, dass diese das Gspusi von Balduins Kammerdiener Josef ist. Und zu allem Überfluss stattet Gabriele ihrem Mann einen Besuch ab, der ihn schnell in die Bredouille bringt. Als dann auch noch der Premierminister Fürst Ypsheim-Gindelbach in das Geschehen eingreift, die Damen verwechselt, entspannt sich eine urkomische und herrliche Verwechslungskomödie, die natürlich mit einem Happy-End ausgeht, sonst wären wir nicht in der Operette. Nach einigen Beinahe-Katastrophen siegen am Schluss die Walzerseligkeit und das Wiener Blut. Der Graf verliebt sich in seine eigene Frau, die ihm seine amourösen Kapriolen verzeiht, die Franzi angelt sich den Premierminister, und der Josef bekommt seine Pepi.
Die Musikalische Komödie der Oper Leipzig, an der das Genre Operette gepflegt wird, hat mit der Neuinszenierung dieses Werkes einen frischen und bunten Blumenstrauß auf die Bühne gebracht, mit teilweise klassisch opulenter Ausstattung und wunderbaren Stimmen, die fern weg sind von Operettenstaub und Kitsch. Regisseur Volker Vogel, der schon den Klassiker Im Weißen Rössl entstaubt und herrlich komisch auf die Bühne der Musikalischen Komödie gebracht hat, liefert auch in dieser Inszenierung den Nachweis, dass Operette frisch und modern sein kann. Die Dialoge sind pointiert aufeinander abgestimmt, und es kommt keine Langatmigkeit auf, wie man das von anderen Werken dieses Genres schon mal kennt. Insbesondere verleiht er dem Grafen Balduin eine derart charmante Note, dass man trotz der amourösen Kapriolen einfach mit ihm fühlen muss, wenn er gefangen in Widersprüchen und Ausreden zwischen seinen drei Damen hin- und hergerissen ist. Auch die Charaktere der drei Damen werden wunderbar herausgearbeitet.
Die etwas spröde wirkende Gräfin Gabriele, die auf einen Neuanfang mit ihrem Grafen hofft, die eifersüchtige Franzi, die den Grafen natürlich für sich alleine haben möchte, und die vor Lebenslust überschäumende Pepi, die mit ihrem Josef von einer Remasuri auf dem Hitzinger Volksfest träumt. Volker Vogel mischt diese unterschiedlichen Charaktere mit den Walzer- und Polka-Melodien von Strauss, und herauskommt ein fast dreistündiges Feuerwerk an Melodie und Witz. Beate Zoff bietet dazu den gelungenen optischen Rahmen. Die Kostüme sind festlich, opulent und farbenreich, ideal für die Wiener Ballszene. Sie selbst spricht von einer Art Haute Couture mit historischen Elementen, in jedem Fall ein optischer Augenschmaus. Das Bühnenbild ist funktionell, mit klaren Linien, in denen die Protagonisten im Vordergrund stehen. Im ersten Aufzug, der in der Villa des Grafen spielt, steht ein weißes Sofa im Mittelpunkt. Der zweite Aufzug spielt im Ballsaal des Grafen Bitowski, auch hier ist das Bühnenbild funktionell, aber edel und stellt die Kostüme der Ballgäste in den Mittelpunkt. Frisch und lebendig wird es dann im dritten Aufzug, mit drei Kabinen eines Riesenrades im Mittelpunkt des Geschehens. Sie sind Laube, Versteck und Separee gleichzeitig, und erinnern natürlich an den Prater, den großen Wiener Volkspark und Vergnügungsviertel. Und dass Operette auch richtig fesch und modern sein kann, zeigt der Auftritt des Balletts zu Beginn des dritten Aufzuges. Zu den Klängen der Tritsch-Tratsch-Polka stürmen die Jungs und Mädels im krachledernen Alpenrockerdesign die Bühne und brennen ein tänzerisches Feuerwerk ab, dass es einen fast von den Sitzen reißt.
Zu einer gelungenen Operette gehören Sängerinnen und Sänger, die neben dem klassischen Gesang auch gute Schauspieler und Tänzer sein müssen. Und über dieses Ensemble verfügt die Musikalische Komödie der Oper Leipzig. Radoslaw Rydlewski gibt den Grafen Zedlau mit schlankem lyrischem Tenor, mit charmantem Spiel und manchmal desperater Verzweiflung, wenn die Lage schon aussichtslos erscheint. Lilli Wünscher verkörpert die Gräfin Gabriele mit noblem Gestus und klarem Sopran. Ihr Duett zu der Melodie des Walzers Wiener Blut im zweiten Aufzug, zu Beginn in wunderbarem Piano gesungen, ist einer der musikalischen Höhepunkte der Vorstellung. Mirjam Neururer lässt mit ihrem fast schon jugendlich dramatisch anklingenden Sopran und emotionalem Spiel die Partie der Franziska Cagliari zu einer der Gräfin ebenbürtigen Rolle werden. Nora Lentner verleiht der Pepi eine vitale, vor Lebenslust strotzende Rolle, die mit kraftvoller Stimme, lustvollen Ausbrüchen und tänzerischem Geschick beeindruckt.
Andreas Rainer, das Wiener Urgestein in Leipzig, gibt den Josef mit seinem Wiener Dialekt in einer so herrlich saukomischen Art, wie man es besser kaum noch machen kann. Er spielt mit den Eigentümlichkeiten des Dialektes, und singt dabei mit charmantem Tenor. Ein herrlicher Kontrast dazu ist der Bass-Bariton Michael Raschle, der mit sächsischem Akzent den steifen und moralisierenden Fürsten Ypsheim-Gindelbach gibt und so etwas wie Lokalkolorit auf die Bühne bringt. Milko Milev als grantelnder Kagler ist in dieser Rolle eine Bank.
Kostadin Arguiov in der Sprechrolle des Grafen Bitowski sowie Claudia Otte und Antonia Schneider als Heurigensängerinnen Lori und Lisi komplettieren das erstklassige Sänger- und Spielerensemble.
Der Chor der Musikalischen Komödie ist von Mathias Drechsler gut eingestimmt und hat seinerseits sichtlich große Freude an den stimmlichen und tänzerischen Darbietungen. Erstklassig auch das Ballett, dessen Choreographie von Mirko Mahr voller Esprit ist. Einerseits der große klassische Walzer, andererseits die überschäumende Polka, da ist für jeden Geschmack was dabei.
Stefan Klingele und das Orchester der Musikalischen Komödie zeigen, dass der Wiener Walzer auch in Leipzig gespielt werden kann. Wunderbare Bögen und Phrasierungen, rasche Tempowechsel und galante Sängerbegleitung machen dem Walzerkönig Johann Strauss alle Ehre.
Das Publikum, naturgemäß bei diesem Genre deutlich lebensälter, ist sicher begeistert von der Darbietung und spendet auch großzügigen Applaus, doch Enthusiasmus am Schluss sieht anders aus. Und so mancher Dame, die vor Verzückung über die Kostüme oder den einen oder anderen Witz auf der Bühne ihre Begeisterung der Sitznachbarin laut und langatmig mitteilen muss, sei gesagt, Operettenmelodien sind am schönsten, wenn man sie still genießen kann. Ein gelungener und kurzweiliger Operettenabend an der Musikalischen Komödie. Alles gut – Wiener Blut.
Andreas H. Hölscher