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Es ist ein ach so bekanntes Sujet. Durch Spielschulden verarmter Adel, auf der Suche nach dem standesgemäßen Mann für die gräfliche Tochter, die Suche nach der wahren Liebe, dem einzig Richtigen; ein Maskenball mit Champagnerlaune, Verwechslung mit Missverständnissen und verletzten Gefühlen. Und am Schluss dann doch ein Happy-End, der Richtige ward gefunden. Ein Stoff, ideal für die Operette, wie sie ein Emmerich Kálmán oder ein Franz Lehár in der silbernen Operettenära prägten. Doch Arabella von Richard Strauss geht musikalisch und inhaltlich weit über die heitere Operettenseligkeit hinaus, hinterlässt statt dessen einen melancholischen Abschiedsschmerz, der der Entstehungszeit Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und der Rezeptionszeit Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts geschuldet ist. Es ist das letzte gemeinsame Werk des Komponisten Richard Strauss mit dem Librettisten Hugo von Hoffmannsthal. Über zwanzig Jahre nach dem Welterfolg des Rosenkavaliers soll eine neue Wiener Oper Glanz und Untergang einer Gesellschaft symbolisieren. Entstanden ist dabei eine feingeschliffene lyrische Komödie, die mit raffinierten Orchesterklängen, blühenden Gesangsmelodien und schwungvollen Wiener Walzern brilliert.
Im September 1927, vor Abschluss der Partitur der Ägyptischen Helena, schreibt Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal: „Aber jetzt hab ich nichts mehr zum arbeiten: total abgebrannt! Also bitte: dichten Sie! Es darf sogar ein zweiter Rosenkavalier sein“.
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Bereits im Dezember 1927 stimmen der Autor und der Komponist die Szenen ab, und ein Jahr später liegt das von Hofmannsthal verfasste Libretto vor. Umarbeitungen und Änderungen folgen im Frühjahr des darauffolgenden Jahres. Am 10. Juli 1929, fünf Tage vor seinem Tod, sendet Hofmannsthal den Schlussmonolog der Arabella im ersten Aufzug: „Mein Elmer …“ an Strauss. Als Reminiszenz an seinen langjährigen Freund und Gefährten vertont Strauss die Arabella in Hofmannsthals zuletzt vorliegender Fassung. Im Oktober 1932 vollendet Strauss die Partitur und widmet sie dem Generalmusikdirektor der Semperoper, Fritz Busch. Am 1. Juli 1933 findet in Dresden die Uraufführung der Arabella statt. Die musikalische Leitung hat Clemens Krauss, nachdem der Widmungsträger Fritz Busch von den Nazis aus seinem Amt gedrängt worden war.
Musikalisch bedient sich Strauss in Arabella der bewährten Leitmotivtechnik und eines für seine Verhältnisse mäßig großen Orchesters. Höhepunkte der Partitur sind die nach slawischen Volksweisen ausgestalteten Passagen wie beispielsweise das Duett Arabella – Zdenka: „Aber der Richtige“ oder das Duett Arabella – Mandryka: „Und du wirst mein Gebieter sein“ sowie die Schlussszenen des ersten und des dritten Aufzugs. Hier setzt Strauss einen musikalischen Kontrapunkt zu seinem Zeitgenossen Franz Lehár und dessen Lustige Witwe, deren musikalischer Witz ja auch von den slawischen Elementen lebt. Den gesellschaftlichen Spiegel vorhaltend, lässt Strauss im zweiten Aufzug während der Ballszene Walzerseligkeit erklingen, mit dem Höhepunkt des Auftritts der Fiakermilli, die mit geradezu exaltierenden Jodelkoloraturen die Persiflage auf die Wiener Operettengesellschaft per se ist. Die Handlung dieser im Vergleich zum Rosenkavalier weniger bekannten Oper ist schnell erzählt:
Der letzte Trumpf in der Hand des finanziell völlig ruinierten, dem Glücksspiel verfallenen Grafen Waldner ist seine bildschöne Tochter Arabella. Die Familie hat sich in einem Wiener Hotel einquartiert, um wenigstens den Schein eines standesgemäßen Lebens zu wahren und eine gute Partie für Arabella zu finden. Da man sich eine angemessene Erziehung und Ausstattung für zwei Töchter nicht leisten kann, wird Arabellas jüngere Schwester Zdenka als Junge ausgegeben. An Verehrern für Arabella mangelt es nicht, doch sie hat sich entschlossen, den „Richtigen“ zu suchen. Als sie einem Fremden begegnet, dem Gutsbesitzer Mandryka, weiß sie plötzlich, dass er dieser eine ist. Auch Mandryka hat sich auf den ersten Blick in Arabella verliebt. Einer Verlobung stünde nichts im Wege, käme es nicht zu Verwechslungen und Missverständnissen, an denen die Liebe zu zerbrechen droht. Doch bedarf es einiger Enthüllungen in der Welt des schönen Scheins, um beginnende Risse, gekränkte Eitelkeiten und verletzte Gefühle noch rechtzeitig zu kitten, damit am Schluss Arabella wirklich den einzig Richtigen findet, auch wenn ein Hauch von Melancholie übrig bleibt.
