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In letzter Zeit sind häufig Inszenierungen im Theater und auf der Opernbühne ohne Pause zu erleben. Mit Rigoletto geht die Oper Leipzig mit zwei Pausen einen entgegengesetzten Weg. Aus etwas mehr als zwei Stunden Rigoletto-Musik wird ein dreistündiger Opernbesuch. Vernachlässigt man den ökonomischen Mehrwert eines zweifachen Pausenangebots, ist vor allem nach dem damit verbundenen Mehrwert der Inszenierung zu fragen.
Nach zwei Pausen in der 21. Aufführung von Anthony Pilavachis Inszenierung von Giuseppe Verdis Rigoletto ist neben einem ritualisiert anmutenden, mehrfachen Szenenapplaus vorerst vor allem eine handwerklich solide, stringent erzählte Inszenierung zu resümieren.
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Pilavachi übersetzt das Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Versdrama Le roi s’amuse von Victor Hugo aus dem Jahr 1832 unmissverständlich direkt. Dicht am Text und in der Zeit der Renaissance. Das ist schön anzusehen, ohne dass es einen mitreißt.
Die Blechbläser des Gewandhausorchesters sind mit den ersten Takten der Ouvertüre noch im Tonfindungsmodus. Tatjana Ivschina hat Rigolettos Kostüm mit Glöckchen drapiert, die die Ouvertüre mit ihrem Klingelklang untermalen, sie närrisch konnotieren. Ihre Bühne ist ein rußgeschwärzter Raum eines ruinösen Schlosses. Ein mit einem weißen Tuch bedeckter, angekippter Tisch ist Rutschbahn und Platzhalter zugleich für Monterones Fluch. Die von Verdi dramatisch und psychologisch skizzierte Ausgangssituation im ersten Bild, kompositorisch auf wenige Minuten komprimiert, forciert Pilavachi überambitioniert.
Gegenüber dem hektisch agierenden, sich in seiner sängerischen Gestaltung dadurch mitunter blockierenden Herrenchor der Oper Leipzig nimmt Gianluca Terranova als Herzog, auf der Tischkante sitzend, dazu eine eher statische Position ein. Rigoletto rutscht derweil auf der glatten Narrenbahn aus. Fortan vom Fluch verfolgt und gequält, ist der tragisch vibrierende Bariton von Francesco Landolfi ein einziger Verzweiflungsschrei. Beladen mit dem Fluch seines verkrüppelten Körpers, provoziert er den Fluch seines Untergangs als Vater von Gilda. Wo der machiavellistische Herzog sein eigenes Gesetz von Macht und Moral ist, hat Rigoletto auch als intriganter Mitspieler verloren.
Diese Konstellation übersetzt Ivschina in ein überzeugendes Bühnenbild. Der renaissancefürstliche Raum, mehr Gruft als Liebesnest, fährt nach oben; darunter wird ein Kellerraum sichtbar, der Gilda vor der Welt schützen soll.
Musikalisch ist, wie sich zeigen wird, das Duett Figlia! Mio Padre! von Landolfi mit Eun Yee You als Gilda ein Höhepunkt der Inszenierung. Yee You, eine schlanke, zierliche Sopranistin gibt mit hell getönten Koloraturen der Gilda eine zarte Zerbrechlichkeit, die Vaterliebe und Sehnsucht nach der Liebe zu einem Mann zu vereinbaren sucht. Während ihr Gesang etwas von dem jetzt draußen zuhörenden, frühlingserwachten Vogelgezwitscher hat, versucht Landolfis zwischen Hoffen und Bangen changierender Bariton eine Gemeinsamkeit zu finden. Das Vergebliche dieser Hoffnung ist eindrucksvoll hörbar. Yee Yous Sopran, dem man eigentlich in den Höhenlagen mehr Volumen wünschte, erweist sich in seiner gedämpften Lautstärke als überzeugende Charakterstudie der Gilda.
