Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Die Bilder stammen stammen von einer früheren Aufführung. Alle Fotos © Andreas Birkigt

Aktuelle Aufführungen

Gefährliche Stilisierung des scheinbaren Heilsbringers

RIENZI
(Richard Wagner)

Besuch am
16. Januar 2016
(Premiere am 16. November 2007)

 

 

Oper Leipzig

Die Dresdner Uraufführung brachte dem 29-jährigen Leipziger Richard Wagner 1842 den ersten großen öffentlichen Erfolg. Zu seiner Lebzeit viel gespielt, hat er die „große tragische Oper“, deren Musik und Handlung noch überwiegend in der Tradition der Grand Opéra Giacomo Meyerbeers steht, später selbst zur Jugendsünde erklärt und das Werk hat es bis heute nicht in den Bayreuther Kanon geschafft. Dass der Rienzi vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch selten den Weg ins Repertoire gefunden hat, ist allerdings nicht nur der Distanzierung Wagners sowie dem allgemeinen Vorwurf der musikalischen Nachahmung, sondern in entschiedenem Maße auch der Wirkung der Oper geschuldet, die gerade in der Zeit des Nationalsozialismus für Propagandazwecke instrumentalisiert und missbraucht wurde. Entsprechend groß sind Erwartungshaltung an neue Inszenierungen oder Wiederaufnahmen im Kontext zur düsteren Rezeptionsgeschichte des Werkes.

Knapp drei Jahre lang wurde das Frühwerk Richard Wagners an der Oper Leipzig nicht mehr gegeben. Zuletzt im Rahmen der Jubiläumsfeiern zu Richard Wagners 200. Geburtstag war das Werk, allerdings in deutlich gekürzter Fassung, zu erleben. Nun eröffnet Rienzi in Leipzig ein Jahr, in dem endlich der neue Leipziger Ring vollendet werden soll. Quasi die Ouvertüre zu einem bevorstehenden Wagner-Leckerbissen. Doch die Ruhephase hat diese Inszenierung nicht besser gemacht, ganz im Gegenteil. Die Schwächen der Personenregie und das holzschnittartige Bühnenbild passen nicht mehr zu einem modernen Opernhaus wie Leipzig, das sich seit Amtsantritt von Ulf Schirmer als Intendant und GMD progressiv entwickelt hat und sich insbesondere dem Schaffen des Leipzigers Richard Wagner verpflichtet fühlt.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Nicolas Joels Regieansatz zeigt den Rienzi als tragisches Drama eines zu spät gekommenen Helden, der selbstverliebt, ja mit narzisstischen Zügen, seine Philosophie eines freien Roms trotz ursprünglicher Ideale auf dem Altar persönlicher Rache opfert und scheitert. Es ist gleichzeitig die gefährliche Stilisierung eines scheinbaren Heilsbringers, der am Ende die Macht des Volkes und der Kirche unterschätzt und untergeht.

Dieser an sich interessante Interpretationsversuch gelingt Joel nicht einmal im Ansatz. Es gibt keine stringente Personenregie, stattdessen bedient sich Joel schematischer Auf- und Abgänge sowie konventionelle Operngesten in Rampennähe, ein Griff in eine verstaubte und nicht mehr zeitgemäße Opernkiste. Auch das Verhältnis der drei Protagonisten – Rienzi, seiner Schwester Irene und ihres Geliebten Adriano – wird nicht richtig beleuchtet, und der Chor wirkt scheinbar nur als Staffage, kann die Emotionen des Volkes nicht wirklich ausdrücken. Die Kombination aus deutlicher Zusammenstreichung des Werkes, es fehlen etwa anderthalb Stunden Musik, sowie die eigentlich nicht vorhandene Personenregie lassen einen konzentrierten und analytischen Zugang zu diesem Werk nicht zu. Andreas Reinhardt, verantwortlich für Bühne und Kostüme, hilft da auch nicht weiter.

Foto © Andreas Birkigt

Mit einem großen Schriftzug wird im ersten und letzten Akt eine Handlungszeit zwischen 1347 und 1354 im mittelalterlichen Rom angezeigt, die der historischen Vorlage des Nicola di Lorenzo Gabrini, genannt Cola di Rienzo, entspricht.  Dagegen ist das Bühnenbild im ersten Aufzug eine Art Kupferstich der Stadt Rom aus dem 18. Jahrhundert, das im zweiten und dritten Aufzug lediglich als Boden dient. Aufgereihte Stühle symbolisieren das Innere des Kapitols, und ab dem dritten Akt werden die großen Prachtbauten Roms im Miniaturformat aufgebaut, wobei auch hier nicht immer der historische Kontext mit der vorgegeben Zeitspanne des Werks übereinstimmt. Grotesk wird es dann bei den Kostümen. Die adligen Familien Colonna und Orsini, die sogenannten nobili, treten in großem Biedermeier-Ausgehrock an, während das einfache Volk, die Plebejer, Arbeitstracht aus der Zeit der industriellen Revolution tragen. Die Schergen Rienzis, mit Trenchcoat, Sonnenbrille und Maschinenpistole, erinnern an einen billigen Gangsterfilm aus dem Chicago der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Einzig Rienzi tritt, zunächst im hellen Habit, dann als selbsternannter Volkstribun mit Brustpanzer und römischer, roter Toga auf. Dieser Mix durch die Zeiten macht für das Verständnis des Werkes keinen Sinn, er zeigt nur die Einfallslosigkeit des Regisseurs.

