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DER BARBIER VON SEVILLA
(Gioacchino Rossini)
Besuch am
7. November 2015
(Premiere)
Der Versuch, eine Oper zu modernisieren, kann aus vielerlei Gründen scheitern – der Einsatz von moderner Technik garantiert nicht, dass der Stoff entstaubt wird, und es hilft meistens wenig, mittelalterliche Spielorte in die Neuzeit zu versetzen. Doch wenn ein Konzept so gut durchdacht ist, dass am Ende eine Produktion wie Der Barbier von Sevilla in Krefeld herauskommt – alle Achtung, genau so muss es sein!
Regisseur Kobie van Rensburg, selber einst Sänger und seit 2002 als Musiktheater-Regisseur unterwegs, hat bereits zwei weiteren erfolgreichen Produktionen am Theater Krefeld Mönchengladbach auf den Weg geholfen. Mit der heutigen Premiere wagt er sich weit vor ins Experimentelle: Eine fest installierte Kamera, ein Bluescreen im Hintergrund und fahrbare Leinwände – das war es zunächst. Doch was diese angebliche Einfachheit an Aufwand ist, lässt sich live mit verfolgen, wenn die karge Bühne in eine bunte Welt der schrägen 1960-er Jahre entführt. Das Bühnenbild gibt es als projizierten Raum auf der Leinwand – die Sängerdarsteller werden live in das virtuelle Bühnenbild hineinprojiziert, was das Gesamtergebnis einem Film gleichkommen lässt. Das Geniale: Man hat die Wahl, ob man lieber das „Making of“ im unteren Bereich der Bühne beobachtet oder den fertigen Film genießt, der zudem mit einfallsreicher, wenn auch nicht immer ganz aktueller Jugendsprache als Übertitel gespickt ist. In einer Zeit, in der das Selfie nahezu gesellschaftskonform geworden ist, mutet es fast natürlich an, dass die Sänger mit der Kamera spielen. Statisten bringen Requisiten im blauen Ganzkörperanzug, sie verschwinden auf der Leinwand, was vielen kuriosen Einfällen Raum bietet.
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Einer der größten Vorteile: Das darstellerische Talent der Sängerdarsteller wird herrlich offenbar, wenn man die Gesichter der Sänger von Nahem sehen kann. Close-ups in der Oper kennt man vielleicht von den meist eher schlecht als recht gefilmten Übertragungen aus der Metropolitan Opera, in denen man schon mal die Gaumenzipfel schlackern sieht – heute dürfen die Sängerdarsteller selber auf die Kamera zugehen. Dass das Regiekonzept van Rensburgs aufgeht, hat nicht nur etwas mit der Grundidee zu tun, sondern ihm spielen sein Team und vor allem das Premieren-Ensemble zu.
Ohne allzu viel vorweg zu nehmen, darf eins gesagt werden: Man darf gerne auch laut lachen angesichts des visuellen Einfallsreichtums, der auf den Zuschauer einprasselt. Entführt wird man in eine schillernde Welt der Popkultur der 1960-er Jahre, in der knallige Farben, Pop-Art und die Beatles nicht weit sind. Eine komische Oper, in der ein Barbier die Strippen zieht, passt ganz gut zu toupierten Haaren und Fönfrisur. Und dass das Sujet einer komödiantischen italienischen Oper mit seinen Irrungen und Verwechslungen, Intrigen und Kalauern sich selbst ein wenig liebevoll auf die Schippe nimmt, ist ein alter Theatertrick, der niemals aus der Mode kommen wird. Der Clou: Rossini selbst, gegeben vom überzeugenden Alexander Betov, ist gewandet wie ein geckenhafter Lukullus, rührt zur Ouvertüre die nötigen Zutaten für seine intrigenreiche Oper zusammen, nachdem er zunächst Tournedos Rossini zaubert, eine fettige Leckerei aus gebratenen Brioche, Rindfleisch und Foie Gras. Danach schwenkt er den Cocktailshaker und mixt hier eine Prise Verschlagenheit und dort eine Zutat Leidenschaft hinzu und begleitet die eigentlich ziemlich überzeichnete Handlung. Zusammen mit Steven Koop zeichnet Rensburg für das Bühnenbild verantwortlich, in dem vor allem eines gefragt ist: Genauigkeit. Hier muss jeder Stuhl so platziert werden, dass er auf der Leinwand an genau der richtigen Stelle auftaucht.
