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LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Besuch am
30. Januar 2016
(Premiere am 14. November 2015)
Die Oper Leipzig präsentiert mit Mozarts Le nozze di figaro eine Opera buffa im klassischen Sinne. Im Vordergrund steht das komödiantische Wechselspiel von Verliebtheit und Enttäuschung, von Begierde und Verzweiflung, von Lust und Frust, von Eifersucht und Intrige. Es ist im übertragenen Sinne ein Garten der Gefühle, ein Labyrinth von Irrungen und Wirrungen, aus dem es einen Ausweg gibt. Die Menschlichkeit, die am Schluss siegt und alles zum Guten führt. Doch bis dahin ist es ein weiter und schwieriger Weg mit allerlei komödiantischen Raffinessen. Graf Almaviva hat sich von seiner seine Gräfin abgewendet. Sein Objekt der Begierde ist Susanna, die Kammerzofe der Gräfin. Sie wird zum Ziel seiner lüsternen Attacken, während er gleichzeitig seine eigene Frau in rasender Eifersucht in flagranti zu ertappen hofft. Die emotional hoch aufgeladene Situation droht komplett zu entgleiten, da der liebestaumelnde pubertierende Page Cherubino immer im falschen Moment allen Frauen seine Avancen macht und den Grafen dabei schier zur Verzweiflung treibt. Und Figaro, der vor Kraft strotzende Einfaltspinsel, merkt erst sehr spät, welche Spielchen um ihn herum getrieben werden.
Regisseur Gil Mehmert spielt in seiner Inszenierung mit der Entstehungszeit des Werkes. Da ist auf der einen Seite ein nach vorne offenes Rokoko-Schlösschen, wunderbar gestaltet von Jens Kilian, in dem jeder der Hauptprotagonisten sein eigenes Zimmer hat, das gleichzeitig als Rückzugsort für die eigenen Gefühle dient. Zwei große Büsten von Mozart und seinem Librettisten Da Ponte überwachen quasi das Geschehen. Und sie dürfen am Ende des „tollen Tages“, so der Untertitel des Werkes, mit Fug und Recht behaupten, dass Mehmert die Geschichte so erzählt, wie die beiden Genies es sich ausgedacht haben. Mit Leidenschaft und subtiler Personenregie, die die Beziehungsgeflechte auf der Gefühlsebene verbindet.
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Im Kontrast dazu die Kostüme, gestaltet von Falk Bauer, die dem Modestil der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts entsprechen. Eine postmoderne Gesellschaft, die sich vom Biedertum emanzipieren möchte, aber immer noch mit Fassaden und Standesdünkeln zu kämpfen hat. Hier treffen zwei Welten aufeinander, die anscheinend nichts gemeinsam haben. Doch mit einem Augenzwinkern öffnen sich Facetten, und der Charme des biederen Rokoko wird zu einem leidenschaftlichen, ja fast schon avantgardistischen Gefühlsausbruch. Krönung ist Cherubinos Auftritt als Rock’n‘Roller in Elvis-Manier und mit E-Gitarre. Das muss man nicht mögen, ist aber einfach grandios gemacht. Mehmert und sein Team bleiben in ihrer Ausrichtung konsequent und stringent, so dass es keinen Spannungsabfall gibt, und trotz einiger Längen im Werk auch nicht ein Hauch von Langeweile zu spüren ist. Lusttoll und lustvoll wird agiert, gestritten und intrigiert, geflirtet und geliebt. Am Ende des „tollen Tages“ lösen sich die Irrungen und Wirrungen in harmonisches Wohlgefallen auf.
Es ist der Abend eines großartigen Sängerensembles, das vollständig aus den Reihen der Oper Leipzig besetzt ist. Olena Tokar als Susanna ist die Hauptfigur, um die sich alles dreht. Sie erträgt geduldig die sexuellen Avancen des Grafen, von Cherubino und von Don Basilio. Sie lenkt das Spiel von Begierde und Zurückweisung geschickt bis hin zum finalen Happyend. Mal trotzig wütend, wenn sie Figaro ohrfeigt, mal kokett mit dem Grafen flirtend, dann wieder liebevoll entrückt, wenn sie an den Geliebten denkt. Ihre wunderbar schlank geführte, lyrische Sopranstimme kommt vor allem in der großen Rosen-Arie Deh, vieni, non tadar, oh gioia bella im vierten Akt zur Geltung, die sie mit großer Innigkeit und Wohlklang gestaltet. Die Höhen im zarten Piano verträumt gesungen, berühren tiefe Gefühle. Sejong Chang gibt den Figaroin Spiel und Gesang als kraftvoller, ja fast schon überschwänglicher Antipode. Er will das Heft des Handelns in der Hand halten, so in seiner Tanz-Arie Se vuol ballare, Signor Contino, die er markant gestaltet, und bemerkt doch gar nicht, dass sowohl der Graf als auch seine Susanna ihn manipulativ beeinflussen. Dramatisch menschlich seine Arie Aprite un po‘ quegli occhi zu Beginn des vierten Aktes, die er mit großer Intensität singt und seinen markanten Bass zur vollen Entfaltung bringt.