Die schwache Inszenierung gipfelt dann im fünften Akt, in dem die Figur des Rienzi mit seinem Gebet „Allmächtiger Vater“, sein begonnenes Werk möge nicht vorzeitig beendet werden, völlig alleingelassen wird. Ein von Selbstzweifeln zerrissener Tribun wird plötzlich vom Täter zum Opfer stilisiert, seine einstigen Anhänger brennen das Modellbau-Kapitol nieder, Rienzi, Irene und Adriano sinken einfach leblos zu Boden. Das aufständische Volk wird von Rienzis Schergen einfach niedergeschossen. Zurück bleibt ein Leichenberg, der bestürzt und gegen die finale Musik inszeniert ist.

Das der Abend dann doch keine Enttäuschung wird, ist vor allem der sängerischen Darbietung der Hauptprotagonisten geschuldet. Allen voran Andreas Schager in der Titelrolle des Rienzi. Dieser junge Tenor hat eine grandiose und steile Karriere hingelegt und macht sich gerade auf den Weg, den Wagner-Olymp des Gesangs zu betreten. Vom Operettenbuffo Ottokar im Zigeunerbaron bei den Mörbischer Operettenfestspielen 2000 bis zu seinem Wagnerdebüt als David in den Meistersingern in Erl 2009 sind gerade mal neun Jahre vergangen, und mittlerweile hat er fast alle großen Wagnerrollen mit großem Erfolg gesungen. Und seine sängerische Darbietung des Rienzi zeigt, dass Schager zu Recht zu den größten Wagnertenören dieser Zeit zählt. Er hat die charismatische Ausstrahlung eines Heldentenors, gepaart mit enormer Kraft, Ausdauer, einem goldstrahlenden Timbre, dass die Höhen markant und mit Stahlkraft nimmt, und einer warmen Mittellage, ohne die Stimme künstlich abzudunkeln. Schager schont sich zu keinem Zeitpunkt, gibt bei allen dramatischen Ausbrüchen Vollgas, um dann das große Gebet im fünften Akt derart Belcanto zu gestalten, dass es dem mitfiebernden Zuhörer fast den Atem nimmt. Schager ist mit seiner Stimmanlage ein klassischer Heldentenor, wie er in dieser Ausdruckskraft, und dazu noch mit einer enormen Textverständlichkeit, heutzutage kaum noch zu finden ist. Mit großer Erwartung und Vorfreude zugleich fiebert man in Leipzig nach diesem Auftritt nun seinem Rollendebüt als Siegmund Ende des Monats an selber Stelle entgegen.

Vida Mikneviciute als Rienzis Schwester Irene begeistert mit leicht jugendlich-dramatischem Sopran und leuchtenden Höhen. Ihre innere Zerrissenheit zwischen der Liebe zu ihrem Bruder Rienzi und der Liebe zu Adriano moduliert sie mit großer Emphase. Kathrin Göring ist endgültig im Wagnerfach angekommen. Schon als Fricka zeigte sie ihr großes Potenzial, jetzt in der Hosenrolle des Adriano bestätigt sie das. Den inneren Konflikt ihrer Partie zwischen Liebe, Loyalität und Familienehre gestaltet sie klug modulierend mit großem Stimmspektrum. Ihr Mezzosopran ist warm und ausdrucksstark in der Mittellage, und kraftvoll ihre Höhen, die sie fast in Soprannähe katapultiert.

Auch die kleineren Rollen gefallen. Milcho Borovinov als Steffano Colonna und Jürgen Kurth in der Rolle des Paolo Orsini überzeugen mit markantem Bass und Bariton. Sejong Chan in der Rolle des päpstlichen Legaten beeindruckt durch seinen ausdrucksstarken Bass. Martin Petzold als Baroncelli und Ricardo Llamas Márquez ergänzen mit solider Vorstellung das Ensemble, aus dem Solen Mainguené als Friedensbote mit lyrischem Mezzosopran aufhorchen lässt.

Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig, bestens eingestimmt von Alessandro Zuppardo, zeigen musikalisch große Chorszenen, voller Stimmenharmonie und begeistern durch klaren Ausdruck und Intensität. Das Gewandhausorchester überzeugt an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant, aber nicht immer ganz sauber hervorstechen. Die Ouvertüre beginnt verhalten, fast unheilvoll, wird dann dramatisch kraftvoll und dynamisch, das Gebetmotiv des Rienzi ist stark betont. Matthias Foremny leitet das Gewandhausorchester sicher durch die vielen Klippen der Partitur. Er wechselt klug die Tempi und begleitet die Sänger mit viel Gefühl und lässt sich nicht dazu verleiten, der Emphase der Musik nachzugeben und die Sänger zu überdecken.

Das Publikum im gut gefüllten Leipziger Opernhaus ist sich in der Bewertung der musikalischen Darbietung einig. Begeisterung für das Gewandhausorchester sowie für Kathrin Göring und Vida Mikneviciute, Riesenjubel für den Chor, und eine triumphale Verbeugung des Publikums vor Andreas Schager.

Als Fazit bleibt, dass diese Inszenierung dem Frühwerk Wagners in keinster Weise gerecht wird. Nach den großartigen konzertanten Aufführungen von Wagners Holländer und Tannhäuser sollte man darüber nachdenken, die Inszenierung des Rienzi vom Spielplan zu nehmen und stattdessen das Werk konzertant, und zwar ohne Kürzungen, auf die Bühne zu bringen. Wagners Werk lebt in erster Linie von seiner musikalischen und sängerischen Ausdruckskraft. Es bedarf keiner Pseudo-Regie, um Wagner dem Publikum näher zu bringen.

Andreas H. Hölscher