Regisseur Jan Schmidt-Garre und Bühnenbildnerin Heike Scheele, die schon bei der Leipziger Produktion Die Frau ohne Schatten für das Bühnenbild verantwortlich war, haben für ihren Regieansatz ein dramaturgisch sparsames, aber durchaus effizientes Konzept gewählt. Beginnend zunächst auf einer leeren Bühne, werden die verschiedenen Hotelzimmer, in denen sich die Handlung an einem Abend und einer Nacht an einem Faschingsdienstag in Wien abspielt, modulartig als Kastenelemente auf die Bühne gebracht, bei Bedarf verschoben oder umgedreht, und erst in der Schlussszene fügen sich die die einzelnen Elemente zu einem komplexen Bühnenbild zusammen, wo alle Akteure als Beobachter auftreten. Eingerichtet sind die Zimmer auch eher sparsam, alles wirkt sehr nüchtern, passend zur Zeit der Uraufführung, während die Kostüme von Thomas Kaiser weniger zeitlich zuzuordnen sind, es scheint ein ständiger Zeitenwandel zwischen Rezeptions- und Entstehungsgeschichte zu sein. Stimmungsvoll ausgeleuchtet hat das Szenarium Guido Petzold, der mit seiner Lichtregie für die besonders melancholischen Momente auf der Bühne sorgt.
Im Mittelpunkt steht die komplizierte Liebesgeschichte zwischen Arabella und Mandryka, alle anderen Beziehungsgeflechte, wie das von Matteo zu Zdenka oder die vergeblichen Bemühungen der drei Grafen um Arabella sind dem untergeordnet. Dass Arabella fast durchgehend mit einer Schampusflasche über die Bühne läuft, ist etwas übertrieben. Auch sie gibt sich gerne dem Rausch hin, behält aber im Gegensatz zu allen anderen in den entscheidenden Momenten einen kühlen Kopf und rettet am Schluss eine fast aussichtslose Situation. Mandryka wird weniger als Galan, mehr als viriler Draufgänger gezeigt, der spontan aus dem Bauch heraus seine Entscheidungen trifft, so auch sein direktes Bekenntnis zu Arabella. Dass diese beiden Charaktere am Schluss zusammenfinden, ist vielleicht mehr ihrer eigenen Verletzlichkeit geschuldet. Ein gutes Gefühl, was ihre gemeinsame Zukunft betrifft, mag sich bei dieser Inszenierung allerdings nicht einstellen.
Dafür ist das gute Gefühl bei Musik und Gesang vom ersten Moment an da. Die Oper Leipzig ist in der Lage, mit wenigen Gästen und einem großen Ensemble diese Oper bis in die kleinste Rolle ja schon fast luxuriös zu besetzen. Allen voran Betsy Horne in der Titelrolle der Arabella. Nicht nur optisch erinnert Horne an die junge Renée Fleming, die ihrerseits mit der Darbietung der Partie ihre große Karriere begann. Horne hat bereits über zwei dutzendmal die Marschallin im Rosenkavalier gesungen, und diese Erfahrung bringt sie natürlich voll in ihr Rollendebüt ein. Man darf sie daher ohne Übertreibung als eine Idealbesetzung für diese Partie ansehen. Horne gestaltet diese Rolle mit einer großen Innigkeit und strahlt dabei eine würdevolle Grandezza aus, wie man sie selten auf der Bühne sieht.
Ihr Sopran ist von einer großen Tragfähigkeit, der weit gesponnene Bögen und leuchtende Höhen mit Leichtigkeit erzeugt, um dann wieder mit wunderbarem Piano und sphärisch anmutenden Klängen zu berühren. Ihr Schlussmonolog im ersten Aufzug und das große Duett mit Mandryka im zweiten Aufzug „Und du wirst mein Gebieter sein“ sind die großen sängerischen Höhepunkte des Abends. Tuomas Pursio in der Rolle des Mandryka hat sich mit seinem Rollendebüt großen Respekt verdient. Erst wenige Tage vor der Premiere, bedingt durch den krankheitsbedingten Ausfall von Thomas J. Mayer, musste Pursio diese höchst anspruchsvolle Partie übernehmen. Nach seinen großen Erfolgen als Wotan im Rheingold und Gunther in der Götterdämmerung konnte Pursio hier ganz neue Facetten seines Könnens beweisen. Sein kräftiger, manchmal rau wirkender Bass-Bariton passt optimal zu der Rolleninterpretation des Mandryka, der etwas grobschlächtig und ungestüm wirkt, aber auch die sanften Momente auf seiner Seite hat. Diese Ambivalenz gestaltet Pursio musikalisch und darstellerisch überzeugend.