Mathias Hausmann als Graf Almaviva ist mit seiner aristokratischen Ausstrahlung optisch wie stimmlich eine Idealbesetzung. Er ist ein Verführer par excellence, dem man seine schmeichelnden Liebesschwüre wie auch seine rasende Eifersucht abnimmt. Doch wird er nicht auf seine Libido reduziert, sondern darf auch ganz menschliche, ja fast schon tragische Züge zeigen. Denn eigentlich ist er ganz einsam und weiß erst am Schluss, was er wirklich an seiner Gräfin hat. Sein mit edlem Timbre geführter, galanter Bariton entfaltet sich besonders wuchtig in der großen Entbehrungsarie Vedrò mentr’io sospiro, felice un servo mio im dritten Akt, wo er sich dramatisch in Rachephantasien ergibt. Sein ausdrucksstärkster Moment ist zweifelslos die finale Szene, in der er seine Gräfin um Verzeihung bittet: Contessa, perdono. Hier wandelt sich der überhebliche Habitus zu einer tiefen und gefühlvollen menschlichen Geste. Anna Schoeck überzeugt als Gräfin Almaviva als eine in der Liebe vernachlässigte und in ihrem Gefühlsleben gekränkte, ja verwundete Frau, die zu Recht um die anhaltende Liebe und Begierde ihres Gemahls bangt. Berückend die leise, lyrische und innige Interpretation ihrer Auftrittsarie im zweiten Akt Porgi, amor, qualche ristoro, in der sie den Tod herbeisehnt, wenn die Liebe nicht zurückkehrt. Doch sie kann auch leidenschaftlich klagen und Dramatik in die Stimme legen, wie im großen Rezitativ und der Arie im dritten Akt E Susanna non vien … Dove sono i bei momenti.
Wallis Giunta als Cherubino begeistert als lüsterner, pubertierender Page mit Elvis-Presley-Attitüde, vor dem kein Rockzipfel, keine Brust sicher ist. Ihr jugendlich klingender Mezzosopran überzeugt mit Intensität und Durchschlagkraft. Wärme und Gefühl, Irrung und Wirrung legt sie stimmlich akzentuiert in die beiden Arien Non sò più cosa son, cosa faccio und Voi, che sapete che cosa è amor. Karin Lovelius verleiht mit ihrem reifen Mezzosopran und ihrer Spielfreude der Rolle der Marcellina eine besondere Note. Wunderbar passend dazu Milcho Borovinov als Don Bartolo, der seiner rachsüchtigen Auftrittsarie La vendetta ein markantes Profil verleiht. Magdalena Hinterdobler verleiht der kleinen, aber süßen Figur Barbarina mit hellem Sopran Esprit und Sinnlichkeit.
Der Chor, einstudiert von Alexander Stessin, ist stimmlich und darstellerisch gut präsent und bereitet dem Publikum ein homogenes Hörerlebnis, wie insgesamt das gesamte Ensemble durch spielerische Intensität überzeugt und damit zu einem kurzweiligen und lustvollen Abend beiträgt.
Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny spielt einen leichten, entschlackten und dennoch intensiven Mozart. Schon die Ouvertüre, schwungvoll und dynamisch, erzählt von den Wirren des tollen Tages, dessen Ende sich musikalisch früh erahnen lässt. Die sinnlich erotisierende Musik Mozarts ist transparent mit schwungvollen Bögen und Phrasierungen und macht die Aufführung zu einem großen musikalischen Genuss, in dem die Sänger im Vordergrund stehen und das Orchester eine dienende Rolle einnimmt. Das Cembalo-Spiel von Ugo D‘Orazio, das die Rezitative kunstvoll untermalt, entwickelt hier sogar eine eigene Dynamik, die über die obligatorische Begleitung hinausgeht.
Nachdem sich das von Irrungen und Wirrungen, von Leidenschaft und Gefühlen durchsetzte Beziehungsgeflecht am Schluss in vollendete Harmonie auflöst, gibt es von dem begeisterten Publikum im ausverkauften Leipziger Opernhaus enthusiastischen Jubel für ein großartiges Ensemble und ein hervorragend aufgelegtes Orchester. Mit dieser Inszenierung und dieser Aufführungsqualität hat die Oper Leipzig ihr Repertoire nicht nur um eines der schönsten Opernwerke der Musikliteratur erweitert, es beweist damit auch erneut seine Vielseitigkeit und sein in allen Stimmlagen durchgehend hervorragend besetztes Ensemble, das für eine große Qualität steht.
Andreas H. Hölscher