Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FRAU LUNA
(Paul Lincke)
Besuch am
1. April 2016
(Premiere am 12. März 2016)
Angesichts der unstillbaren Neugier auf Raritäten aus fernen Zeiten und Ländern verwundert es, dass die „Berliner Operette“ um Paul Lincke und die Kollo-Dynastie im Theaterrepertoire außerhalb Berlins so gut wie nicht wahrgenommen wird. Das gilt selbst für den bekanntesten Beitrag, Paul Linckes pfiffige Operette Frau Luna, die vor Ohrwürmern aller Art nur so strotzt. Das ist die Berliner Luft, O Theophil, O Theophil, der Glühwürmchen-Walzer, Schlösser, die im Monde liegen, Schenk mit doch ein kleines bisschen Liebe sind nur eine Auswahl der Schmankerln, die als Evergreens große Popularität gefunden haben. Das ganze Werk fristet dagegen ein Schattendasein. Dabei bildet es mit seinem trockenen Witz, seinem pointierten, knappen dramaturgischen Zuschnitt, seiner stilistischen Vielfalt und dem Verzicht auf Sentimentalität einen interessanten Kontrapunkt zur Wiener Operette. Die Revue-artige Anlage der Frau Luna steht der der Pariser Opéra bouffe näher als der der Fledermaus. Dass Lincke einen Teil seines Handwerks in Paris erlernt hat, ist nicht zu überhören und sollte eigentlich das Interesse an dem Genre stärken.
Dabei nimmt Lincke sehr genau den Pulsschlag der Zeit zur Kenntnis. 1899 verarbeitet er die gemischten Gefühle am Vortag eines neuen Jahrhunderts, das sich als Katastrophen-Jahrhundert erweisen sollte, nach Operetten-Art: „Wenn der Erdenball zerplatzt, sind wir sowieso verratzt! Flott gelebt, flott geliebt, eh’s zu spät, und uns der Kopf mit Grundeis untergeht!“ Die Warnsignale, die das Stück aussendet, nimmt auch der Genre-erfahrene Regisseur Ansgar Weigner in der neuen, rundum vorbildlichen Inszenierung des Theaters Krefeld Mönchengladbach im Opernhaus von Rheydt wahr. Und zwar auf ebenso vitale wie dezente Weise. Behutsam arbeitet er den aktuellen Kern heraus, ohne platte Parallelen zu bemühen.
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Die Handlung: In einer ärmlichen Siedlung in Berlin-Neukölln gründet Fritz Steppke mit einigen Kumpanen einen Bund zur Verbesserung der Welt, um es den Politikern, „die ohnehin hinter dem Mond leben“, so richtig zu zeigen. Im Traum begegnet er auf dem Mond der Frau Luna, wobei sich in dem luxuriösen und scheinbar kultivierteren Ambiente des Erdtrabanten die gleichen politischen Mechanismen und die gleichen menschlichen Schwächen zeigen wie in der irdischen Welt. Der Mond als bessere Welt erweist sich als Illusion. Aus seinem Traum erwacht, beschließen die Steppkes zunächst einmal, sich um die Verbesserung ihres eigenen Umfelds zu kümmern als gleich die ganze Welt retten zu wollen.
Wunderbare, schrullige Charaktere präsentiert uns Weigner und zieht alle Register flotter Operetten-Kunst. Mit Klischees wird nicht gespart, aber auch nicht platt gewuchert. Der Witz wird stets pointiert getroffen. Liebevoll schafft Jürgen Kirner eine mit Satellitenschlüsseln gespickte Plattenbaufassade, die im Traum den Blick auf eine lunare Revue-Landschaft mit standesgemäßer Treppe und einem Ausblick auf den fernen blauen Planeten freigibt. Nicht minder detailgenau sorgt Marlis Knoblauch für eine überbordende Kollektion fantasievoller Kostüme. Und Luches Huddleston jr. lässt das Ballett in pfiffigen Choreografien mit Weltkugeln spielen, im Wasser plantschen und als Glühwürmchen herumflattern. Und das alles sehr geschmackvoll.
Man merkt allen Beteiligten den Spaß an der Sache an. Und so versprüht auch Alexander Steinitz am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker viel Pep und Sensibilität. Die Textverständlichkeit der Darsteller fällt zwar unterschiedlich aus, aber gesanglich und darstellerisch rundet das Ensemble die sehenswerte Produktion ohne nennenswerten Schwachpunkt ab.
Dazu gehören der charmant berlinernde Markus Heinrich als Fritz Steppke, Kerstin Brix als dezent polternde Frau Pusebach mit großer Berliner Schnauze und die zarte Susanne Seefing als Nichte, die die Schlösser auf dem Mond besingt, Auf dem Mond überzeugt Debra Hays als mondän scheinende Frau Luna, die ihre proletarischen Anhaftungen allerdings nicht ganz abschütteln kann. Michael Siemon als glamouröser Prinz Sternschnuppe, Amelie Müller als Stella mit Managerqualitäten, sie und alle anderen sorgen für einen ungetrübten Spaß, der in zwei knappen Stunden schnell vorüber rauscht.
Das Publikum im voll besetzten Rheydter Theater lässt sich schnell von dem Charme der Produktion anstecken, applaudiert ergiebig und sogar an den richtigen Stellen. Das Theater Krefeld Mönchengladbach hat damit sein Repertoire nicht nur um eine publikumswirksame Rarität erweitert, sondern auch ein klein wenig Pionierarbeit in Sachen „Berliner Operette“ geleistet. Da gibt es gewiss noch manches zu entdecken.
Pedro Obiera