Publikumsliebling Olena Tokar zeigt mit ihrem Debüt als Zdenka die große Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme und ihrer Darstellung. Als verkleideter junger Mann Zdenko genauso wie als liebende junge Frau Zdenka, die endlich ihren eigenen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Mit leichtem Stimmansatz bewältigt sie mühelos die Partie, und die teilweise dramatischen Höhen, Registerwechsel und Tessitura sind bei ihr nahezu idealtypisch angelegt. Der lyrische Tenor Markus Francke gibt an diesem Abend den Leutnant Matteo, der zunächst unsterblich in Arabella verliebt ist und erst am Schluss die wahre Liebe zu Arabellas Schwester Zdenka erkennt. Mit strahlenden Höhen und einer komödiantisch verzweifelten Darstellung dieser Partie beeindruckt Francke in seinem Rollendebüt. Zwei Altmeister des Wagner- und Strauss-Repertoires bereichern an diesem Abend musikalisch und darstellerisch das Ensemble. Renate Behle als Arabellas Mutter Adelaide begeistert immer noch mit ihrem hochdramatischen Sopran, der nichts an Furor und Ausdrucksstärke eingebüßt hat. Und JanHendrik Rootering als Arabellas Vater Graf Waldner verfügt immer noch über einen einerseits markanten, andererseits balsamischen Bass, der die Zerrissenheit dieses spielsüchtigen Charakters bestens darstellt. Paul McNamara als Graf Elmer, Jürgen Kurth als Graf Dominik und Sejong Chan als Graf Lamoral fügen sich mit der leidenschaftlichen Darstellung als potenzielle Verlobte von Arabella ohne Ausnahme in das großartige Sängerensemble ein, zu dem auch Karin Lovelius als Kartenaufschlägerin zählt, die mit ihrem warmen Mezzosopran zu Beginn der Oper Adelaide die Karten liest und die Geschichte quasi vorneweg erzählt. Begeisternd auch der kurze Auftritt von Daniela Fally als Fiakermilli, die erst am Premierentag für die kurzfristig erkrankte Jasmina Sakr einspringt. Die Sopranistin von der Wiener Staatsoper schraubt sich mit ihren Jodelkoloraturen in fast unglaubliche Höhen, ohne dabei nur auf Effekthascherei aus zu sein.
Sowohl in musikalischer wie auch in darstellerischer Hinsicht setzt Fally an diesem Abend einen großen Kontrapunkt. Der Chor, eingestimmt von Alexander Stessin, ist bei seinen kurzen Auftritten an diesem Abend stets präsent.
Nach dem Ring-Zyklus und den Wagner-Festspielen an der Oper Leipzig geht Ulf Schirmer am Pult des Gewandhausorchesters seiner zweiten großen musikalischen Liebe nach, dem anderen Richard, dem Strauss. Ob schwelgende Walzerseligkeit, ob symphonische Tondichtung, ob derbes Poltern oder grazile Poesie, Schirmer führt die Musiker sicher über alle Hürden der Partitur, und erzeugt dabei einen farbenreichen und differenzierten Klangkörper. Und Schirmer liebt seinen Strauss. Er zelebriert den Wechsel zwischen großer Symphonik und intimer, fast kammermusikalischer Verneigung und schwelgt in einer betörenden und sinnlich berauschenden Musik. Das Gewandhausorchester setzt seine Vorgaben mit Brillanz und großer orchestraler Klanggewalt um. Das Intermezzo zwischen dem zweiten und dritten Aufzug gelingt musikalisch zu einem großen symphonischen Höhepunkt dieser Aufführung.
Das Publikum im fast ausverkauften Opernhaus feiert vor allem Betsy Horne, Tuomas Pursio und Olena Tokar für ihre großartige Leistung an diesem Abend. Auch Ulf Schirmer und das Gewandhausorchester Leipzig werden für ihre musikalische Darbietung umjubelt, während es für das Regieteam lediglich freundlichen Applaus gibt. Mit dieser Premiere hat Intendant Ulf Schirmer der Oper Leipzig nach dem mittlerweile umfangreichen Wagner-Repertoire eine weitere Facette hinzugefügt. In der nächsten Spielzeit steht dann erstmals die Salome von Richard Strauss auf dem Programm, man darf schon jetzt in Vorfreude gespannt sein.
Andreas H. Hölscher