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Zwei Jahre nach der grandiosen Inszenierung von Don Pasquale sind Regisseurin Lindy Hume und Bühnen- und Kostümbildner Dan Potra wieder zu Gast in Leipzig, und wieder steht mit Rossinis La Cenerentola eine große Belcanto-Oper auf dem Programm, und wieder begeistert das Regieteam mit einer farbenfrohen und tiefgründigen Inszenierung. In einer Koproduktion mit der Opera Queensland, für die sie dieses Werk 2013 in Brisbane erarbeitete, und der New Zealand Opera erfolgte nun die Adaption für die Oper Leipzig, ohne dass Hume von ihrem Grundkonzept abgewichen ist. Ihr gelingt es, die europäische Musiktheatertradition mit modernen zeitgenössischen Unterhaltungsformen zu verbinden, und dabei Rossinis lebendigen und quirligen Musikergeist omnipräsent auf die Bühne zu bringen.
Es ist der Kontrast der scheinbar oberflächigen Simplizität des Sujets und einer tiefgründigen, ja psychologischen Komplexität, die dieses Märchen so zeitlos ansprechend macht. Und es ist der scharfe Kontrast zwischen der edelmütigen, ja sanften Version des französischen Dichters Charles Perrault, die dem Libretto dieser Oper als Vorlage dient, und dem brutalen und moralisierenden Märchen der Gebrüder Grimm. Bei Rossinis Vertonung ist es nicht die böse Stiefmutter, die das arme Aschenputtel erniedrigt, sondern der dumme, selbstgefällige Stiefvater Don Magnifico. Der lebt mit seinen Töchtern Clorinda, Tisbe und seiner ungeliebten Stieftochter Angelina, genannt Cenerentola, das Aschenputtel. Da erscheint Prinz Ramiro, der auf Brautsuche ist, als Diener verkleidet im Hause Magnificos. Vorher hat er Rolle und Kleidung mit seinem Diener Dandini getauscht, der sich wiederum als Fürst ausgibt und die Familie auf sein Schloss einlädt. Aschenputtel muss natürlich zu Hause bleiben. Während die beiden Schwestern Clorinda und Tisbe um die Gunst des vermeintlichen Prinzen buhlen, erscheint das Aschenputtel als festlich gekleidete, verschleierte schöne Unbekannte. Sie schenkt ihre Gunst dem angeblichen Diener, verlangt aber von ihm, sie in ihrem Haus zu suchen und zu finden. Als Erkennungszeichen gibt sie ihm einen Armreif. Don Magnifico erfährt, dass Clorinda und Tisbe um den Falschen geworben haben und seine Anstellung als Kellermeister in Gefahr gerät. In der Nacht tauchen dann Dandini und Ramiro in Don Magnificos Haus auf, jetzt aber ohne Rollentausch. Don Ramiro erkennt in dem Aschenputtel die schöne Unbekannte, der Armreif passt und er hält um ihre Hand an. Am Schluss verzeiht Angelina ihrer Familie allen Unbill, den sie ertragen muss, und es ist der Triumph der Güte über alle Rachgefühle und Erniedrigungen.
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Lindy Hume beweist viel Gefühl für die Musik, aber auch für gesellschaftliche Konflikte, und so entsteht ein sozialkritisches Bühnenspiel, inspiriert von Charles Dickens Oliver Twist und seinen Gedanken zur Kindheit in Armut und der Kluft zwischen Arbeiterklasse und Oberschicht. Verortet wird die Geschichte in London im Jahre 1840, zu der Zeit der ersten populären königlichen Hochzeit zwischen Queen Victoria und Prinz Albert von Coburg-Sachsen. Und so erscheint diese Inszenierung very british, mit dem dafür so typischen Humor. Sie lässt das Publikum eintauchen in eine Londoner Gesellschaft, gespalten durch Arbeiterklasse, dekadentes Bürgertum und aristokratische Noblesse.