Der comichafte Charakter des entstehenden „Films“ wird durch die oft plakativen, frei übersetzten Übertitel ergänzt, die mal als Sprechblase, aber immer auch über dem richtigen Sänger platziert sind, so dass man dem Text gut folgen kann. Da taucht auch mal ein „Hallöchen Popöchen“ auf, das passt durchaus gut zum überzeichneten Charakter der Inszenierung. Was für eine Arbeit hinter dieser Produktion steckt, kann man nur erahnen. Das Thema der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu haben, muss für jeden Kostümbildner ein Fest sein. Haare, Farben, Stoffe! Kristopher Kempf jedenfalls scheint ordentlich geschwelgt zu haben und verwandelt die einzelnen Partien in exakt gezeichnete Kunstwerke. Da sitzt jede Tolle, jede Schlaghose. Besonders stark ist das Outfit des Figaro: Ein verkappter Cowboy, der statt Colts zwei Föne in den Taschen stecken hat und mit Design-Pullunder und Riesenkragen und vor allem seiner wunderbaren Frisur den Vogel abschießt.
Großes Lob gebührt dem Herrenchor, den Statisten und nicht zuletzt den Sängerdarstellern – denn mit ihnen steht und fällt so ein Projekt. Heute Abend jedenfalls löst das Ensemble Begeisterung aus – so viel Witz, Charme und Augenzwinkern sieht man nicht oft auf der Bühne. Herrlich agil – und das nicht nur stimmlich – braust Rafael Bruck als Barbier über die Bühne, umringt von seinen sexy Hilfsfrisörinnen. Bruck ist ein richtiger Charmebolzen, der das Publikum sofort in die Tasche steckt – Chapeau für die gesangliche wie darstellerische Leistung. Sein Verbündeter, Graf Almaviva, steht ihm an darstellerischer Rafinesse nichts nach: Levy Sekgapane trumpft zudem mit einem hellen Tenor auf, der es ihm erlaubt, halsbrecherische Koloraturen vom Stapel zu lassen. Das Timbre mag zwar Geschmackssache sein und seine Stimme ist heute Abend kaum hörbar heiser – in seinem Fach macht ihm aber niemand etwas vor: Stabile Höhen und gewagte Läufe überzeugen schlussendlich. Dr. Bartolo wird vom sympathischen Hayk Déinyan gegeben, der fast original dem Film Austin Powers entsprungen zu sein scheint. Mit weicher, warmer Stimme findet er auch darstellerisch als grantiger Vormund und überforderter Tyrann Anklang. Als kiffende Haushälterin Berta schwingt Debra Hays ihre Hüften im Takt mit ihrem fokussierten Sopran und kann am Ende nicht nur Dr. Bartolo für sich gewinnen. Eindeutig den besten Gesichtszirkus liefert Andrew Nolen als schmieriger Don Basilio. Neben seiner expressiven Mimik – besonders gut in der Großaufnahme – gefällt auch sein sonorer Bass. Sophie Witte ist als Rosina ideal besetzt, zwar wird hier oft ein Alt eingesetzt, doch ihr Sopran strahlt passend zu ihrem entzückenden Äußeren. Im Peggy-Minikleid oder in der Badewanne – sie macht einfach eine gute Figur. Shinyoung Yeo und James Park runden das Ensemble äußerst passend ab.
Einen köstlichen Auftritt, der im Gedächtnis bleibt, liefert der Herrenchor unter der Leitung von Maria Benyumova als Beatles-Verschnitt mit Luftgitarre zu Orchesterklängen. Das Orchester unter dem Dirigat von Andreas Fellner lässt zwar etwas Rossinischen Glanz vermissen und auch die Kommunikation zwischen Sängerdarstellern und Dirigent hakt bei dem an den Tag gelegten Tempo, jedoch mag man das aufgrund der sonstigen Leistung des Orchesters verschmerzen.
Der Abend macht vor allem eines: Spaß. Nicht nur die ältere Generation, die selbst zum Teil die wilden 60-er erlebt hat, hat lautstarkes Vergnügen an dieser Zeit und ihren Kultsymbolen. Nichtsdestotrotz bietet die Oper durch Ihre kultige Umsetzung à la Austin Powers und den Einsatz moderner Technik auch und gerade der jungen Generation die Stirn. Da soll noch mal jemand behaupten, Oper sei immer langweilig: Schickt die Haderer nach Krefeld – eine rundum rasante, liebevolle und vor Charme sprühende Inszenierung macht auch für sie den Weg lohnenswert.
Miriam Rosenbohm