Terranovas statisch dem Bühnenrand zugewandte Gesangshaltung in der ersten Szene erweitert sich im Verlaufe der Überrumplungsszene in Gildas scheinbar sicherem Hort zu einem aufgesetzt wirkenden Pavarotti-Gestus. Als Herzog hat er leichtes Spiel, die aufkeimende Sehnsucht Gildas, von einem Mann geliebt zu werden, für sich zu instrumentalisieren. Sein Tenor im Duett mit ihr, T’amo, t’amo, ist klangschön kultiviert. Weiterhin bleibt allerdings eine forcierte Übersteuerung seiner Stimmgebung auffällig. Es ist immer ein Tick zu viel. Yee You gestaltet überzeugender im gegenläufigen Modus.
Nachdem Rigoletto zum Steigbügelhalter seines Schicksals geworden ist, die Inszenierung an Fahrt gewinnt, nimmt ihr die erste Pause den Wind aus den Segeln. Danach bleibt die Inszenierung auch im zweiten Akt ihrem Selbstverständnis treu. Sie geht ihren ausbalanciert gesicherten Gang. Gleichwohl kann man sich auch in Leipzig wie in vielen Inszenierungen heute darauf verlassen, dass sie dem voyeuristischen, vielfach ausgereizten, letztlich ermüdenden Effekt nachgibt, wenigstens Halbnacktes zu zeigen. Dass der Chor der Höflinge, unterstützt von einer aktivistischen Statisterie, eine Massenvergewaltigung bewältigen muss, gibt ihm diesmal trotzdem die Chance, sängerisch zu demonstrieren, welches Potenzial Alessandro Zuppardo mit ihm entwickelt.
Mit dem fulminant ins Bild gesetzten dritten Akt befreit sich die Inszenierung aus ihrem pausenbedingten, schaumgebremsten Tempo. Es ist, als hätte Pilavachi einen Großteil seiner kreativen Inspiration für den letzten Akt aufgespart. Er fokussiert einen Gipfelpunkt von Verdis Opernschaffen. Die Grenzen zwischen Arie und Rezitativ sind aufgehoben.
Ein Zitat aus einem Brief Verdis an Carlo Marzari, dem Direktor des Teatro La Fenice von 1850 – „dass ich meine Noten, so schön oder hässlich sie sein mögen, nicht einfach hinschreibe, sondern immer bemüht bin, ihnen einen Charakter zu geben“ – liest sich wie die programmatische Akzentuierung des dritten Aktes.
Christoph Gerschold am Pult des Gewandhausorchesters lässt jetzt die Leinen los. Blech und Holz im Zusammenspiel mit differenziert intonierenden Streichern grundieren einen Klangteppich, auf dem die Solisten zu brillieren verstehen. Eun Yee You und Francesco Landolfi überzeugend innig klangschön, wie gehabt. Milcho Borovinov als mörderischer Dienstleister Sparafucile sowie Karin Lovelius in der Rolle seiner Schwester Maddalena als Sex-Dienstleisterin kontrastieren und entzaubern Gildas und Rigolettos Hoffnungen. Borovinovs Bass hat die kühle Distanz zu seinem kaltschnäuzigen Handeln, wie der Sopran von Lovelius eine lockende Geschmeidigkeit von entdeckender Zuneigung zum Herzog inkognito verströmt.
Allein Gianluca Terranova vermag auch in der vielleicht berühmtesten Opernarie La donna e mobile nur bedingt zu überzeugen. Sein mitunter überstrapazierter Canto italiano in Verbindung mit einer gespreizt wirkenden Bühnenrandorientierung steht ihm in der darstellerischen Überzeugung häufig im Wege. Dass Terranova am Schluss trotzdem den größten Beifall bekommt, ist eine fast beiläufige Selbstverständlichkeit, die aber auch für Yee You und Landolfi genug Raum für Anerkennung lässt.
Unweit des Opernhauses ist auf dem Sockel der Skulptur Unzeitgemäße Zeitgenossen von Bernd Göbel zu lesen: „Selbstverständlich darf man einem Prinzip ein Leben opfern – doch nur das eigene.“ Hätte Rigoletto eine Chance gehabt, Gilda von dem Fluch zu befreien, den er zu verantworten hatte und der sie vernichtete, wenn er sich diese Worte zu eigen gemacht hätte?
Peter E. Rytz