Dabei wird sie kongenial von Dan Potra unterstützt. Potra beginnt sein Bühnenbild mit einer edlen Bibliothek, die während der Ouvertüre einen Saal im Palast von Prinz Ramiro zeigt. Mit Beginn des ersten Aktes wandelt sich das Bühnenbild, im Vordergrund steht das Haus von Don Magnifico, das einen vollgestopften Kaufmannsladen mit vielen Details und Accessoires darstellt. Im zweiten Akt ist der Wandel zwischen Palast, hier wieder die schon bekannte Bibliothek und einem englischen Lustgarten mit wenigen Handgriffen vollzogen. Dabei werden alle Aufzüge, alle Wechsel, auch die der Kostüme, old fashioned händisch vollzogen; ein Stilelement, das die Illusion einer alten Zeit trotz moderner Technik wunderbar suggeriert. Potra hat ein Händchen für Detailverliebtheit und Originalität, die er nicht nur in der Ausstattung des Hauses von Don Magnifico zeigt, sondern auch in der Bibliothek und dem Garten. Neben diesem liebevollen Bühnenbild gefallen auch seine zeitlich passenden Kostüme, die teils farbenprächtig und opulent, teils trist und schäbig die Illusion des viktorianischen Zeitalters und der Londoner Unterschicht der 1830-er Jahre vermitteln. Unterstützt wird diese Illusion durch ein fast schon auf die Musik komponiertes Lichtdesign von Matthew Marshall, der die Inszenierung im wahrsten Sinne des Wortes ins rechte Licht rücken lässt.
Dass am Ende der Inszenierung die Rückseite des Hauses von Don Magnifico der Balkon des Buckingham-Palastes darstellt, und der Kuss zwischen Prinz Ramiro und seiner Braut Angelina ein Remake des Hochzeitskusses von Prinz William und seiner Kate ist, gibt dieser britischen Inszenierung ein schmunzelndes, augenzwinkerndes Aha-Erlebnis und ist ein moderner Schluss eines alten, und doch ewig jungen Märchens.
Alle Protagonisten haben große Freude an diesem Stück und spielen mit herzerfrischendem, komödiantischem Gestus. Wallis Giunta als Angelina gelingt spielerisch der Wandel vom schmutzigen Aschenputtel zur edlen, großzügigen Dame. Mit ihrem jugendlich-schlanken Mezzo-Sopran gelingen ihr auch die schwierigen Koloraturen und Parlando-Stellen mit scheinbar müheloser Leichtigkeit. Es ist ein beeindruckendes Rollendebüt, das Giunta hier abliefert, nachdem sie schon als Cherubinoin Mozarts Le nozze di Figaro an der Oper Leipzig einen furiosen Einstand gegeben hat. Matteo Macchioni als Don Ramiro überzeugt mit klarem und kräftigem Spinto-Tenor sowie herrlich komödiantischem Spiel.
Mathias Hausmann in der Rolle des Dandini war auch schon im Don Pasquale ein Garant für elegantes Rollenspiel, und sein warmer schmeichelnder Bariton, der dem Grafen Almaviva Noblesse verlieh, lässt ihn hier in der Doppelrolle als Kammerdiener und verkleideter Prinz zu spielerischer und sängerischer Hochform auflaufen. José Fardilha gibt mit markantem Bariton und herrlich komödiantischem Spiel die schnapsselige Karikatur des Möchtegern-Prinzipalen Don Magnifico. Sejong Chang, der schon als Figaro beeindruckte, überzeugt erneut mit sonorem Bass als weiser Alidoro, der Strippenzieher, Magier und Philosoph in einem ist. Jennifer Porto als Clorinda und Sandra Janke als Tisbe geben herrlich komisch und schrill die beiden einfältigen und eitlen Töchter Magnificos und komplettieren ein formidables Sängerensemble.
Der 16-köpfige Herrenchor, präzise einstudiert von Alessandro Zuppardo, zeigt nicht nur sängerisch erste Güte, sondern beeindruckt durch ein engagiertes und manchmal auf Slapstick und Sitcom getuntes Spiel. Bei der Komplexität dieser Inszenierung eine außergewöhnliche Leistung, die durch die Choreographie von Friedrich Bührer erst möglich wird.
Anthony Bramall ist an diesem Abend mit seinem Leib- und Magenstück in seinem Element, er leitet das Gewandhausorchester Leipzig mit viel Verve und Lebensfreude. Es wird leicht musiziert, die Wechsel zwischen Rezitativen, Arien und Orchestermusik erfolgen ohne Brüche, mit den farbenreichen typischen Rossini-Bögen. Und auch das berühmte Rossinische Crescendo lässt Bramall voll wuchtig erklingen, während in den filigranen Parlando-Stellen das Orchester wieder ins piano geht, was der Begleitung der Sänger sehr dienlich ist. Großen Anteil daran hat auch Bo Price am Cembalo.
Das Publikum ist nach gut drei Stunden Aufführungszeit restlos begeistert, es gibt großen Jubel für alle Protagonisten, einschließlich des Regieteams. Die Oper Leipzig hat, wie Intendant Ulf Schirmer beim Empfang ausführt, dem Publikum „hervorragende Unterhaltung auf höchstem Niveau“ geboten, und das mit durchweg eigenem Ensemble. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Andreas H. Hölscher